Podcasts, Blogs und Wikis heißen die zentralen Schlagworte, wenn es um die Zukunft des Lernens geht. Dahinter steht die Chance, formelles Lernen mit dem informellen Lernen zu verknüpfen. „wirtschaft + weiterbildung“ stellt die drei neuen Tools im Hinblick auf ihren Nutzen für die betriebliche Weiterbildung vor.

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Foto von Adeolu Eletu

Podcasts – Lerninhalte selbst bestimmen und eigenverantwortlich nutzen

In Großbritannien wurde der Begriff „Podcast“ kürzlich zum Wort des Jahres 2005 gewählt. Beim Podcasting lädt der Nutzer Audiodateien (genannt Podcast, Cast, Show oder Sendung) als Datei im platzsparenden und bandbreiten-freundlichen MP3-Format aus dem Internet herunter oder er bekommt sie im Abonnement zugeschickt. Er hortet die Dateien quasi auf Vorrat, denn abgehört wird erst, wenn irgendwann und irgendwo gerade Zeit ist. Dieser Audio-Medienkonsum „on demand“ boomt. „Die Leute ersaufen in visueller Information“, sagen die Podcast-Fans zur Begründung. Die Popularität und die Massenverbreitung von MP3-Playern – allen voran Apples iPod (43 Millionen Stück verkauft) – und Apples Gratis-Software iTunes (www.itunes.de) haben das Thema „Audio via Internet“ aber auch sehr beflügelt. Seit der Version 4.9 von iTunes können Anwender nicht mehr nur Musik kaufen und hören, sondern auch Podcasts bequem im Netz finden, abonnieren, verwalten und abspielen. Allein an den ersten beiden Tagen haben iTunes-Anwender mehr als eine Million Podcasts aus dem neuen Podcast- Verzeichnis von Apple abonniert. Noch sind die meisten Podcasts gratis. Erste Bezahl-Services werden angesichts des Massenmarktes nicht mehr lange auf sich warten lassen. Auf der Macworld 2006 im Januar hat Apple-CEO Steve Jobs erste kostenpflichtige Video-Podcasts angekündigt.

Der amerikanische Marktforscher Forrester Research traut dem hippen Medium in den USA bis 2010 eine Reichweite von 12,3 Millionen Nutzern zu und sieht eine Finanzierung des Angebots über Abonnements durchaus als ein tragfähiges Geschäftsmodell an. „Dass große Radio-Networks und Inhalte-Anbieter aggressiv in dieses Feld vorstoßen, könnte auch ein Signal für Trainingsanbieter sein, sich in diesem Bereich zu engagieren“, sagen die Marktforscher. Erste US-Anbieter wie die E-Learning-Spezialisten „BerkleySoft“ oder „Blackboard“ sind dem Aufruf gefolgt und bieten bereits Zusatzfunktionen für Podcasting auf ihren Lernplattformen an.

In Erstaunen versetzte viele eine brandaktuelle Umfrage (www.podcastumfrage. de) in der deutschen Podcast-Szene. Bereits ein Drittel der 2.344 Befragten setzt Podcasts für die persönliche Weiterbildung ein! Laut Umfrage ist der deutschsprachige Podcast-Hörer im Schnitt 29,6 Jahre alt, hat einen Hochschulabschluss, ist berufstätig (64 Prozent) oder in Ausbildung (33 Prozent), verdient im Schnitt 2.100 Euro netto, hat acht Podcasts abonniert und hört 3,61 Stunden in der Woche „seine“ Audioclips – oft auf dem Weg zur Arbeit.

Nachbereitung von Seminaren

Idealerweise sollte ein Podcast zwischen 10 und 20 Minuten lang sein und wöchentlich erscheinen.

