Unabhängig von der Diskussion um den Fach- und Führungskräftekräftemangel darf im Sinne der Ganzheitlichkeit eines nicht vergessen werden: Es war für Unternehmen immer schon schwer, geeignetes Personal zu finden. Die Gründe dafür liegen nicht immer nur an einem Kandidatenmangel. Viele Unternehmen könnten erfolgreicher sein, wenn sie ihre Hausaufgaben machen würden: 

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Foto von Scott Graham

– Unklarheiten bei der Stellenausschreibung klären.
– Parameter für die Kandidatenauswahl besser abstecken.

– Erwartungen an Bewerber kritisch überprüfen.
– Lange Auswahlprozesse vermeiden.
– Unternehmens- und Führungskultur verbessern.
– Standortmarketing betreiben.
– Das Unternehmen zur attraktiven Arbeitgebermarke aufbauen.
– Aufräumen mit der Frage: „Warum sollten wir den Kandidaten nehmen?“. Und ersetzen gegen: „Wer passt zu uns und warum sollte der Kandidat zu uns kommen wollen?“

Warum geht der Fach- und Führungskräftemangel seit Jahren durch die Presse? Weil er real existiert, könnte eine mögliche Antwort lauten. Die anschließende Frage müsste sein: Wer sagt das? Und noch genauer: Wie ist derjenige vom diagnostizierten Mangel betroffen, so dass er sich die Zeit nimmt, über diesen zu sprechen?

Angesichts der Tragweite des Themas sind es keine Einzelpersonen, die den Ball im Spielfeld von Politik, Wirtschaft und sogar Gesellschaft halten. Es sind Interessensgruppen mit weitreichendem Einfluss. Darunter zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie tritt in der Frage „Fach- und Führungskräftemangel – ja oder nein?“ als Befürworterin auf. Ihre Aufgabe: Erwerbstätige in Beschäftigung zu halten und Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Ihre Mittel: Coaching, Vermittlung und Qualifizierung. Nun argumentiert die Bundesagentur für Arbeit, dass gut qualifizierten Erwerbstätigen attraktive und gut bezahlte Jobs winken. Dass dem nicht immer so ist – siehe zum Beispiel die Debatte um Absolventen und Akademikerinnen in Teilzeit – ist für die Bundesagentur bei der Ansprache einzelner Zielgruppen erst einmal nicht relevant. Andersrum argumentiert, wird auch ein Schuh daraus: Werden Erwerbstätige und Arbeitslosen nicht laufend qualifiziert, sind sie nicht gut zu im Job halten, beziehungsweise schwer vermittelbar. Der Handlungsdruck liegt dann nicht unbedingt nur bei der Agentur.

Zu den Befürwortern des Mangels gehören auch Branchenverbände. Einer der medial aktivsten ist der Verband deutscher Ingenieure (VDI). Er gibt mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) einen monatlichen Ingenieurmonitor heraus. Dieser erfasst aktuelle Entwicklungen beim Fachkräftebedarf und
-angebot  im Ingenieurwesen, und zwar auf Basis der monatlich erscheinenden Daten der BA.

Der VDI möchte mehr Schüler dazu bewegen, Ingenieurswissenschaften zu studieren. Seine Argumentation: In deutschen Unternehmen fehlten bereits Tausende Ingenieure. Ergo winken Absolventen tolle Joboptionen. So einfach ist das allerdings nicht.

Rückblende: Der Ingenieurmonitor aus dem Februar 2012 fand besondere Beachtung in der Presse – wie zum Beispiel in der Tageszeitung „Die Zeit“. Der VDI sprach von einem Rekordniveau offener Ingenieursstellen und begrüßte es vor diesem Hintergrund, dass „die Expertenkommission der Bundesregierung für Forschung und Innovation vor den Gefahren der Arbeitsmarktengpässe bei technisch-naturwissenschaftlichen Qualifikationen für den Innovationsstandort Deutschland“ warnte. Die VDI-Meldung stieß auf Kritik. Ein Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) – Karl Brenke – rechnete nach. Der VDI hatte die Fachkräftelücke für Februar 2012 auf 87.000 Personen beziffert. Brenke hingegen setzte den jährlichen Bedarf an Ingenieuren bei 30.000 an. Mehr noch: Da jedes Jahr über 50.000 Absolventen auf den Markt strömten, so der Forscher, könne von einem Rekordmangel keine Rede sein. Der aktuelle VDI-Ingenieurmonitor für Januar 2013 meldet nun 71.900 offene Stellen.    

Und noch ein Beispiel: Laut Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) habe fast jedes dritte Unternehmen wegen fehlender Fachkräfte bereits Aufträge ablehnen müssen. Gemeinsam mit dem Recruitingportal Monster.de verkauft der Verband mittelständischen Unternehmen neuerdings Seminare zum Employer-Branding. Auch der BVMW sucht die Nähe zur Politik, um auf Landes- und Bundesebene Erleichterungen für Mittelständler durchzusetzen – sei es bei der Förderung von Geschäftsideen oder – wie derzeit in Sachsen-Anhalt – die Novellierung einer Landesbauordnung.

