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Foto von Sergey Zolkin
Herr Prof. Kaiser, Personalthemen sind im Zuge von Fachkräftemangel und demografischem Wandel präsenter in den Medien als früher. Wird Personalmanagement demnach zukünftig wichtiger für die deutsche Wirtschaft?

Ihre Frage setzt an einer Problematik an, die das Personalmanagement schon seit mindestens zwei Jahrzehnten diskutiert: der Bedeutsamkeit von Personalern. Da schwingt immer die Hoffnung mit, dass Personalmanagement wichtiger werden könnte oder endlich überhaupt einmal wichtig. Sollte der Fachkräftemangel tatsächlich in dem Ausmaß kommen, in dem ihn viele Experten voraussagen, wäre es jedoch der falsche Ansatzpunkt, sich primär aus Profilierungsgründen damit auseinanderzusetzen.

Was wäre aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz?

Nicht darüber zu reden, wie wichtig wir als Personaler sind, sondern uns mehr auf die tatsächlichen Probleme und Lösungsansätze zu konzentrieren. Von Cato dem Älteren stammt der Ausspruch „Rem tene – verba sequentur“: Behalte die Sache im Auge, die Worte folgen erst dann. Personaler müssten das eigentlich aus dem Personalmarketing kennen: Wer ein Unternehmen als guten Arbeitgeber verkaufen will, muss zunächst den Arbeitsplatz attraktiv gestalten, um ein positives Image aufzubauen. Der umgekehrte Weg endet oft fatal, wenn neue Mitarbeiter feststellen, dass die Versprechungen nicht der Wirklichkeit entsprechen.

Wo könnte das Personalmanagement ansetzen, um seine Qualität und seine Zukunftsfähigkeit im Hinblick auf den Fachkräftemangel unter Beweis zu stellen?

Es geht darum, das gesamte Erwerbspotenzial in Deutschland besser zu nutzen. Frauenförderung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden dabei eine große Rolle spielen. Unternehmen müssen auch ihren Alterskorridor vergrößern – nach unten ist das fast noch wichtiger als nach oben. Die Bologna-Reform und die verkürzte Studienzeit des Bachelorstudiengangs sind zwar der erste Schritt. Aber da viele Studierende zusätzlich Masterstudiengänge machen, haben wir faktisch eine Studienzeitverlängerung. Personalentscheider sollten deshalb sinnvolle Karrierepfade entwickeln, damit Bachelorabsolventen ins Unternehmen gehen und dann berufsbegleitend – in einem Fernstudium oder in einer Art dualem Studium – ihren Master machen.

Muss das Personalmanagement also die Lücke in unserem Studiensystem schließen?

Nicht in dem Sinne, dass es eigene Inhalte anbietet. Aber es ist Aufgabe des Personalmanagements, den Wertschöpfungsprozess in Unternehmen so zu organisieren, dass er funktioniert. Mit neuen Konzepten wie etwa für ein berufsbegleitendes Studium können Betriebe nicht nur dem Fachkräftemangel begegnen, sondern erhöhen mit einer besseren Employability der Mitarbeiter auch ihre Effizienz.

Die Anforderungen der Arbeitswelt steigen heute nicht mehr nur langsam und kontinuierlich, sondern wir beobachten starke Sprünge. Bei der Deutschen Telekom arbeiten zum Beispiel Tausende Mitarbeiter, die Kupferkabel verlegen können. Diese Qualifikation wird bald nicht mehr in dem Ausmaß gebraucht, weil das Unternehmen auf Glaskabelfasern umstellt. Bei dieser eher revolutionären Veränderung greift das typische Lernen in kleinen Schritten nicht mehr. Das Personalmanagement sollte solche Themen als Seismograph vorhersehen und entsprechend vorbereiten.

Gutes Personal zu finden und zu fördern ist derzeit wichtig – doch es werden schwierigere wirtschaftliche Zeiten kommen. Dann möchten Unternehmen die Personaldecke flexibel anpassen. Wie schafft das Personalmanagement den Drahtseilakt zwischen Flexibilität und Mitarbeiterbindung?

