Jürgen Mayer muss schmunzeln. Soeben hat ihn ein Kollege der hauseigenen Softwareentwicklung angerufen, um ihm mitzuteilen, dass zwei der Bearbeitungsmasken des digitalen Mittelbewirtschaftungssystems „BayMBS“ angepasst werden mussten, weil sich die Stammdatenverwaltung geändert hat. Jetzt muss auch das entsprechende Lernprogramm geändert werden. Erst vor einer Woche hatte Mayer, Leiter des bayrischen E-Learning-Kompetenzzentrums beim Landesamt für Finanzen in Regensburg, den Onlinekurs an die Mitarbeiter von über 40 Behörden verteilt.

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Foto von Arlington Research

Und nun soll alles noch mal geändert werden? Was andernorts den Rückruf ganzer Lernprogramme und monatelange Verzögerungen auslöst, ist kein Problem für Mayer. Er startet das webbasierte E-Learning-Redaktions-system „author42“ in seinem Internet-Browser, ruft dort den Kurs auf und tauscht die alten Screens durch die gelieferten neuen aus. Noch ein Mausklick und der aktualisierte Onlinekurs liegt auf der Lernplattform. „Mit dem Redaktionssystem haben wir den gesamten Prozess der Produktion von Onlinelerninhalten selbst in der Hand“, freut sich Meyer. „Wir sind nicht darauf angewiesen, bei kurzfristigen Änderungen eine Agentur einzuschalten. Das gibt uns enorme Freiheit bei der Content-Planung.“

Das Autorentool „author42“ des Kölner E-Learning-Dienstleisters bureau42 GmbH (www.bureau42.de) ist Teil einer ganzen Kette von Maßnahmen, mit denen der Freistaat Bayern zukünftig immer mehr klassische Weiterbildung durch Blended-Learning-Konzepte ersetzen will. Das Projekt „BayLern“ gliedert sich in drei Hauptaktivitäten:

  • Aufbau, Bereitstellung und Betrieb einer Lernplattform.
  • Beratungs- und Servicedienstleistungen durch Weitergabe der Kompetenzen im Bereich Organisation, Medien, Didaktik und Technik.
  • Content-Erstellung durch Betrieb, Bereitstellung und Schulung geeigneter Autorentools.

Das Kompetenzzentrum E-Learning hat das Konzept zur Content-Erstellung von Anbeginn in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt. Richtig wurde analysiert, dass der mittel- und langfristige Erfolgsgarant immer die Bereitstellung von ausreichenden und aktuellen Lerninhalten ist. „Lernplattformen mit üppig gestalteten didaktischen Konzepten mit nur wenigen Onlinelernmodulen sind wie Zeitungskioske ohne Zeitungen“, so Mayer. Auch war ihm klar, dass man nicht allein auf die Fremd- oder Selbstproduktion von Inhalten setzen konnte. „BayLern“ verfolgt deshalb ein gemischtes Konzept von Kooperation und steuernder Koordination:

  • Content-Sharing: „BayLern“ kooperiert mit anderen Bundesländern, etwa mit Sachsen oder NRW, bei der Entwicklung von Inhalten zum Thema „Staatsrecht“ oder „Zielvereinbarung in der öffentlichen Verwaltung“.
  • Content-Reuse: „BayLern“ kooperiert mit Fachhochschulen in Bayern bei der Entwicklung forschungsaktueller Inhalte.
  • Content-Sourcing: „BayLern“ kooperiert mit den eigenen Behörden nach dem Prinzip „Inhalte werden dort entwickelt, wo das lokale Know-how zu finden ist“.