Podcaster der ersten Stunde in Deutschland ist der Trainer und Coach Hans- Jürgen Walter, Bammental, mit „Das Abenteuer Leben, das Podcast-Autobahn- Colleg“ (www.dasabenteuerleben.de). Seine ersten Berührungspunkte mit Audio-Medien liegen elf Jahre zurück. Das von ihm produzierte Kassettenmagazin „Radio Zeitgeist“ hatte damals 300 Abonnenten. „Die Technik ist heute einfacher und der Vertriebsweg smarter. Im Prinzip waren das aber damals schon Podcasts“, resümiert Walter. „Bei Leuten, die viel unterwegs sind und die für Seminare schlicht nicht die Zeit haben, trifft man damals wie heute auf Bedarf.“ Walters Audioclips „Abenteuer Leben“ und „Abenteuer Kommunikation“ haben heute 3.500 bis 4.000 Hörer pro Sendung. Jede Woche gibt es jeweils eine neue, 18- bis 22-minütige Ausgabe. Mittlerweile konnte er fünf Trainerkollegen zum Mitmachen begeistern. Gemeinsam decken sie die Themenfelder Kreativität, Kommunikation, Selbstmanagement, Rhetorik, Präsentation und Verkaufen ab. Der jüngst gestartete Podcast „Abenteuer Lernen“ der österreichischen Gedächtnismeisterin und Trainerin Dr. Luise Maria Sommer hatte allein am ersten Abend 370 Downloads. Walters technisches Equipment hat nicht mehr als etwa 1.500 Euro gekostet. Die Qualität seiner Podcasts ist damit sehr professionell.

Noch sind seine Podcasts gratis, im März soll aber auf einen Bezahldienst umgestellt werden. Geplant ist ein Preis von einem Euro pro Sendung. „Wir rechnen schon mit einem Einbruch bei den Hörerzahlen von 50 bis 75 Prozent. Aber selbst wenn nur 25 Prozent verbleiben, sind das pro Sendung immer noch 1.000 Hörer. Vier Mal die Woche bei sechs Kanälen bedeutet das rund 25.000 Euro Einnahmen.“

Podcasts – Hintergrundinformationen und Hörproben 

  1. www.podcastawards.com

    Hier sind die angeblich besten Podcasts der Welt aufgelistet. Sie werden via Onlineabstimmung regelmäßig ermittelt. In der Kategorie „Education“ weit vorn liegt zum Beispiel der Anbieter www.tipsfromthetopfloor.com oder auch http://davidwarlick.com/connectlearning/

     

  2. www.management-channel.de

    Blog & Pdcast zu aktuellen Fragen der Unternehmensführung. Witzig gemacht: Zwei Trainer spielen Chef und Mitarbeiter.

     

  3. http://braincast1.blogspot.com

    Erklärt wird das Gehirn des Menschen, seine Funktionsweisen sowie die Möglichkeiten und Folgen für das Lernen. Blog & Podcast von Arvid Leyh.

     

  4. www.pimpmybrain.de

    Alex Wunschel produziert einen Podcast über Podcasts. Eine wahre Fundgrube für Podcast-Interessierte, die selbst als Anbieter auftreten wollen. Das Themenspektrum reicht von den rechtlichen Rahmenbedingungen bis hin zur Vorstellung neuer Podcasts.

     

  5. Podcast-Verzeichnisse: http://yahoo.podcast.com

    www.podipedia.de

    www.itunes.de

Stimmtraining erforderlich 

Aber nicht nur zum Edutainment setzt Hans-Jürgen Walter Podcasts ein. In der Nachbetreuung firmeninterner Trainings sieht er ebenfalls einen großen Markt. Je nach Wunsch bekommen die Teilnehmer einer Weiterbildung über sechs bis 14 Wochen lang einen kleinen Reminding-Hörclip zum Thema des Seminars als MP3- Datei per E-Mail zugeschickt. „Das kommt bei Personalentwicklern wie Teilnehmern richtig gut an, weil es die Vergessenkurve nach einem Seminar abfedert und für das Unternehmen keinen Aufwand bedeutet. Auf dem Firmenserver oder beim Client müssen nämlich keine Programme installiert werden“, so Walter.

Obwohl die Technik selbst für Einsteiger einfach zu bedienen ist, stellt das Medium gewisse Anforderungen an einen Produzenten. Walter: „Inhalte über einen Audiokanal rüberzubringen, ist wahnsinnig schwierig. Alles hängt davon ab, ob die Stimme bei den Zuhörern ankommt.“ Das habe nicht nur etwas mit der Stimmhöhe, sondern auch mit der Satzmelodie zu tun. „Mein Lernprozess hat ein halbes Jahr gedauert“, so der Podcast-Pionier. Es reiche auf gar keinen Fall, wenn Trainer Kapitel aus ihren Büchern vorlesen ließen. Neben einer geschulten Stimme, komme es nämlich auch noch darauf an, dass der Vorleser seinen Text authentisch lebe.