Die Unternehmen haben bereits in der New-Economy-Krise viel gelernt, was das Thema Flexibilisierung angeht. In Deutschland konnten sich die Firmen in der Finanz- und Wirtschaftskrise deshalb über das Instrument der Kurzarbeit und über neue Beschäftigungsformen wie der Zeitarbeit Freiräume schaffen. Dieser Trend zum atmenden Unternehmen wird wichtiger werden. Während Unternehmen heute noch eine große Kernbelegschaft mit festangestellten Vollzeitmitarbeitern haben, wird dieser Nukleus zugunsten von neuen Beschäftigungsformen abnehmen.

Inwiefern verändert sich dadurch die Definition von „Personal“ und somit die Aufgabenpalette des Personalmanagements?

Heute kümmern sich Personalmanager primär um die Festangestellten – andere humane Leistungspotenziale, zum Beispiel freie Mitarbeiter, Leiharbeiter, aber auch Dienstleister, managen sie noch nicht. Wenn Unternehmen einen Dienstleister einkaufen, dann ist er jedoch oft mit seinen Mitarbeitern direkt vor Ort. Die eigenen, festangestellten Arbeitnehmer interagieren mit den Mitarbeitern der Dienstleister oder mit den Freelancern. Diese interaktive, humanbasierte Wertschöpfung muss ein Thema des Personalmanagements werden, auch wenn in Praxis und Forschung noch immer eine ganz andere Vorstellung von Personal vorherrscht.

Sie versuchen das Thema jedoch an der Universität der Bundeswehr in München aufzubrechen.

Wir beschäftigen uns explizit mit dem Thema – mit dem Fokus auf Freelancer im IT-Bereich, denn da finden Sie zum Teil bis zu 90 Prozent freie Mitarbeiter in den Abteilungen. Das Hauptproblem sind die juristischen Rahmenbedingungen: Stichwort Scheinselbständigkeit. Der Personalmanager von heute, der nicht selten auch Arbeitsrechtler ist, tut sich schwer damit, Personalmanagementkonzepte für diese Mitarbeiter zu machen, da er das rechtlich gesehen gar nicht darf. Sobald Personaler versuchen, diese Mitarbeiter in ihre Arbeit zu integrieren, werden diese arbeitnehmerähnlich. Der Freelancer kann sich einklagen oder das Unternehmen muss unter Umständen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.

Welche Lösung empfehlen Sie dafür?

Die Gesetzgebung dazu sollte sich langfristig ändern. In der Praxis haben sich viele Dienstleister darauf spezialisiert, Unternehmen dabei zu beraten, wie sie Freie nicht zu arbeitnehmerähnlichen Mitarbeitern machen. Eine Strategie setzt auf die sogenannten „Umbrellas“: Das sind verschiedene Stufen von Vertragsnehmern, die Freelancer einstellen. Aber das löst das Problem nicht wirklich, sondern ist eher der Versuch, rechtliche Hürden zu umgehen.

Das Thema scheint demnach noch nicht wirklich in den Personalabteilungen angekommen zu sein.

Die Unternehmen beschäftigen sich in der Tat noch recht wenig mit Fragen wie, „Kann man gemischte Teams von externen und internen Mitarbeitern führen?“ oder „Wie können wir Mitarbeiter von Dienstleistern nach sinnvollen Kriterien auswählen?“ Die externen Mitarbeiter gelten bisher als reiner Kostenfaktor und sind in Einkauf und Controlling angesiedelt. In der Konsequenz holen sich Unternehmen längerfristig externe Mitarbeiter in die Organisation hinein, haben aber keinen Einfluss darauf, ob sie zur Kultur passen und wirklich die richtigen Fähigkeiten mitbringen.

Im Zuge von Social Media entstehen auch neue Konstellationen der Mitarbeiterkommunikation. Ist das Personalmanagement auf diesem Gebiet schon fortgeschrittener?

