Der vollständige Forschungsbericht „The State of Human Capital 2012 – False Summit“ steht zum Download bereit: www.personal-manager.at/studien

two people drawing on whiteboard
Foto von Kaleidico

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 1 Jänner / Februar 2013

Doch wie können Unternehmen den künftigen Personalbedarf ermitteln und langfristig einen Pool mit hoch qualifizierten Mitarbeitern aufbauen? Die Studie „The State of Human Capital 2012 – False Summit“ zeigt, dass Personalverantwortliche weltweit die strategische Personalplanung nach Leadershipdevelopment und Talentmanagement als Top-3-Thema im Bereich HR für die Zukunft identifizieren (Abbildung 1). Strategic Workforce Planning (SWP) gibt Personalabteilungen ein effizientes Instrument an die Hand, um aus dem Wettbewerb um Talente langfristig erfolgreich hervorzugehen. SWP liefert Informationen und Einsichten über die aktuelle Belegschaft sowie über die Kenntnisse und Fähigkeiten, die das Unternehmen zukünftig benötigt. Vier substanzielle Schritte helfen dabei, den richtigen Kurs einzuschlagen:

Eine gewisse Ambivalenz ist nicht von der Hand zu weisen. In Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit in vielen Industrienationen von einem ausufernden Fachkräftemangel zu sprechen, ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar. Die landläufige Meinung ist weiterhin, dass Arbeitskräfte generell leicht zugänglich, bezahlbar, einfach einzustellen, sofort produktiv und räumlich vollkommen flexibel sind. Ein Trugschluss, denn die Hürde für hoch qualifiziertes Fachpersonal wächst stetig und immer weniger Menschen erfüllen die gestiegenen Anforderungen.

Eine Situation, die sich zukünftig eher verschärfen wird. Für das Jahr 2020 rechnet das McKinsey Global Institute damit, dass in den USA rund 40 Millionen Arbeitskräfte mit Hochschulabschluss 90 bis 95 Millionen Menschen mit mittlerem und niedrigem Bildungsgrad gegenüberstehen werden. Auch die Absolventenrate stellt den US-amerikanischen Arbeitsmarkt auf die Probe: 1,5 Millionen Akademiker fehlen; das gilt es zu kompensieren.

Doch nicht nur die USA kämpfen mit fehlenden Humanressourcen. Das weltweite Missverhältnis von Angebot und Nachfrage ist das Produkt einer Reihe von Faktoren makroökonomischer und sozialpolitischer Fehlentscheidungen und Barrieren. Vieles scheitert bereits an der Basis. Reformen des Bildungssystems werden als uneffektiv verurteilt, bevor sie erste Früchte tragen, oder sie werden gar nicht erst umgesetzt. Frauen arbeiten in vielen Teilen der Erde weiterhin nur im Niedriglohnsektor, allen voran in Ländern wie China und Indien. Dabei sind es gerade diese beiden Staaten, in denen CEOs das Thema Human Capital als die größte strategische Herausforderung der nächsten Jahre sehen. Während in Asien, den USA und Lateinamerika gut ausgebildete Experten fehlen, kämpft Europa mit alternden Belegschaften.

Personalmangel ist ein globales, kein regionales Problem. Vor diesem Hintergrund müssen gerade international tätige Unternehmen es mehr denn je verstehen, sich in diesem schwierigen Umfeld zu bewegen, und sich für die Zukunft gut aufstellen. Wie das gelingen kann, zeigt der Forschungsbericht „The State of Human Capital 2012 – False Summit“ von The Conference Board sowie McKinsey & Company. Gestützt auf Aussagen von 517 Führungskräften aus verschiedenen Kontinenten, die Arbeitsergebnisse von 18 Fokusgruppen und die Auswertung von über 100 wissenschaftlichen Quellen beschreibt die Untersuchung die wichtigsten Handlungsfelder, mit denen Human Resource Management einen bedeutsamen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann, und zeigt kurz- und langfristige Perspektiven auf. Im Wesentlichen lassen sich vier Handlungsfelder identifizieren, die erfolgskritisch für das moderne Personalmanagement sind.