Wo immer möglich, werden die Partner eingeladen, das Autorentool zu nutzen. So konnten bereits mehrere dezentrale Autorenteams innerhalb der Behörden auf die Beine gestellt werden. Die Rolle der koordinierenden Beratung übernimmt das Team von „BayLern“, das Autoren zentral ausbildet und sie didaktisch unterstützt. Der Beratungsservice setzt schon in der Frühphase eines neu definierten Projekts an, dann nämlich, wenn durch die Personalentwickler entschieden wird, ob und wie man eine Weiterbildungsmaßnahme mittels ELearning umsetzen kann. Hier wird analysiert, ob es für das Thema bereits Standardkurse oder durch andere Verwaltungen erstellte Kurse gibt. Ob die Umsetzung in einen E-Learning-Kurs angesichts der geringen Zahl der Nutzer, der zeitlich begrenzten Nutzung oder der Komplexität des Themas didaktisch oder wirtschaftlich gar nicht sinnvoll ist. Und – wenn doch – ob der Kurs selbst oder durch eine Fremdfirma erstellt wird.

Umfangreiche Lerninhalte

Die Mitarbeit am Fachkonzept bleibt einem auch bei der Vergabe des Auftrages an Dritte meist nicht erspart, da verwaltungsspezifisches Fachwissen außerhalb oft nicht vorhanden ist. Durch ein gut strukturiertes Fachkonzept und entsprechende Vorarbeiten können hier aber erheblich Kosten eingespart werden. Dazu schult das Kompetenzzentrum die Verantwortlichen in den methodisch didaktischen Grundlagen der Kurserstellung und übernimmt je nach Anforderung die Projektleitung. Fällt die Entscheidung zu Gunsten einer Eigenproduktion stellt das Kompetenzzentrum Zugänge zum Autorensystem zur Verfügung und führt entsprechende Einführungsschulungen durch.

Die Steuerung des Prozesses mit dem Redaktionssystem ermöglicht es, die Entwicklung der Inhalte jederzeit online zu verfolgen und unterstützend einzugreifen. Auf diese Weise wurden in wenigen Monaten mit nur geringen Mitteln umfangreiche Lerninhalte erstellt und zur Verfügung gestellt.

Ob sich die koordinierten Eigenentwicklungen rechnen, muss immer nach dem Einzelfall beurteilt werden. Besonders die folgenden Kosten sind in den Blick zu nehmen:

  • Beschaffung oder Eigenerstellung von Onlinelernprogrammen
  • Fachliche Betreuung der Lerner während der Onlinelernphase
  • Schulung von Mitarbeitern, die mit der Konzeption und Organisation neuer Blended-Learning-Lernformen befasst sind.


Kooperation mit der Industrie

In Baden-Württemberg nimmt die Polizei mit dem Innovationsprojekt „Polizei Online“ die Rolle des Schrittmachers ein. Über ein Public Privat Partnership (PPP) mit der Deutschen Telekom AG werden Vorgehensmodelle zur Unterstützung von Personal- und Organisationsentwicklung erprobt, die über die Führungsakademie Baden-Württemberg auch der gesamten Landesverwaltung zur Verfügung gestellt werden. Auch bei der Content-Erstellung geht man den Weg der Kooperation mit Industrieunternehmen.

Mit der Berliner digital spirit GmbH (www.digital-spirit.de) besteht eine Vereinbarung zur Entwicklung und Vermarktung von Lerninhalten. Neben der Bereitstellung des Autorentools „eLearningStudio“ wurden mehr als 100 Autoren für die Erstellung von Content geschult. Per Vermarktungsvertrag hat digital spirit die Vertriebsrechte an so entstandenen Lerninhalten erhalten. Eine Zusammenarbeit, die sowohl qualitativ als auch finanziell Früchte trägt. Die Blended-Learning-Fortbildung zur Einführung des digitalen Fahrtenschreibers, die rund 10.000 Beschäftigte durchlaufen, wurde mit dem E-Learning-Award eureleA ausgezeichnet. Im In- und Ausland besteht reges Interesse an dem innovativen Bildungskonzept. Mehrere Bundesländer, darunter Bayern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Sachsen, und auch die Polizei in der Schweiz nutzen die Inhalte bereits. Das nächste Lernprogramm zu bundeseinheitlichen Festnahmeverfahren soll ab März von digital spirit vertrieben werden.

