Selten zuvor erlebte ein Gesetz eine derartig martialische Begleitmusik von Presse, Politikern, Juristen und anderen Experten. In Bezug auf die Auswirkungen des AGG im Arbeitsrecht werden Klagewellen und weiter zunehmender Bürokratismus prognostiziert. Die Folge: Verunsicherung herrscht weit und breit.

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Foto von Brusk Dede

Eines vorweg: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass zuvor alles erlaubt war, was nun nach dem Wortlaut des AGG ein Diskriminierungsverbot darstellt.

Das Gebot der Gleichbehandlung im deutschen Arbeitsrecht leitet sich im Grundsatz seit je her allgemein aus der Verfassung ( Art. 3 Abs.1 GG) und der Betriebsverfassung ( § 75 Abs. 1 BetrVG) ab. Danach darf ein Arbeitgeber nicht willkürlich, also nicht ohne sachlichen Grund, einzelne Arbeitnehmer von den Wohltaten etwa vorhandener arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen (z.B. Lohnordnung, Gratifikationsordnung u.s.w.) ausschließen. Alle Mitglieder einer Gruppe, auf die die vom Arbeitgeber abstrakt vorgegebenen Merkmale gleichermaßen zutreffen, haben Anspruch auf gleiche Behandlung.

Andererseits gilt schon immer das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs.3 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Behauptet ein Arbeitnehmer, benachteiligt worden zu sein, hat er etwaige generelle Regelungen darzulegen und diejenige Gruppe von Arbeitnehmern zu bezeichnen, mit der er sich für vergleichbar hält (BAG v. 7.8.2002 –10 AZR 709/01 -, NZA 2002 S.1284).

Eine geschlechtsspezifische Gleichbehandlung galt bisher auch im folgenden: Für gleiche oder für gleichwertige Arbeit darf nicht wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers eine geringere Vergütung vereinbart werden (siehe Art. 141 EGVertrag; Art. 3 Abs.2 GG; § 612 Abs.3 BGB). Ein allgemeines geschlechtsbezogenes Benachteiligungsverbot für die Arbeitswelt enthält § 611a BGB. Arbeitsplätze müssen geschlechtsneutral ausgeschrieben werden (siehe § 611 b BGB); bei Verstoß kann der abgelehnte Bewerber eine angemessene Entschädigung verlangen (siehe § 611a Abs.2 und Abs.3 BGB).

Und schließlich im Betriebsverfassungsrecht: Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt ( § 75 Abs.1 BetrVG).

Zwar gab es in der Vergangenheit Klagen aufgrund der bereits existierenden Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote, bei nüchterner Betrachtung kann allerdings von regelrechten Klagewellen nicht die Rede sein.

Allerdings werden eine Reihe von Fragen, die in der bisherigen Rechtspraxis im Zusammenhang mit Art. 3 GG und § 75 BetrVG aufgekommen sind, sich auch im Rahmen des AGG stellen.

Das gilt zunächst für die Begriffsbestimmungen in § 3 AGG.

Im Hinblick auf den Begriff der Benachteiligung übernimmt das AGG zunächst einmal die dem deutschen Arbeitsrecht bereits bekannte Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung. Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 2 AGG allerdings auch bei der Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer nicht vor, wenn sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit einem der in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgründen zu tun haben.

Eine Belästigung sind nach § 3 Abs. 3 AGG unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem der in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgründen im Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Aus dem Wortlaut des Gesetzestextes ist erkennbar, dass eine einmalige Beeinträchtigung der Würde eines Beschäftigten nicht genügt, sondern nur durch eine Mehrzahl solcher Verhaltensweisen das vorstehend beschriebene Umfeld geschaffen werden kann. Das ist eine Einschränkung, die in der bisherigen öffentlichen Diskussion zum AGG kaum beachtet worden ist.

Zur sexuellen Belästigung existiert bereits das Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. vom 24. Juni 1994 (BeSchG). Das AGG definiert hier eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird (§ 3 Abs. 4 AGG). Damit wird die bereits in § 2 Abs. 2 BeSchG vorhandene Definition ausgeweitet, indem mit dem Wort “insbesondere” die Schaffung des vorstehend beschriebenen Umfelds nur als ein Beispiel für die Möglichkeit einer Verletzung der Würde der betroffenen Person benannt wird.

Entgegen dem pauschal in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Vorwurf, das AGG schaffe Rechtsunsicherheit, ergibt sich aus einer Reihe von Vorschriften eher das Gegenteil.

So enthält § 8 AGG einen allgemeinen Ausnahmetatbestand, der für alle in § 1 AGG genannten Merkmale gilt und eine unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen zulässt. Eine unterschiedliche Behandlung ist danach zulässig, wenn der Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt und der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist (§ 8 Abs. 1 AGG).

Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn diese objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssen auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Nach den ausdrücklichen Feststellungen in § 10 Satz 2 AGG können derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere folgendes einschließen: Unterschiedliche Bedingungen für Zugang zur Beschäftigung, Festlegung von Mindestanforderungen an Alter und Berufserfahrung, Höchstalter für Einstellung, Altersgrenzen in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, Altersgrenzenregelungen für Beendigung des Arbeitsvertrags, Sozialauswahl, Regelungen zur Unkündbarkeit und Sozialplanleistungen.

Die Behauptung u.a. auch von einer deutschen Tageszeitung mit 4 Buchstaben, bei Stellenanzeigen sei die Altersangabe „bis 35 Jahre“ nach dem AGG verboten, ist einfach falsch.

Richtig ist, dass das AGG dem Arbeitgeber eine Reihe von Organisationspflichten auferlegt. So bestimmt § 11 AGG, dass ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ausgeschrieben werden darf. Wird dies nicht beachtet, wird man darin bereits ein Indiz i. S.d § 22 AGG für eine Benachteiligung sehen müssen. Unabhängig davon muss darauf geachtet werden, dass abgelehnten Bewerbern mit einer diskriminierungsfreien Begründung die Unterlagen zugeschickt werden. Dies gilt auch bei telefonischen Rückfragen.

Darüber hinaus enthält § 12 AGG eine deutliche Erweiterung bestehender Handlungspflichten, indem er den Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zu treffen.

Hierzu gehören auch präventive Maßnahmen.

Welche Maßnahmen erforderlich sind, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen und kann je nach Größe des Betriebs unterschiedlich zu beurteilen sein. Bei kleineren Betrieben kann ein geringerer Aufwand betrieben werden. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligungen geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach § 12 Abs. 1 AGG. Auch die Intensität der Schulung orientiert sich an der Betriebsgröße. So muss nicht notwendigerweise immer eine besondere AGG-Schulung erforderlich werden. Die Schulung kann durchaus in Führungsseminaren integriert werden, wie es überhaupt sinnvoll ist, in diese Seminare stärker auch das „arbeitsrechlich korrekte Führen“ zu akzentuieren. Abgesehen davon, bieten bereits jetzt eine ganze Reihe von Weiterbildungsanbietern die Schulung im Blended Learning an. Der Vorwurf der Aufblähung einer Bürokratie ist an dieser Stelle überzogen.

Neben Beschwerde- und Leistungsverweigerungsrechten sowie der Anordnung eines Maßregelungsverbots (das wie gesagt bereits nach § 612 Abs. 3 BGB für die Vergütung existent ist) enthält § 15 AGG die wichtigste Erweiterung der heute bestehenden Sanktionsmöglichkeiten. So kann der benachteiligte Beschäftigte gemäß § 15 Abs. 1 AGG Ersatz für den materiellen Schaden verlangen, der durch eine Verletzung des Benachteiligungsverbots entstanden ist. Eine Haftungshöchstgrenze ist nicht vorgesehen. Ausgeschlossen ist der Schadensersatzanspruch jedoch dann, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzungen nicht zu vertreten hat. Damit ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass er die Benachteiligung nicht zu vertreten hat.

Darüber hinaus wird der Arbeitgeber, der gegen das Benachteiligungsverbot verstößt, nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 AGG verpflichtet, zum Ausgleich des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen (diese Regelung gilt bereits nach § 611a Abs. 3 BGB bei nicht benachteiligungsfreier Bewerberauswahl).

Der Anspruch auf Schadensersatz muss ebenso wie der Anspruch auf Entschädigung innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, durch Tarifvertrag wird etwas anderes vereinbart.

Fazit: Unbestritten ist, dass das AGG in jedem Fall zu einem stärkeren Schutz vor Diskriminierungen als nach den bisher geltenden Vorschriften führen wird. Angesichts der dem Arbeitgeber auferlegten Verhaltenspflichten und der damit einhergehenden Haftungsrisiken ist dennoch keine Panik angesagt. Allerdings dürfte es nicht nur wegen des AGG, sondern erst recht im Hinblick auf eine an den Wertvorstellungen unserer Gemeinschaft orientierten Führungskultur sinnvoll sein, sich mit der Frage zu befassen, ob und ggf. mit welchen Maßnahmen die innerbetriebliche Arbeits-, Ablauf-, Ausbildungs- und Aufstiegsstruktur auch unter präventiven Gesichtspunkten diskriminierungsfrei ausgestaltet werden kann. So ist der an den Arbeitgeber mit § 12 Abs. 2 AGG gerichtete Appell, seine Mitarbeiter zu schulen, nicht als eine unabdingbare Verpflichtung, sondern eher als Chance zu sehen, ein betriebliches Umfeld vorzuhalten, das dem Betriebsfrieden und zugleich der Produktivität dient. Der Anreiz, dass nach § 12 Absatz 2 Satz 2 AGG die Schulung zugleich als Erfüllung der Präventionspflicht nach Absatz 1 dient, sollte positiv aufgenommen werden.