Was bedeutet Disability Management?

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Foto von Bench Accounting

Mit Disability Management ist die Wiedereingliederung von gesundheitlich beeinträchtigten Menschen gemeint, die arbeitslos zu werden drohen. Seit dem 1. Mai 2004 gibt es dazu ein neues Rehabilitationsrecht, das im Sozialgesetzbuch SGB IX festgeschrieben ist. Das Gesetz verpflichtet Arbeitgeber dazu, eine Betriebliche Eingliederungsstruktur aufzubauen. Es geht beim Disability Management um die längerfristige Sicherung des Arbeitsplatzes. Fehlzeitenmanagement oder Rückkehrgespräche alleine greifen dabei zu kurz und haben außerdem einen negativen Beigeschmack – vor allem auf der Arbeitnehmerseite. Kein Mitarbeiter sollte das Gefühl haben, dass er auf den Arbeitsplatz zurückgetrieben wird – egal ob er schon fit ist oder nicht.

Heißt das, Unternehmen müssen ein BEM einführen?

Arbeitsgerichte entscheiden im Individualarbeitsrecht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber meistens darüber, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, jemand zu kündigen. Bevor ein Unternehmen jemanden kündigt, muss es ein Betriebliches Eingliederungsmanagement nachweisen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Rahmen des Kündigungsschutzrechtes am 2. Juli eine höchst richterliche Entscheidung getroffen, indem es einen Fall an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurückverwiesen hat. Das LAG hatte nicht richtig geprüft, ob ein ausreichendes Disability Management in dem Unternehmen vorhanden war.

Um welche Mitarbeiter geht es dabei?

Beim betrieblichen Eingliederungsmanagement geht es nach dem Wortlaut des Gesetzes nur um die, die mindestens sechs Wochen im Jahr arbeitsunfähig sind. Das Thema hängt aber eng mit einem integrierten Gesundheitsmanagement zusammen: Wenn ein Unternehmen wirklich die Leistungsfähigkeit seiner Organisation fördern will, muss es früher präventiv eingreifen. Die Unternehmen könnten im Sinne der Gesundheitsförderung zum Beispiel eine Rückenschule in der Mittagspause integrieren, Raucherentwöhnungsprogramme einführen oder eine Anfahrt an den Arbeitsplatz mit dem Fahrrad und insgesamt mehr Bewegung empfehlen. Das Thema Gesundheit von Mitarbeitern ist eine Einheit, zu der auch das betriebliche Eingliederungsmanagement gehört. Wenn Unternehmen das begreifen, bleibt das Disability Management nicht nur eine Schwerbehindertenmaßnahme.

Sollten die Berater eine spezifische Ausbildung als Disability Manager haben?

Disability Manager haben eine heikle Aufgabe: Sie müssen den Kontakt zum Arbeitgeber suchen, ebenso wie zu den Vertretern des Gesundheitssystems und den Versicherten selbst. Wichtig ist, dass sie ein vertrauensvolles Klima schaffen können. Eine der größten Schwierigkeiten besteht darin, Menschen anzusprechen, wenn sie krank sind. Viele glauben, es geht nicht darum, dass sie gebraucht werden, sondern darum, sie über ihre Krankheiten auszuspionieren. Die Menschen haben aufgrund ihrer Krankheit einfach Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Außerdem müssen die Berater auch Leistungen von außen einwerben, zum Beispiel von Sozialversicherungsträgern. Dafür ist Expertenwissen in Rechtsfragen erforderlich. Wegen dieser hohen Anforderung hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung dem „Return-to-Work-Prozess“ eine Weiterbildung zum Disability Manager gewidmet, die international bekannt ist.

Die Wurzeln des Disability Managements liegen in Kanada. Was können wir in Deutschland von dem kanadischen Modell des „Return-to-Work“ lernen?

Das kanadische Modell ist eigentlich ein Reimport. Seit rund zehn Jahren bestehen gute Kontakte zwischen der kanadischen Bundesregierung und der deutschen Regierung – insbesondere auf der Ebene des Arbeitsministeriums. Die Kanadier sind Vordenker im Bezug auf das Bildungsprogramm. Die Deutschen hingegen haben viele Ideen zu Strukturen im „Return-to-Work-Prozess“ entwickelt, die die Kanadier aufgegriffen haben. In punkto Strukturen und politischem Hintergrund ist Deutschland sogar international in einer Vorreiterposition.