  1. Arbeitsplatz der Zukunft jetzt gestalten: Langfristig ausgerichtete Personalprozesse gewinnen an Bedeutung. Unternehmen müssen Aufbau- und Ablauforganisationsstrukturen neu denken: Sich ändernde Verhaltensmuster und neue Technologien verlangen nach innovativen Ansätzen für den Arbeitsplatz der Zukunft. So sollten Personalabteilungen – ähnlich wie das Marketing – ihre Märkte segmentieren. Wer maßgeschneiderte Employee Value Propositions (EVPs) vorweisen und Nachwuchskräfte begeistern kann, ist auf dem richtigen Weg. Gerade die jüngere Generation können Unternehmen mit global aufgestellten Teams, virtuellen Arbeitswelten, Performancemanagement, kulturellen Trainings und internen Social-Media-Kanälen überzeugen.
  2. Langfristig engagiertes Personal binden: Wenn Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich am Arbeitsplatz zu entfalten und persönlich weiterzuentwickeln, steigen Engagement und Zufriedenheit. Solche Energieschübe verbessern die Arbeitsergebnisse – sowohl quantitativ als auch qualitativ.
  3. Flexibilität und Agilität im HR-Bereich steigern: Schneller ist besser: Personalabteilungen steigern ihre strategische Legitimation, indem sie die Belegschaft auf den konstanten Wandel innerhalb des Unternehmens und im gesellschaftspolitischen Umfeld vorbereiten. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) belegt, dass agile Organisationen eine um 30 Prozent höhere Wertschöpfung besitzen. Die rein transaktionsorientierte Arbeitsweise der Personalabteilung muss einer strategisch ausgerichteten Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung weichen. Flexibilität und Agilität entstehen durch Verständnis, Wissen und Legitimation.
  4. Pool hoch qualifizierter Mitarbeiter aufbauen und stärken: Das richtige Personal an den richtigen Stellen einzusetzen, ist eine der größten zukünftigen Herausforderungen der Personalabteilung. In Zeiten flexibler Arbeitszeitmodelle werden diese Berechnungen zunehmend komplexer – und wichtiger.

Nur wer weiß, welche Kenntnisse und Fähigkeiten das Unternehmen benötigt, um seine Ziele zu erreichen, kann gezielt suchen. Daher ist es wichtig, die Unternehmensstrategie mit der HR-Strategie abzugleichen. Strategic Workforce Planning hilft dabei. Personalmanager arbeiten in diesem Prozess eng mit der Strategieabteilung zusammen, um in einem Soll-Ist-Vergleich die kritische Lücke zu definieren. Ein Aufwand, der auf den ersten Blick überschaubar ist. Für valide Ergebnisse bedarf es jedoch analytischer Kenntnisse, die weit über das Mindestmaß hinausgehen. Von Vorteil erweisen sich Teammitglieder, die über einen starken akademischen Background in den Themengebieten Neurowissenschaft, Maschinelles Lernen und Statistik verfügen. Neben internen Daten kann das fortgeschrittene SWP auch externe Daten aus den Bereichen Arbeitsmarkt, Mitbewerberbedarf, Beschäftigungsumfeld und flexible Arbeitszeitmodelle analysieren. Zur weiteren Auswertung kommen moderne Human Resources Information Systems (HRIS) zum Einsatz, die Informationen über Kenntnisse und Fähigkeiten mit Daten über Produktivität und Demografie verknüpfen können. Die Analyse von Daten übernimmt eine Schlüsselrolle, um zukünftige Wettbewerbsvorteile zu eruieren.

Personaler müssen lernen, die Sprache des Managements zu sprechen: Wer für teure Personalbeschaffungs- beziehungsweise Entwicklungsprogramme keinen Business-Case vorlegen kann, bekommt auch keine zusätzlichen Ressourcen. Personalabteilungen müssen belegen können, welchen Mehrwert sie langfristig leisten: „Wir verlieren Erlöse X von Möglichkeit Y, wenn wir keine Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Z aufweisen können.“ Solche klaren Aussagen schaffen Transparenz und stützen das eigene Vorhaben. Im besten Fall sollte der vorzulegende Business-Case durch adaptierbares Zahlenmaterial dynamisch aufgebaut sein. Auswirkungen, die sich durch Änderungen der Unternehmensstrategie, der Märkte und der Kundenvorlieben ergeben, sind so direkt ersichtlich.

