Herr Tjitra, welchen Herausforderungen stehen internationale Joint Ventures mit Blick auf den interkulturellen Dialog gegenüber?

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Foto von Chris Benson

Internationale Joint Ventures (IJV) bergen spezifische Herausforderungen: Erstens sind verschiedene Shareholder an ihnen beteiligt, die unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben. Deswegen können hier Missverständnisse über Ziele und Erwartungen an IJVs sowie über das Rollenverständnis des Topmanagements in IJVs öfter vorkommen als bei rein nationalen Joint Ventures. Zweitens ist der kulturelle Hintergrund der Topmanagement-Teams nicht gleich, so dass sie zusätzliche interkulturelle Kompetenzen benötigen, um eine effektive Kommunikation und Zusammenarbeit zu gewährleisten. Drittens spielen nationale und organisationale Kulturen bei einem IJVs eine komplexe Rolle.

Veranstaltungstipp

Messe Zukunft Personal 2010

Keynote-Vortrag

von Prof. Dr. Hora Tjitry

 

Donnerstag, 14. Oktober 2010,

14.30 – 15.30 Uhr, Keynote-Forum,

im Anschluss Public Interview

www.zukunft-personal.de

Was versteht die Psychologie unter Kultur?

Eine Studie aus den 60er Jahren identifizierte mehr als 160 verschiedene Definitionen von Kultur. Der holländische Psychologe Geert Hofstede definiert Kultur als „Software of the mind“. Eine alternative Definition bietet der Regensburger Psychologe Alexander Thomas an, der Kultur als „Orientierungssystem“ beschreibt. Einfach formuliert, lässt sich sagen: Aus Sicht der Psychologie kann Kultur als System verstanden werden, das seine jeweiligen Mitglieder beeinflusst und ihnen Orientierung gibt, damit sie spezifische Situationen verstehen können, um entsprechend zu agieren oder zu reagieren. Die Art und Weise also, wie wir die Welt wahrnehmen, wird durch unsere jeweilige Kultur beeinflusst und geführt.

Existiert eine weltweite Management-Etikette, welche eine globale Topmanagement-Kultur begründet?

Ich bin mir nicht so sicher, ob wir wirklich von universellen Management-Prinzipien sprechen können, die weltweit in jeder Kultur und jedem Land gelten. Vielmehr würde ich von universellen Werten sprechen, die die Topmanagement-Kultur beeinflussen, wie zum Beispiel das Konzept der Stakeholder Values. Bei den IJVs beobachte ich hingegen, dass ein und dasselbe Wort in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutungen haben kann, insbesondere bei der Umsetzung in der Praxis. Ich denke da zum Beispiel an das Wort „Gewinn“: Wie hoch und wie schnell soll er erzielt werden? Und welche Prioritäten setzen verschiedene Stakeholder? Je nach Kultur sieht die Antwort anders aus.

Westliche Topmanager stehen in dem Ruf, ein hohes Durchsetzungsvermögen sowie einen ausgeprägt rationalen Strategiesinn zu besitzen. Wie leicht kann es einer solchen Persönlichkeit fallen, interkulturelle Sensibilität zu entwickeln?

Ein hohes Durchsetzungsvermögen und die Fähigkeit zum strategischen Denken sind in der Tat wichtige Kompetenzen für Topmanager. Für international tätige Führungskräfte ist dieses hohe Durchsetzungsvermögen förderlich bei der Entwicklung interkultureller Kompetenz und Sensibilität, und zwar in besonderer Weise: Es sind dabei Differenzen bei westlichen und asiatischen Führungskräften zu beobachten. Ich erkläre sie immer mit dem Unterschied zwischen einer Eiche und einem Bambus. Während ein großes Durchsetzungsvermögen im westlichen Verständnis damit assoziiert wird, dass jemand unter allen Umständen bei seiner Meinung bleibt – wie eine Eiche, interpretieren Asiaten Durchsetzungsvermögen als hohe Flexibilität, die einen Menschen befähigt, Ziele niemals aufzugeben – wie ein Bambus.

Inwiefern müsste ein Topmanager im interkulturellen Dialog zunächst seine eigene Verankerung in einer Kultur klären? Viele deutsche Manager könnten nicht einmal sagen, wie und durch welche Kultur sie geprägt sind.

Dieses reflektierte Verständnis von der eigenen Kulturprägung ist der erste und wichtigste Schritt hin zu einer höheren interkulturellen Kompetenz und Sensibilität. Angesichts der Globalisierung ist es für Global Player wichtig geworden, ein Bewusstsein von der eigenen Kultur zu haben, und davon, wie diese das eigene Denken und Verhalten bestimmt. Und zwar aus zweierlei Gründen: Erstens haben wir durch die Globalisierung sehr viel mehr Kontakte mit sehr vielen verschiedenen Kulturen. Je mehr wir uns aber kennen, desto besser und schneller werden wir in der Lage sein, andere zu verstehen – selbst wenn uns das vielleicht nicht in aller Tiefe gelingt. Zweitens hilft uns diese Beschäftigung unsere eigene kulturelle Identität zu bilden, die sich wiederum signifikant auf unseren Berufserfolg und unsere allgemeine Lebenszufriedenheit auswirkt.

Manche Unternehmen versuchen kulturellen Unterschieden durch eine eigene Unternehmenskultur zu begegnen. Wie gut kann dies gelingen?