Wie gehen Unternehmen beim Aufbau eines BEM am besten vor?

Zunächst muss jedes Unternehmen, das ein Disability Management einführt, eine Basis des Vertrauens schaffen. Dazu gehört, dass die Verantwortlichen darüber informieren, dass es ein betriebliches Eingliederungsmanagement gibt. Parallel sollten die Firmen gemeinsam mit den Betriebsräten eine Betriebsvereinbarung schaffen, die die Spielregeln festlegt. Darin geht es beispielsweise darum, wann und wie ein kranker Mitarbeiter angesprochen wird. Ein wichtiger Schritt ist auch die Suche nach einer Vertrauensperson, einem Ansprechpartner, zu dem die Beschäftigten Vertrauen haben. Das kann der Betriebsrat, ein Betriebsarzt oder der Schwerbehindertenvertrauensmann sein. Wenn eine Integration größere Schwierigkeiten mit sich bringt, übernehmen diese Aufgabe manchmal auch Integrationsteams aus Vertretern aller beteiligten Parteien, die sich eng mit dem Beschäftigten selbst abstimmen.

Welche Rolle spielen Sozialversicherungen dabei?

Nach dem Rehabilitationsrecht müssen die Arbeitgeber bei der betrieblichen Eingliederung selbst keine Leistungen zur Reintegration erbringen. Das machen die Sozialversicherungsträger: Kranken-, Renten-, Arbeits- und Unfallversicherung – die Versicherungen, in die die Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte Beiträge einzahlen. Wenn ein Beschäftigter ausfällt, liefert die Versicherung die Information, welcher Rehaträger sich um welche Belange kümmert. Es hat einen großen Vorteil, eng mit der Sozialversicherung zusammenzuarbeiten. Ford Deutschland ist zum Beispiel ein Unternehmen, das Disability Management zukunftsweisend einsetzt: Das Unternehmen organisiert runde Tische, bei denen die Grundprobleme mit den Sozialversicherungsträgern besprochen werden. Gleichzeitig kooperiert Ford direkt mit Kliniken oder ambulanten Einrichtungen, die die Arbeitsplätze kennen und wissen, welche Krankheiten dort häufig auftreten.

Ist das immer so einfach?

Die Unternehmen leiden oft darunter, dass viele Krankenkassen, die angefragt werden, zunächst unterstützen wollen. Aber wenn eine Krankenkasse im Unternehmen ist, kommt die andere nicht mehr. Ferner hat die Rentenversicherung keinen richtigen Betriebsbezug und die Unfallversicherung ist nur für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zuständig. Die Bundesregierung müsste sich als Aufsichtsbehörde mehr um die Unterstützung der Unternehmen kümmern, indem sie die Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger fordert. Auch die Bundesagentur für Arbeit hat beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement in den letzten Jahren eigentlich überhaupt nichts getan.

Was könnten denn die Unternehmen selbst beim Disability Management besser machen?

Die Beteiligten sollten sich stärker um das Vertrauen im Unternehmen kümmern. Das Disability Management muss wirklich gelebt werden. Ein Betriebliches Eingliederungsmanagement bringt dann niemand weiter, wenn es nur darum geht, eine Kündigung rechtssicher zu machen. Hier bedarf es der Überzeugung der Personalmanager, aber auch der Geschäftsführung und der Vorstände, dass es sich lohnt, in gesundes Personal zu investieren. Die Personaler brauchen argumentative Unterstützung von innen und von außen, um die Entscheidungen der Unternehmensspitze vorzubereiten.

Unternehmen sollten sich also nicht für Disability Management engagieren, weil sie müssen, sondern weil sie daraus Vorteile haben?

Richtig. Jedes Unternehmen ist von der Leistungsfähigkeit seiner Belegschaft abhängig. Das Thema „Human Capital“ ist gerade in der heutigen demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung unserer Landes von großer Bedeutung. Die Unternehmensmarke profitiert vor diesem Hintergrund von Disability Management. Viele Branchen kommen aus Imagegründen gar nicht um ein Betriebliches Eingliederungsmanagement herum. Wenn zum Beispiel eine öffentliche Verwaltung eine gesunde Stadt propagiert, dann muss sie natürlich auch dafür sorgen, dass ihre eigenen Beschäftigten gesund sind. Das Image „gesundes Unternehmen“ schafft Glaubwürdigkeit, die Unternehmen auf der Suche nach Fachkräften dringend benötigen.

Interview: Stefanie Hornung

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