Und dann seien auch noch aktuelle Bezüge und Originalität wichtig. Den Zweitverwertungen alter Texte ist vor diesem Hintergrund kein Erfolg beschieden. Was einen guten Podcast ausmacht und wie technologiegestützte Wissensvermittlung und informelles Lernen in Zukunft aussehen könnten, darüber wird am 4. April auf dem 1. Deutschen Podcast-Kongress in München (www.podcast-kongress.de) diskutiert werden. Veranstalter ist der Verband der deutschen Internetwirtschaft „eco“ in Zusammenarbeit mit dem Münchner ITDienstleister Beck et al. Services. Geschäftsführer Siegfried Lautenbacher erklärt sein Engagement mit den Worten: „Podcasts sind ein wichtiger Kanal!“ Nützlich seien Podcasts für die Aus- und Weiterbildung vor allem aus drei Gründen:

 

  1. Mobiles Lernen. Die Audio-Files kann man sich auf einen mobilen MP3-Player spielen und zeit- und ortsunabhängig anhören. Im Zug oder Auto auf dem Weg zur Arbeit, auf Geschäftsreise im Flieger oder einfach nur schnell in der Mittagspause lässt sich in konzentrierter Form lernen.
  2. Auditives Lernen. Es gibt einen Trend zum auditiven Lernkanal. Man kann sich in der Regel Gehörtes leichter vorstellen und merken, weil mehr Emotionen mitschwingen. Und man kann dem Multitasking frönen und nebenher noch Auto fahren oder Joggen. Auf Platz eins im „Apple-Podcast-Ranking“ befindet sich seit längerem „Englisch Lernen mit the Grooves“. Wichtige Redewendungen und Vokabeln werden mehrmals im Wechsel Englisch/Deutsch wiederholt – verknüpft mit lockerem Pop und Jazz. Der Wortschatz wird 50 Minuten lang swingend ins Gedächtnis befördert. Lernerfolg durch reines Zuhören.
  3. Eigenverantwortliches Lernen. Podcast-Hörer können verschiedene Sendungen abonnieren und sich so ihren ganz persönlichen WeiterbildungsSampler zusammenstellen. Man nimmt sich genau was man braucht.

Bildungsverantwortliche dürften beim Gedanken an die Eigenverantwortlichkeit der Lerner flaue Gefühle in der Magengegend bekommen. Denn kontrollieren lässt sich das Lernen unter solchen Bedingungen nur schwer. Für Lautenbacher, der anfangs selbst eher skeptisch war, macht die Selbstbestimmung aber gerade den Charme und die Popularität von Podcasts aus. „Trendstudien belegen, dass sich das Medienverhalten ändert. Die junge Generation zappt viel und pickt sich ganz gezielt heraus, was sie wirklich will. Diesem Bedürfnis wird man auch in der Weiterbildung nachkommen müssen.“ Podcasts sollten aber als Zusatzservice eingebettet sein in einen kontrollierbaren Lernkanal wie Präsenztrainings oder Blended Learning.

Podcasts sind Ausdruck gelebter Individualität 

„Manche Personalentwickler erinnern mich an die Kirche im Mittelalter. Sie wollen genau bestimmen, was gelernt wird“, ergänzt Trainer Hans-Jürgen Walter drastisch. Die Frage: „Wer legt eigentlich fest, was gelernt wird?“ könnte auf Grund des technischen Fortschritts bald eine große Rolle spielen und das Konzept der „strategieumsetzenden Personalentwicklung“ unterhöhlen. Insbesondere, wenn jeder das lernt, worauf er gerade Lust hat, und nicht daran denkt, dass das Unternehmen, für das er arbeitet, ganz konkrete Ziele hat, auf die hin sich jeder Mitarbeiter ausrichten sollte. Für Walter könnte ein gangbarer Weg darin bestehen, dass Personalentwickler „den Rahmen abstecken“ und zum Beispiel ein Lernportal einrichten, auf dem nach bestimmten Qualitätskriterien vorselektierte Podcasts zum Download angeboten werden.