Enterprise 2.0 und Social Media sind natürlich im Moment Hype-Themen. Da springen viele auf den fahrenden Zug auf – auch das Personalmanagement. Noch vor fünf Jahren haben wir beispielsweise mit Personalmanagern aus einem großen deutschen Konzern über Web 2.0 gesprochen: „Völlig indiskutabel“, hieß es da noch. Die technologische Entwicklung und das Userverhalten haben sich aber viel schneller verändert als gedacht. Jetzt wollen die Unternehmen mitmachen, nur sind die Gestaltungsspielräume heute nicht mehr so groß wie sie damals hätten sein können.

Bei dem Thema lässt sich zudem noch eine gewisse Trägheit beobachten: Personaler konzentrieren sich darauf, wie sie Social Media für das Recruiting nutzen können. Dass in virtuellen Netzwerken nun ein Paradigma aus den 90er Jahren, die neue Dezentralisation, Wirklichkeit wird, ignorieren viele. Dabei wäre nun Open Innovation möglich, indem Unternehmen Leistungspotenziale von Kunden oder Experten in den Wertschöpfungsprozess integrieren. Doch da passt schon allein die institutionelle, zentrale Organisation der Personalarbeit nicht zu den Mechanismen, nach denen das Web 2.0 funktioniert. Um damit zu experimentieren, müsste sich das Personalmanagement zumindest eine zusätzliche Organisationsform geben.

Personalmanager müssten also Trendthemen schneller in ihre Arbeit integrieren?

Viele Vorreiter-Themen der Forschung, die zunächst ziemlich weit hergeholt erscheinen, tauchen irgendwann plötzlich in der Praxis auf. Kollege Christian Scholz von der Universität des Saarlandes hat vor etlichen Jahren von virtuellen Organisationen und virtueller Personalarbeit gesprochen. In Wissenschaft und Praxis haben sich viele damals gefragt, was das wohl soll. Mit dem Thema Enterprise 2.0 sind wir plötzlich nicht mehr so weit weg davon. Es lohnt sich also, in die Zukunft zu denken. Was ist das Web 3.0, 4.0 oder 5.0?

Was ist diesbezüglich Ihre Prognose?

Ein relativ gewagtes Szenario könnte sein, dass wir unsere Wertschöpfung in virtuelle Welten verlagern. Es gab lange Zeit einen Hype um Second Life. Das Thema ist dann wieder in der Versenkung verschwunden, doch das gehört zu dem klassischen Hype-Cycle dazu: Themen kommen, gehen und tauchen irgendwann wieder auf. Deshalb könnten sich auch solche Welten wieder auftun, in der wir als Avatare arbeiten. Deutsche Automobilhersteller haben etwa das Problem, dass sie ihre Produktion nicht ohne weiteres nach China verlagern können, weil ihnen dort die Fachkräfte fehlen und die Deutschen nicht unbedingt dort hin wollen. Virtuelle Welten wären dafür eine Lösung – sicher nicht in den nächsten zwei oder drei Jahren, aber vielleicht dennoch in absehbarer Zukunft.

Wer sich die Entwicklung von Facebook anschaut, kann sich schon vorstellen, dass die Arbeitswelt sich in virtuelle Welten verschiebt. Wir wissen aber heute noch nicht, welche Plattformen sich tatsächlich durchsetzen werden. Wie kann sich das Personalmanagement darauf vorbereiten?

Das ist eine Ressourcenfrage. Wenn Sie heute in eine Personalabteilung reinschauen, dann haben Personaler dort normalerweise keine Zeit für solche Themen. Sie verfügen auch nicht über das nötige Budget. Unternehmen sollten deshalb Redundanzen und Freiräume schaffen, wie das in der Produktentwicklung gang und gäbe ist: Dort beschäftigen sich spezielle Einheiten mit nichts anderem als mit Innovation. Solche innovativen Divisionen bräuchten Unternehmen auch in der Personalabteilung: Mitarbeiter, die sich intensiv mit der Arbeitswelt 2020 auseinandersetzen.

Interview: Stefanie Hornung