Um Innovation durchzusetzen, ist es unerlässlich, kalkulierbare Risiken in Kauf zu nehmen. Es gibt eine Vielzahl an kaum entwickelten Talentgruppen, die Unternehmen bewusst aussparen, da sie zum einen das Risiko scheuen und zum anderen nicht wissen, wie sie diese Gruppen akquirieren und entwickeln sollen. In Schwellenländern setzen international agierende Unternehmen beispielsweise oft auf Expats in Führungspositionen, anstatt lokal nach Talent zu suchen. Ein innovativer Ansatz wäre etwa, nach hoch talentierten Frauen zu suchen, die in diesen Ländern zu einer bislang kaum entwickelten Gruppe gehören, aber Expats ersetzen könnten. Um dies erfolgreich umzusetzen, müssen Unternehmen kulturelle Unterschiede berücksichtigen, auf die spezifischen Bedürfnisse der Frauen eingehen und gewisse Schutzsysteme aufbauen. Oft scheitert beispielsweise eine erfolgversprechende Karriere an familienbezogenen Problemen oder internen Auseinandersetzungen mit männlichen Kollegen. Mentorenprogramme für Frauen und der Aufbau von Frauennetzwerken helfen hier ebenso wie Personenschutz auf dem Weg zur Arbeit (hohe Überfallquote führt zu Ablehnung durch Familie) und spezielle Veranstaltungen für Familienangehörige, um deren Vertrauen zu erlangen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Unternehmen, die es schaffen, auf diese Weise eine Balance zwischen globaler Standardisierung und Einbindung sowie lokaler Implementierung zu finden, profitieren vom Besten aus beiden Welten. Sie können über einen weit gefassten und vielfältigen Talentpool verfügen, der sowohl global als auch regional ausgerichtet ist.

Neben diesen generellen Lösungsschritten können innovative Ansätze das SWP in einigen Punkten optimieren, wenngleich hier in vielen Bereichen in der Praxis noch Entwicklungspotenzial besteht (Abbildung 2). Erwähnenswert ist hier zum Beispiel die Zusammenarbeit mit externen Partnern. Partnerschaften mit Schulen und Universitäten sowie ein produktiver Austausch mit Regierungen helfen etwa, die benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten künftiger Mitarbeiter frühzeitig zu entwickeln.

Darüber hinaus gilt es, die interne Stellenbesetzung und Rekrutierung zu optimieren. Unternehmen können nur dann auf eine engagierte und loyale Belegschaft bauen, wenn sie ihren Mitarbeitern Wertschätzung entgegenbringen. Das gilt erstens für Expats. Auslandseinsätze dürfen keine Sackgasse sein, sondern sollten eine Chance darstellen. Unternehmen müssen Expats eine strategisch wertvolle Rolle in langfristigen Auslandseinsätzen einräumen, damit sie ihnen nach ihrer Wiederkehr eine verantwortungsreiche Position im Unternehmen geben können. Zweitens dürfen Arbeitgeber intern Jobsuchende bei der Stellenbesetzung nicht übergehen. Das interne Recruiting sollte als erster Schritt bei der Stellenbesetzung so systematisch und nuanciert aufgebaut sein wie das externe Recruiting. Talent schlummert überall – auch im Verborgenen.

Unternehmen müssen sich die Frage stellen, ob Talent tatsächlich immer nur dort verfügbar ist, wo sie es vermuten. „Adjazente Ansätze“ versuchen, die Kernkompetenzen eines Unternehmens in neuen Bereichen einzusetzen. Dieses Vorgehen hilft, Märk-te zu öffnen und Wettbewerbsvorteile zu generieren. Beispielsweise kann Wissen im Bereich Keramik nicht nur hilfreich bei der Herstellung von Geschirr sein, sondern auch in der Halbleiterindustrie zielorientiert eingesetzt werden. Der Formel-1-Rennstall McLaren transferierte etwa seine Kenntnisse in der Real-Time-Datenanalyse vom Rennsport zur Medizin. Das Spezialverfahren aus dem Motorsport, bei dem Daten hochpräzise gesammelt und analysiert werden, hilft in adaptierter Form bei der Untersuchung von Patienten.

Ähnlich verhält es sich mit den Kenntnissen und Fähigkeiten der Belegschaft. Nach der erfolgreichen Definition des Personalmangels und des Mehrwerts zusätzlicher Ressourcen in Schritt eins und zwei müssen Personalabteilungen die potenziellen Quellen identifizieren, die das entsprechende Skillset zur Verfügung stellen. Der adjazente Ansatz hilft, Talent zu sichten, das vorher verborgen blieb. Um effektiv an das Thema heranzugehen, ist es empfehlenswert, die unternehmenseigene Wertschöpfungskette in den Mittelpunkt zu stellen. Personaler gleichen die dort verfügbaren Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter mit dem Anforderungsprofil ab und können so erkennen, ob externer Bedarf entsteht oder intern adaptiert und nachgeschult werden sollte. Kann der wortgewandte Controller das Supply-Chain-Management vorantreiben? Solche Überlegungen sind dabei explizit erwünscht. Wichtig ist es, einen individuellen Plan für jeden Mitarbeiter festzulegen. Karrierewege, Wirkungszeit und -dauer sowie Wechselwirkungen sind zu berücksichtigen. Moderne HRIS-Systeme helfen, den Überblick zu behalten, denn neu platzierte Fachkräfte hinterlassen eine Lücke an ihrem bisherigen Einsatzort.