Das Fazit aus diesen Beobachtungen: Indem Branchenverbände den Fach- und Führungskräftemangel medienwirksam thematisieren, sichern sie sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und Politik. Sie erlangen eine hohe Bedeutung als politische Partner, als Schnittstelle zur Gesellschaft. Sie machen sich für ihre Mitglieder stark, die – wie im Übrigen auch Unternehmen allgemein – in der Mangel-Diskussion als Opfer erscheinen, deren Wohl von der Unterstützung des Staates abhängt. Mit den Verbandsaktivitäten geht noch eine unternehmerische Rechnung auf: Die Ankündigung attraktiver Arbeitsmärkte erzeugt einen Ansturm auf Jobs, der Unternehmen die Personalauswahl erleichtert und hilft, Gehaltsentwicklungen im Markt zugunsten der Unternehmen zu steuern.

 

Was aber treibt die Politik an, sich den Diskussionen in Verbänden und Wirtschaft rund um den Fach- und Führungskräftemangel zu öffnen? Vor allem die Sorge um den Fortbestand des Rentensystems und die Zukunft Deutschlands als solide Exportnation. Dabei ist eine Überlegung für die Politik maßgebend: Wenn mehr Qualifizierungen in den Unternehmen zu mehr und höher dotierten Aufträgen führen und noch dazu Beschäftigten höhere Gehälter und Löhne bescheren, klingelt es auch in den Rentenkassen. Die  aber sollten gut gefüllt sein, denn Deutschland überaltert. In diesem Punkt sind sich die Experten zumindest einig.

Nachhaltigkeit ist der Megatrend der Zukunft, wird von der Europäischen Kommission vorangetrieben und fordert von Unternehmen Handlungen. Ohne ein Bewusstsein davon, sind einzelne Aktivitäten ziellos und bringen Unternehmen wenig voran. Um den künftigen Herausforderungen zu begegnen, müssen Personaler wissen, wer was warum sagt und noch dazu, wo die Reise der Wirtschaft hingeht. Und da gilt: Es muss der Mangel an Mitarbeiter behoben werden, die nicht im Einklang mit Nachhaltigkeitszielen arbeiten, lernen und denken. Das Gute daran: Ist das Ziel einmal klar, schwindet die Orientierungslosigkeit und erscheinen die Diskussionsbeiträge von Playern in einem ganz anderen Licht. Bei der Diskussion um den Fachkräftemangel sind Statistiken einzelner Verbände und Institutionen hilfreich und sollten Berücksichtigung finden. Aber sie dürfen nicht ungeachtet wichtiger Differenzierungen – die alleinigen Treiber für Entscheidungen sein. Denn wie schon der Management-Vordenker Peter Drucker sagte: „Das Schlimmste ist, effizient das Falsche zu tun.“

Fotocredit:
Dr. Stephan Barth (1) / www.pixelio.de
Rainer Sturm (2)+
(3) / www.pixelio.de

 

In einem Punkt ist der Fach- und Führungskräftemangel nicht hausgemacht und kein Politikum, sondern tatsächlich gegeben: Auf Nachhaltigkeit fokussierte Mitarbeiter und Manager. Auch wenn sich Experten – im Disput um die Zukunft der Erde – Statistikduelle liefern, so ist doch unbestritten, dass sieben Milliarden Menschen – Tendenz steigend – die Erde und ihre Rohstoffe einer Belastung aussetzen, die entweder im Kollaps von Gesellschaften oder der Natur mündet. Zum aktuellen Zeitpunkt verbraucht die Menschheit nämlich knapp 40 Prozent mehr, als natürliche Ressourcen nachwachsen könnten.

Es liegt in den Händen der Märkte, über die Zukunft der Gesellschaften zu entscheiden. Die Gestalter der Märkte sind vor allem Unternehmen. Die Gestalter in den Unternehmen sind Fachkräfte und Manager. Personaler wiederum suchen, entwickeln und binden Personal. Bislang spielte der Aspekt der nachhaltigen Ausrichtung von Bewerbern und Mitarbeiter kaum eine Rolle im Tagesgeschäft der Personaler. Damit nehmen sie ein paar – auch unternehmerisch effektive – Hebel gar nicht erst in die Hand. Die Society of Human Resources Management – ein US-amerikanischer Verband mit 250.000 Mitgliedern – ermittelte in seiner Community, dass die Arbeitsmoral von Mitarbeitern in nachhaltig orientierten Unternehmen um 55 Prozent besser ist als in vergleichbaren Organisationen ohne Nachhaltigkeitsfokus. Zudem seien die Geschäftsprozesse zu 43 Prozent effizienter, das öffentliche Ansehen um 43 Prozent stärker und die Mitarbeiterloyalität um 38 Prozent besser. Diese Zahlen haben gute Gesellschaft. Laut einer Studie der British Telecom achten zwei Drittel der Young Professionals bei der Auswahl ihres Arbeitgebers mehr auf dessen Nachhaltigkeitsausrichtung als auf attraktive Gehaltsaussichten. In einer Studie der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers aus dem Jahr 2009 gaben 86% der befragten Young Professionals an, sie würden eine Kündigung in Betracht ziehen, wenn die CSR-Werte ihres Arbeitgebers nicht ihren eigenen CSR-Vorstellungen entsprächen.