Problempunkt

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Foto von Samantha Gades

Die Klägerin hatte sich auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Referentenstelle beworben. Sie wurde als einzige weibliche Bewerberin zum Vorstellungstermin geladen. Da sie zu dem Zeitpunkt verhindert war, rief sie die für das Bewer bungsverfahren zuständige Sachbearbeiterin an, um den Termin zu verschieben. Die Klägerin behauptet, die Sachbearbeiterin habe in dem Telefonat wörtlich zu ihr gesagt: „… Sie müssen kommen, wir haben Sie als ein izige weibliche Bewerberin durchgeboxt, denn die wollen doch keine Frau“. Die Beklagte lehnte die Bewerbung der Klägerin mit der Begründung ab, ihre Qualifikationen seien nicht optimal. Die Klägerin machte Schadens – ersatz nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Nach ihrer Auffassung habe sie die Referentenstelle zumindest auch deshalb nicht bekommen, weil sie eine Frau ist.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht stellte zunächst fest, dass eine Nichteinstellung wegen des Geschlechts auch vorliegt, wenn zugleich andere Gründe, bspw. die mangelnde Qualifikation, entscheidend waren. Ausreichend ist, dass ein Motivbündel, das die Auswahlentscheidung beeinflusst hat, auch das verpönte Merkmal enthält. Deshalb schließt die bessere Eignung eines anderen Bewerbers nicht aus, dass die Beklagte die Klägerin wegen ihres Geschlechts im Einstellungsverfahren benachteiligt hat (so schon BAG, Urt. v. 5.2.2004 – 8 AZR 112/03, NZA 2004, S. 540 ff.). Für den Entschädigungsanspruch ist es vielmehr ausreichend, dass das Unternehmen die Bewerberin auch wegen ihres Geschlechts nicht berücksichtigt hat.

Dennoch lehnte das Arbeitsgericht den Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. §§ 7, 3 AGG ab. Die Klägerin konnte trotz der Erleichterungen des § 22 AGG nicht beweisen, dass die Beklagte gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat. Nach § 22 AGG reicht es aus, wenn der Anspruchsteller „Indizien beweist“, die eine Benachteiligung „wegen“ seines Geschlechts „vermuten“ lassen. Dann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass sie nicht gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen verstoßen hat. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts genügt es hierfür, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die eine Benachteiligung wegen seines Geschlechts im Einstellungsverfahren aus objektiver Sicht „überwiegend wahrscheinlich“ machen. Bestreitet der Beklagte diese Tatsachen, reicht es aus, wenn der Kläger sie so glaubhaft macht, dass ihr Bestehen wahrscheinlicher ist als ihr Gegenteil.

Im vorliegenden Fall hätte allein das Telefonat zwischen der Klägerin und der Sachbearbeiterin eine geschlechtsbezogene Benachteiligung der Klägerin bei der Besetzung der Referentenstelle überwiegend wahrscheinlich gemacht. Der genaue Wortlaut, insbesondere die Äußerung der Sachbearbeiterin „die wollen doch keine Frau“, war zwischen den Parteien jedoch streitig. Auch in einer Beweisaufnahme war es nicht möglich, ihn festzustellen. Selbst die Klägerin konnte sich nicht an den Wortlaut erinnern. Damit war die einzige Tatsache, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts vermuten ließ, nicht beweisbar, so dass das Urteil zulasten der Klägerin erging.

Konsequenzen

Das Arbeitsgericht stellte fest, dass der Gesetzgeber trotz des Wechsels im Wortlaut – von „glaubhaft machen“ i. S. d. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB alte Fassung (a. F.) zu „beweisen“ i. S. d. § 22 AGG – das Beweismaß nicht sachlich ändern wollte. Damit ist die zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB a. F. ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung weiterhin heranzuziehen. Dementsprechend muss der Kläger Tatsachen, die seine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals vermuten lassen, nur glaubhaft machen. Er braucht sie nicht voll beweisen. Es reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Daraus folgt, dass bereits Indizien genügen, um von einer Benachteiligung des Anspruchstellers wegen eines Diskriminierungsmerkmals auszugehen. Hierfür kommen bspw. in Betracht:

  • eine Stellenausschreibung, die nicht den Anforderungen des § 11 AGG genügt,
  • eine diskriminierende Formulierung im Ablehnungsschreiben,
  • die Tatsache, dass die merkmalrelevante Gruppe im Unternehmen deutlich unterrepräsentiert ist,
  • Äußerungen oder Handlungen des Arbeitge bers oder seines Vertreters sowie sein (diskriminierendes) Verhalten in der Vergangenheit.

Außerdem ist das Beweismaß dafür, dass diese Indizien vorliegen, deutlich geringer. In der Folge kommt es in AGG-Prozessen recht schnell und häufig zu einer Umkehr der Beweislast. Dadurch trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast dafür, dass er nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat. Er muss dann beweisen, dass die vorgebrachten Indizien nicht zutreffen oder andere Umstände darlegen und ggf. beweisen, die die Vermutungswirkung der vom Anspruchsteller vorgebrachten Tatsachen entkräften.

Praxistipp

Die Gefahr, in einem AGG-Prozess zu unterliegen, ist für den Arbeitgeber wegen der Beweiserleichterung des § 22 AGG und der Bandbreite möglicher Indizien groß (die obige Aufzählung ist nicht abschließend!). Er sollte deshalb alle Entscheidungen in einem Bewerbungsverfahren sowie sämtliche Handlungen, denen eine diskriminierende Motivation nachgesagt werden könnte, umfassend und einschließlich der Gründe dokumentieren. Es empfiehlt sich außerdem, Mitarbeiter dazu anzuhalten, jede noch so beiläufige Äußerung zu unterlassen, die den Verdacht einer Diskriminierung begründen könnte.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi – 3/09