„Diese Kooperation ist ein Präzedenzfall mit Signalwirkung“, sagt Karl Würz, bei digital spirit zuständig für Business Development. „Wir übernehmen die Vermarktung und die Anpassung. Die Aufteilung der Lizenzeinnahmen regelt ein Grundsatzvertrag, der für neue Produkte jeweils ergänzt wird.“

Digital spirit sieht das Engagement auch als Investition in die Zukunft. „Das langfristige Ziel ist, eine Mischform zu finden zwischen internen Autoren der Behörden und externen Autoren bzw. Verlagscontent“, sagt Würz. Momentan wird eine digitale Gesetzessammlung als Ergänzung zum Lernprogramm „Digitales Kontrollgerät“ erstellt, die passgenau alle Spezialgesetze dazu bereitstellen wird. „Ob und wie sich das Modell ‚Kunde erstellt Content, der Verlag dazu passgenau begleitende Fachinformationen‘ ausbauen lässt, hängt von der Entwicklung innerhalb der Behörden ab“, so Würz.

Die Chancen stehen gut, dass E-Learning bzw. Blended Learning bei Behörden auf dem Vormarsch ist. Die öffentliche Verwaltung ist im Umbruch. Große Reformen stehen an. Themen wie „Neue Steuerung“ und „E-Government“ hallen durch die Behördenflure. „Auf Grund von Gesetzesänderungen oder der Einführung neuer Managementinstrumente entsteht häufig kurzfristiger Bedarf an Bildungskampagnen, der sich rein über Präsenzveranstaltungen nicht mehr abdecken lässt“, schildert Gregor Lange, Leiter der Fortbildungsakademie des Innenministeriums NRW, die Lage, in der an E- bzw. Blended Learning kein Weg vorbeiführt.

„Eine Kombination aus E-Learning begleitet von Präsenzveranstaltungen halten wir für ein gutes Mittel. Durch den Testsieg unseres Lernprojekts „Mitarbeitergespräch führen – Ziele vereinbaren“ beim „ContentCHECK“ von CHECKpoint eLearning und durch die positive Evaluierung von Professor Kerres sehen wir uns darin bestärkt.“

Reger Tauschhandel

Das Lernprogramm, das zwei Lernstunden umfasst und in 20-minütige Lernportionen eingeteilt ist, wurde von der CBT+L GmbH (www.cbt-l.de) aus dem bayrischen Herrsching produziert. Die Bedienung ist selbsterklärend, zusätzlich stehen die Lerninhalte als Hör-CD sowie als gedruckter Lehrbrief zur Verfügung. Dass derartige Qualität ihren Preis hat, versteht sich von selbst. Solche Produktionen bringen einen hohen Manpower- und finanziellen Aufwand mit sich. Für Lange geht die Rechnung dennoch auf. Zum einen richtet sich das Programm an alle 400.000 Beschäftigten des Landes. Außerdem galt die Maßnahme in zweifacher Hinsicht als strategisches Pilotprojekt. Die Landesverwaltung hat mit dem Programm zum ersten Mal die Möglichkeit, die wesentlichen Lerninhalte zu Mitarbeitergespräch und Zielvereinbarung auf aktuellem Stand zu vereinheitlichen. „Das schafft eine gemeinsame Behördenkultur und erhöht damit die Steuerungsfähigkeit für eine Verwaltung der Zukunft“, so Lange. Der zweite strategische Ansatz war, anhand dieses Projekts zu prüfen, welche Verfahren Blended Learning braucht. „Jetzt haben wir einen Kriterienkatalog, der unsere tragenden Content-Prinzipien beinhaltet und unsere Anforderungen an Technik, Didaktik und Methodik sowie Usability definiert“, stellt Lange zufrieden fest. Der Katalog wird jetzt zur Markterkundung angewendet, um Programme einzukaufen. In der Qualitäts- wie auch in der Finanzierungsfrage kennt die öffentliche Verwaltung kein Pardon. Auf der Ebene der Akademien gibt es seit einem Jahr eine feste Zusammenkunft. Auch zwischen Bund und Ländern findet mittlerweile ein intensiver Austausch statt. Und zwar nicht nur von Erfahrungen. Neben der gegenseitigen Empfehlung von Produkten pflegt man auch regen Tauschhandel. Controlling gegen Zeitmanagement, Softwareschulung gegen Staatsrecht…