PRAXISTIPP

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Foto von Nastuh Abootalebi

Die Entscheidung des BVerfG ist in mehrfacher Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Zum einen stellen die Karlsruher Richter klar, dass es nicht zu ihren Aufgaben gehört, die Fachgerichte dahingehend zu kontrollieren, wie diese den Grundrechtsschutz im Einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert. Vielmehr überprüft das BVerfG nur, ob bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wird.

Zum anderen bestätigt das Gericht ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, AuA 6/09, S. 372) und betont, dass die Betriebsparteien bei der Ausgestaltung von Sozialplänen – sowie sonstigen betrieblichen Vereinbarungen – einen weiten Einschätzungsspielraum haben. Dies gilt auch, wenn es um die Verteilung begrenzter Mittel für Abfindungen bei Betriebsschließungen sowie um typisierende Prognosen über wirtschaftliche Nachteile der Mitarbeiter bei der Gewichtung der sozialen Aspekte geht. Im Ergebnis trägt die Entscheidung des BVerfG damit für die Praxis zur weiteren Rechtssicherheit bei der Gestaltung von Sozialplänen bei.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht · 3 / 16 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

PROBLEMPUNKT

Der schwerbehinderte Beschwerdeführer wandte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Ausgang eines Rechtsstreits vor den Arbeitsgerichten, mit welchem er erfolglos die Zahlung einer Sozialplanabfindung verlangt hatte.

Anlässlich der Schließung des Betriebs hatten die Betriebspartner einen Sozialplan aufgestellt. Hieraus erhielten Arbeitnehmer, die eine befristete volle Erwerbsminderungsrente bezogen und deren Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar war, keine Leistungen. Dies wurde bei einer die Rente wegen voller Erwerbsminderung begleitenden Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Jahren angenommen. Im Ausgangsverfahren hatte der Arbeitgeber eine Abfindungszahlung wegen fehlender Anspruchsberechtigung abgelehnt und lediglich eine Sozialplanabfindung von 10.000 Euro aus einem Härtefonds an den Beschwerdeführer gezahlt.

Während das ArbG Düsseldorf der Klage teilweise stattgegeben hatte, wies sie das LAG Düsseldorf im Berufungsverfahren ab. Dies bestätigte das BAG in der Revision.

ENTSCHEIDUNG

Auch vor dem BVerfG hatte der Beschwerdeführer keinen Erfolg. Das Gericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da ihn die angegriffenen Urteile der Arbeitsgerichte nicht wegen seiner Behinderung benachteiligten.

Den Betriebsparteien stand bei der Aufstellung des Sozialplans und seiner inhaltlichen Gestaltung ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Demgemäß durften sie davon ausgehen, dass der Ausschluss von den Abfindungsregelungen des Sozialplans aufgrund anderweitiger Absicherung durch Bezug einer befristeten Erwerbsminderungsrente in ausreichendem Maße kompensiert wurde. Im Ergebnis war daher die Entscheidung der Betriebsparteien, die begrenzten Mittel aus dem Sozialplan nur denjenigen zukommen zu lassen, die durch die Schließung des Betriebs unmittelbar Einkommen verlieren, nicht aber denen, die anderweitig abgesichert sind, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

KONSEQUENZEN

Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG konkretisiert, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Der Durchsetzung des Diskriminierungsverbots dienen § 75 Abs. 1 BetrVG und § 3 Abs. 1 AGG, die entsprechend auszulegen sind. Ob die Vorschriften zutreffend angewandt und ausgelegt werden, ist ausschließlich Sache der Arbeitsgerichte. Das BVerfG ist somit keine „Superinstanz“ für arbeitsrechtliche Streitigkeiten, sondern hat nur zu prüfen, ob – in eher seltenen Ausnahmefällen – bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt worden ist.

In der Sache kann eine Diskriminierung wegen einer Behinderung auch darin liegen, dass ein Behinderter von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen ist, ohne dass dies ausreichend kompensiert wird. Letzteres ist aufgrund einer Gesamtwürdigung im Einzelfall zu entscheiden (BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997 – 1 BvR 9/97). Dabei steht den Betriebsparteien ein weiter Einschätzungsspielraum zu, wenn es um den Ausgleich von Nachteilen durch einen Sozialplan geht.

Hiernach stellt der Ausschluss eines Erwerbsunfähigen von einer Sozialplanabfindung zwar eine Benachteiligung dar, die i. S. d. § 1 AGG an eine Behinderung anknüpft; allerdings wird diese zumindest hinreichend dadurch ausgeglichen, wenn nur diejenigen behinderten Beschäftigten ausgeschlossen werden, die eine erwartbar auf Dauer gezahlte Erwerbsminderungsrente beziehen. Im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, die durch eine Betriebsstilllegung ihre Erwerbsquelle verlieren, wird eine die fehlende Vergütung ausgleichende Erwerbsminderungsrente nicht durch eine Betriebsstilllegung berührt.