Podcasts können auch im Sinne des klassischen Bildungsmarketings genutzt werden. Einem flächendeckenden Training von Schlüsselmitarbeitern geht schließlich fast immer eine Informations- und Motivationskampagne voraus. „In dieser Phase sehen wir gute Möglichkeiten für den Einsatz von Podcasts“, so Dr. Christian Buric, bei Beck et al. Services für die Kommunikation verantwortlich. „Ein O-Ton eines Vorstands oder Geschäftsführers, der kurz auf den Punkt bringt, was ihm am Herzen liegt, oder ein Mini-Interview mit einem Poweruser, der über seine ganz persönliche Arbeitserleichterung durch ein neues Software-Tool spricht, kann äußerst informativ und motivierend sein.“

Und wieso sollte man sich den iPod-Hype nicht zu Nutze machen und kreative Wege bei der Lehrlingsausbildung gehen? „Ich kann mir gut vorstellen, dass man gerade Lehrlinge in großen Betrieben gut über Podcasts erreichen kann. Es kann schon motivieren, wenn zwischen einigen privaten Musikstücken auf dem iPod des Lehrlings auf einmal ein kleiner Audio-Weiterbildungshappen darunter ist und man den So-ar-as-Effekt beim Azubi erzielt“, meint Christian Buric. Wieso also nicht einen iPod als Prämie ausloben, ihn mit Musik und zwei Podcasts – einem unterhaltsamen und einem wissenswerten – bestücken? Wer weiß, vielleicht kommt der Azubi auf den Geschmack und steckt andere damit an.

Weblog – heiße Diskussionen anzetteln 

Die Funktionäre in der Zentrale der Gewerkschaft Verdi klagten früher viel über die Mühen, die die interne Kommunikation bereitete. Denn nur über sie klappte die Kommunikation der regional weit verstreuten Mitgliedergruppen. Jeder Funktionär schickte seiner Gruppe einen Newsletter, was den Kommunikationsfluss aber auch nicht erleichterte. Erst als in der Zentrale ein Weblog für das Internet produziert wurde, auf dem die Inhalte der lokalen Gruppen zusammenflossen, wurde alles besser. Alle Teilnehmer konnten das Veröffentlichte zeitnah kommentieren. Dadurch wurde sichtbar, wer am gleichen Thema arbeitete, und niemand musste ständig das Rad neu erfinden. Die Kommunikation kam mehr und mehr in Gang.

Ein Weblog ist zunächst einmal ein wertvolles Werkzeug für das persönliche Wissensmanagement. Ein Mitarbeiter legt über ein sehr einfach zu bedienendes Content-Management-System ein Journal als Informationsspeicher oder auch Tagebuch an. Er sammelt dort Links und Infos, die er auf seinen Streifzügen durchs Web gefunden hat. Der Blog dient sozusagen als „externes Gehirn“. Man kann dieses Journal aber auch für andere öffnen, um über die Kommentarfunktion Feedback zu bekommen und so voneinander zu lernen

Die Blog-Tools kommunizieren hinter den Kulissen untereinander und mit zentralen Verzeichnissen wie die von Weblogs.com oder Blo.gs. So entstehen Listen „frisch aktualisierter“ Weblogs, die von Suchmaschinen wie Technorati oder Feedster erfasst werden. Anders als bei Google werden neue Texte in Sekunden gelistet. Zusätzlich können sich mit der so genannten „Trackbackfunktion“ (thematische Verlinkung) Blogger per Knopfdruck gegenseitig benachrichtigen lassen, wenn sich Beiträge aufeinander beziehen. Fazit: Worüber Blogger reden, das verlinkt sich auch. Blogs sind ein einzigartiges, dynamisch pulsierendes Informationsgeflecht. Web-Foren oder Mailing-Listen sind dagegen in sich geschlossene, geradezu statische Systeme.

Wo gibt es Blog-Software?

  1. WordPress. Kostenlose, sehr einfach aufzusetzende und weit verbreitete Weblogsoftware (http://wordpress.org und wenn kein eigener Server eingerichtet werden soll: http://worldpress.com)
  2. Movable Type. Weit verbreitete und auch sehr leistungsfähige Weblogsoftware (www.movabletype.org und auch www.typepad.de)
  3. Twoday.net. Kostenloser ASP-Dienst (http://twoday.net)
  4. Übersicht über Weblogsoftware (http://bloghaus.net/blogtools)
  5. Übersicht über Weblogsoftware (www.asymptomatic.net/blogbreakdown.htm)

Lesenswerte Blogs:

  1. Florian Heidecke über “Information Work Productivity” www.informationwork. com
  2. Jochen Robes über „Technologien & Bildungsökonomie“ www.weiterbildungsblog.de
  3. Martin Röll über „E-Business“ www.roell.net/weblog
  4. Tim Schlotfeldt über „E-Learning“ www.tschlotfeldt.de/elearning-blog
  5. Die Gewinner der „Edublog Awards“ http://incsub.org/awards/2005/winnersannounced
  6. Weblog-Suchmaschinen www.top100-business-blogs.de; http://blogg.de

Stress verhindert Austausch

 

Ein Blog hat Auswirkungen auf die gesamte Organisation. Es werden schließlich Erfahrungen von Mitarbeiter zu Mitarbeiter weitergegeben. Experten finden sich, die vorher gar nichts voneinander gewusst haben. „Das Innovative an den Blogs sind die entstehenden Kommunikationsstrukturen und die ablaufenden Kommunikationsprozesse“, sagt Martin Röll, Dresden, der Unternehmen bei der Integration von Socail Software in ihre Wissensmanagement-Prozesse berät.

Kernprozesse jedes Wissensarbeiters sind laut Röll:

  1. das Sichten von Informationen
  2. das Organisieren von Infoströmen
  3. das Diskutieren über Informationen.

„Diese drei Kernaktivitäten sind nicht ausreichend vernetzt. Wer sichtet, sichtet für sich. Wer sammelt, sammelt für sich. Der Austausch von Dokumenten und der Diskurs finden fast nur über E-Mail statt“, erklärt Röll. „Social-Software-Tools haben das Potenzial, die Vernetzung mit anderen zu unterstützen und so die Zusammenarbeit effektiver zu gestalten.”

Doch Röll warnt auch: „Die Unternehmen hoffen, dass die Mitarbeiter plötzlich wie wild anfangen, ihre Erfahrungen zu publizieren, und dass man eine Art lernende Organisation, die sich am besten noch selbst dokumentiert, bekommt. Das ist utopisch und obendrein die falsche Herangehensweise.“ Zwar könnten Weblogs so etwas in der Tat ermöglichen. „Aber wir sprechen von ganz normalen Wissensarbeitern, die zuerst einmal ihren Job zu erledigen haben.“ Nicht alle haben Zeit, sich mit einem persönlichen Weblog zu exponieren. Zum Glück gibt es auch niedrigschwellige Einstiegsformen. Über „Social-Bookmarking-Tools“ wie del.icio.us (http://del.icio.us/) beispielsweise lassen sich sehr einfach Vernetzungs- und Effizienzvorteile erreichen. Mitarbeiter legen im Inter- oder Intranet Lesezeichen an und versehen jeden Link mit Schlagworten (Tags). Sie sehen im System, welche Kollegen die gleichen Links abgelegt haben, und können über Schlagworte nach ähnlichen Links suchen. Niemand muss bloggen. Vernetzt ist man trotzdem. So entwickeln sich Strukturen, anhand derer man Kollegen, die am selben Thema arbeiten, lokalisieren kann. „Kann es sich ein Unternehmen heute eigentlich noch leisten, dass 30 Mitarbeiter das gleiche Stichwort googeln, die gleichen Dokumente downloaden?“, fragt Röll.

Wikis – schnelle Projektarbeit 

Touristen, die in Ägypten eine Pyramide besichtigen, sehen mit etwas Fantasie vor ihrem geistigen Auge einen willensstarken Pharao, ein klares Baukonzept, ein Heer von brutalen Antreibern und viele versklavte Arbeiter. Wikis sind genau das Gegenteil davon: Wikis sind Werkzeuge, mit denen viele sehr eigenständige Menschen mit wenig Organisationsaufwand freiwillig und oft sehr begeistert an etwas arbeiten. Wikis sind Texte auf Websites, deren Inhalt jeder Besucher ändern, ergänzen oder auch löschen kann – auf dass ein „Gesamtkunstwerk“ entstehe. Ein besonders populäres Wiki-Exemplar ist die freie Enzyklopädie „Wikipedia“. Auch Unternehmen nutzen Wikis in ihren Intranets, um Mitarbeiter gemeinsam zum Beispiel an Projekten arbeiten zu lassen. Inhalte können von jedem, dem gerade eine längst überholte Information auffällt, schnell aktualisiert werden. Die alten Versionen der Texte werden nicht gelöscht, sondern dokumentiert. Die „Versionskontrollen“ machen Entwicklungsschritte transparent und ermöglichen „Lernen aus der Historie“.