Insbesondere bei global agierenden Unternehmen wirkt sich eine starke Unternehmenskultur, die zugleich hohe Flexibilität in Bezug auf nationale kulturelle Unterschiede aufweisen kann, sehr günstig auf den nachhaltigen Unternehmenserfolg aus. Sie bildet nämlich eine effektive Plattform für kulturelle Dialoge und fördert bei den Beschäftigten das Zugehörigkeitsgefühl. Die Herausforderung liegt aber darin, die nationalen und organisationalen Kulturen zu managen. Mit anderen Worten: Was muss lokal adaptiert werden und was soll weltweit gleich verankert sein? Ohne eine starke Corporate Culture verlieren global agierende Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile. Zum Beispiel: Ein Unternehmen deutscher Wurzel wird in China weder erfolgreich sein, wenn es die Art chinesischer Unternehmer, Geschäfte zu machen, einfach kopiert, noch wird es mit einer typisch deutschen Strategie gut fahren. Die Lösung liegt darin, den deutschen kulturellen Wettbewerbvorteil weiterhin zu verankern und lokale Praktiken zu integrieren.

Hat interkulturelle Sensibilität mehr mit explizitem oder implizitem Wissen zu tun?

Interkulturelle Kompetenz und Sensibilität hat mit beiden Typen des Wissens zu tun. Einige Grundlagen im expliziten Wissen – also zum Beispiel Geschichte oder Namen wichtiger Personen zu kennen – sind nötig. Aber das reicht nicht, um mit kulturellen Unterschieden effektiv zurechtzukommen. In unseren vergleichenden Studien zur interkulturellen Sensibilität mit Führungskräften in Deutschland und Asien fanden wir heraus, dass es signifikante kulturelle Unterschiede darin gibt, wie viel explizites oder implizites Wissen Menschen brauchen und wie sie es verwenden. Während Deutsche vor allem explizites Wissen und rationales Hintergrundwissen beanspruchen, verlassen sich beispielsweise Indonesier mehr auf ihre intuitive Sensibilität. Ihr implizites Wissen besteht darin, zu fühlen, was wann richtig oder falsch ist.

Wie adaptieren chinesische Manager westliche Kulturen, um mit den Menschen dort besser zurechtzukommen? Gibt es tradierte Techniken?

Unsere eben angesprochene Studie zeigt, dass Chinesen einen weltweit einzigartigen Ansatz im Umgang mit Kulturdifferenzen verfolgen. Wir nennen ihn „Differenzharmonisierung“ (siehe Grafik). In einer Situation der kulturellen Begegnung imitieren die Chinesen zuerst den fremden Stil, bevor sie ihn dann langsam in ihr Verhalten integrieren. Der übliche westliche Ansatz weicht davon ab. Westliche Menschen halten ihre Identität in derselben Situation eher aufrecht, bevor sie sich dann womöglich adaptieren. Chinesen konzentrieren sich darauf, die Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Parteien zu maximieren um soziale Harmonie herzustellen, während westliche Personen versuchen, Unterschiede zu integrieren, um mögliche kulturelle Synergien zu schaffen.

Abbildung: Differenzharmonisierung in China

Wie gelingt es, Topmanager zu einer Identifikation mit einem Joint Venture zu motivieren?

Erstens braucht es klare Ziele, die von allen Shareholdern geteilt werden. In grenzüberschreitenden IJVs müssen Topmanager achtsam gegenüber unterschiedlichen, kulturell begründeten Zielinterpretationen sein. Zweitens sollten Topmanager Vertrauen, Entscheidungsbefugnisse und klare Rollenzuweisungen bekommen. Drittens müssen ein System und eine Infrastruktur geschaffen werden, die alle Topmanager befähigt und ermutigt, als Team zu agieren. Dazu gehören zum Beispiel Organisationsstrukturen, Compensations und Benefits sowie Performance Management.

Ist es mit Blick auf unser Thema hilfreich, dass Gesellschaften weltweit im Globalisierungsprozess zusammenwachsen? Oder anders herum gefragt: Wie viel Unterschied tut gut?

Den Begriff von der Welt als „Global Village“ gibt es schon eine Weile im Zuge des Internetzeitalters. Es ist richtig, dass die Globalisierung Distanzen reduziert und zu einem gewissen Grad auch kulturelle Unterschiede. China beispielsweise entwickelt sich in die globale Gesellschaft hinein; zu erkennen ist das an verschiedenen Aspekten wie der Anzahl an Autos, der Präsenz von McDonald´s oder dem Ausschank von Paulaner Bier. Andererseits erkennen mehr und mehr multinationale Firmen, dass sie Produkte für den heimischen Markt in China entwickeln sollten, statt ihre globalen, erfolgreichen Produkte dort zu verkaufen.

Schlussendlich ist kulturelle Diversity etwas Positives und kann befruchtend in Bezug auf Innovationen oder Unternehmensperformances wirken. Es ist aber auch Fakt, dass kulturelle Diversity Probleme und Verluste bescheren kann. Nach meinem Verständnis geht es nicht um die Frage, wie viel Differenz gut tut, sondern darum, wie wir mehr interkulturelle Kompetenz in unserer Gesellschaft verankern können. Wir können dabei nicht verhindern, dass die Welt im Zuge dessen „flacher“ wird. Aber das bedeutet nicht, dass kulturelle Unterschiede abnehmen, sondern dass sich zunehmend Leute mit unterschiedlichem kulturellen Background begegnen und zusammenleben. Daher, je höher diese interkulturelle Kompetenz und Sensibilität in der heutigen Gesellschaft desto mehr kulturelle Heterogenität ist möglich. Wenn wir das als Vorteil sehen, haben wir größere Chancen, eine bessere Welt für alle Menschen zu gestalten.

Interview: Stefanie Heine