Nichts für Kontrollfreaks 

Wikis entwickeln sich oft unstrukturiert und netzwerkartig. Sie können aber nachträglich strukturiert werden, um sie auch nach einer Projektarbeit als Wissensspeicher und tägliche Arbeitshilfe zu benutzen. Kurzum: Noch nie war es dank Wikis im Netz so leicht, zum „Sender“ zu werden, weil die technischen Hürden auf ein Minimum reduziert sind. „Wikiwiki“ ist ein hawaianisches Wort und bedeutet so viel wie „sich beeilen“. Der Name ist Programm. Wikis dienten zuerst den Softwarentwicklern als Arbeitsmittel. Jetzt werden sie von firmeninternen Projektgruppen genauso genutzt wie von Wissensmanagern, die Wikis als Werkzeug bei der Planung und Dokumentation von Wissen einsetzen. Sie können aber auch als Ergänzung zu einer Lernplattform oder als Diskussionsforum für Experten genutzt werden. Grundsätzlich gelten Wikis als ein junges Werkzeug, in dem viel Potenzial steckt, das besonders in Richtung „Lernsysteme“ noch ausgebaut werden muss. Um erfolgreich gemeinsam Wissen zu erarbeiten, muss man sich als Einzelner aber erst einmal damit abfinden, dass jeder am „eigenen“ Text Veränderungen vornehmen darf. Die Konsequenzen aus einer Wiki-Kooperation führen unvermeidlich zu Irritationen – insbesondere bei Mitarbeitern, die nicht gewohnt sind, Kontrolle auf- und Verantwortung abzugeben. Spezialisten für Großgruppen-Veranstaltungen werden es am ehesten erklären können, warum Menschen ab einer bestimmten Gruppengröße anfangen, ohne zentrale Kontrolle und ohne Druck zu kooperieren. Ein gutes Betriebsklima, Offenheit, gegenseitiges Vertrauen, eine ausgeprägte Fehlerkultur und eine flache Hierarchie sind wohl die Grundvoraussetzungen für kreative Gruppenprozesse.

Entgegen den klassischen Regeln für Veröffentlichungen werden Wiki-Beiträge vorher nicht Korrektur gelesen, sondern möglichst frühzeitig publiziert, um den kooperativen Prozess in Gang zu halten. Die Verantwortung für dessen Gelingen sollte ausschließlich bei den Ausführenden liegen, die in der Lage sein sollten, eine nachträgliche Qualitätskontrolle der Beiträge und einen Schutz vor verbalen Entgleisungen selbst zu organisieren. Dazu müssen Spielregeln aufgestellt werden (zum Beispiel wie mit Kritik umgegangen wird). Die Marktforscher von Gartner Research, Stamford (USA), prognostizieren auf Grund von Trendstudien, dass Wikis innerhalb der nächsten zwei Jahre die Produktivität in den Unternehmen deutlich anheben werden.

Sobald Standardsoftware-Anbieter wie Microsoft oder IBM die Wiki-Applikationen in ihre Programme integrieren und mit den bekannten Menüstrukturen verquicken, wird sich den Experten zufolge der Kollaborationsansatz schlagartig durchsetzen. „Microsofts neues Office-Paket, das im zweiten Halbjahr 2006 erscheinen soll, wird wohl bereits einige auf dem Wiki-Konzept basierende Ansätze wie Gruppeneditiermodus, Gruppenfunktionalitäten oder Versionshistorien enthalten“, meint Florian Heidecke vom Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen. Dann werde „Word“ nicht mehr länger eine Einzelnutzer-Applikation sein, sondern vermutlich auch die Möglichkeit bieten, in Echtzeit zusammenzuarbeiten.

Ausblick

Wikis, Blogs & Co. werden den Menschen in den Unternehmen in den nächsten Jahren permanente kollektive Lernprozesse bescheren. „Aber erzwingen lässt sich Partizipation nicht. Steuern und kontrollieren ebenso wenig“, warnt der Blog- Experte Martin Röll. Es reiche, wenn fünf bis zehn Prozent der Belegschaft die neuen Tools nutzten, um das Wissensmanagement in einem Unternehmen entscheidend voranzubringen. „Wenn die Schwelle zu Partizipation niedrig und der Nutzen unmittelbar ist, werden Blogs und Wikis in Kürze die ‚Mainstream- Collaboration-Tools‘ sein“, prophezeit Gartner Research.