3. These: Wir brauchen Menschen, die Gelegenheiten ergreifen

Zahlreiche Business Schools, Fachhochschulen und Universitäten bilden ihre Studenten unter dem Blickpunkt des Entrepreneurships aus. Hintergrund dafür ist, dass Politik und Wirtschaft Hoffnungen in diesen neuen Unternehmertypus stecken. Von ihm erwartet man, Strukturen neu denken zu können, sich selbstbewusst für völlig neue Produkte und Dienstleistungen einzusetzen und innovativ neue Arbeitsplätze zu schaffen. Der Entrepreneur ist ein kategorisch an Tellerrändern agierender Gründer; meist mit globalem Blick. Berichte aus der Szene der innovationsgetriebenen Unternehmen zeigen, dass so ein einzelner Unternehmer viele Mitstreiter braucht, allein wird er den Karren nicht ziehen können. Nicht von ungefähr stammen zahlreiche Best Practice-Beispiele zur New Work aus der Start up- und Gründerszene. Hier überwiegen Mitarbeiterbeteiligungskonzepte – angefangen bei der Entlohnung bis hin zur Strategieausrichtung. Die Beschäftigten sollten jedoch nicht einfach nur mitreden, sondern auch Verantwortung übernehmen. Im Klartext: Sie müssen selbst aktiv werden und ihren Bereich gestalten. Das braucht initiatives Naturell, welches sich entwickeln lässt.


Was wir tun müssen: In fremde Angelegenheiten mischt man sich nicht ein, außer man würde darum gebeten. Das ist heute noch ein gültiger Satz aus der Kulturetikette in Deutschland. Er bedeutet wegschauen, auf sich selbst konzentrieren oder auf Englisch formuliert „Stay calm and carry on“. In so manchem Betrieb gehört auch die Unternehmensstrategie in den Augen der Beschäftigten zu den Privatangelegenheiten des Chefs. In so einem geistigen Klima fällt es schwer, Mitarbeiter zu mehr Eigeninitiative anzuleiten. Der erste Schritt dazu bestünde darin, Glaubenssätze aufzulösen: Man gibt ja nicht gleich ungefragt seinen Senf dazu, wenn man sich für ein Probe interessiert. Und solange man erreichen möchte, dass der Andere durch den eigenen Beitrag weiterkommt, wird man auch die richtigen Worte finden. Ungefragte Rechthaberei nervt, Unterstützung nie. Die Anleitung zur Initiative ist also vor allem eine Sache der Unternehmenskultur.      

Zu entwickelnde Talente / Begabungen: Selbstmotivation,
Energiemanagement, Zeitmanagement, Wirkungen erfassen können,
Netzwerken, Kaltakquise, Selbstsicherheit in fremden Fachkreisen,
Willenskraft, Courage, Glauben 

group of people sitting beside rectangular wooden table with laptops
Foto von Christina @ wocintechchat.com

2. These: Wir brauchen Menschen, die Mut haben, ein Original zu sein

Die innovationsgetriebene Wirtschaft braucht nicht einen Thomas Alva Edison, eine Maria Montessori oder einen Nikola Tesla. Sie benötigt tausende erfinderische Menschen. Erfinderisch ist aber nur jener, der spielerisch sein darf, denn das Neue zeigt oder erweist sich oft erst im Zufall des Spiels mit Möglichkeiten. Wer im Kopf und im Herzen der ist, der er im Grunde ist – und eben nicht nur das Produkt seiner Umstände – der kann tiefer als manch Angepasster in die Goldgrube des Findens und Erfindens greifen. Wenn im Felde der Innovation überhaupt etwas standardisiert werden kann, dann dass Beschäftigte angeleitet werden, ein Original zu sein.

Was wir tun müssen: Viele Menschen sind Kopien, sagt Arno Gruen mit Blick auf seine Beratungs- und Therapiepraxis. Den Grund dafür sieht der Psychoanalytiker darin, dass Menschen versuchten, durch Anpassung in einer Welt des Wettbewerbs und der Isolation zu bestehen. Dadurch büßten sie Stärken ein. Dabei ist jedes Individuum als Original geboren worden. Nach Gruen leben wir in einer durchkonstruierten Welt, mit vielen Anpassungsangeboten. Doch Kreativität und eben nicht Selbstaufgabe sei wichtig in der modernen Welt, in der alles immer unsicherer wird. Die Maßgabe, sich selbst einzuengen, um genauso wie etwas Vorgegebenes zu werden, nützt in der Arbeitswelt immer weniger. Denn alles ist ständig im Fluss. Arno Gruen gibt aber auch zu bedenken: Kreativität muss immer neu durchgesetzt werden, gegen eine Umwelt, die durch Sachzwänge begrenzend wirkt.

Zu entwickelnde Talente / Begabungen: Eigenständiges Denken,
Selbstsicherheit, Selbstwirksamkeitsglaube, Unterschiedlichkeit aushalten können,
emotionale Ausgeglichenheit, innere Autonomie, Frustrationstoleranz 

1. These: Wir brauchen Menschen mit einem klaren Blick auf die Realität

Heute zu wirtschaften bedeutet, ein Auge auf sich schließende und sich öffnende Türen im Marktgeschehen zu haben. Wo bietet sich eine Gelegenheit? Wer, den man gerade kennenlernt, arbeitet gerade an welcher Idee? Wo flauen ehemals günstige Marktbedingungen wieder ab? Es ist nicht immer nur der Experte, das High Potential oder der Star eines Teams, der auf goldwerte Ideen stößt. Im modernen teambasierten Personalmanagement gilt, dass jeder seine Augen und Ohren offen halten sollte. Zehn Augen sehen besser als nur zwei. Aufmerksam zu sein, ist eine Gabe, die sich bei genügend Übung zur Begabung ausbauen lässt.   

Was wir tun müssen: Der Psychoanalytiker Arno Gruen bebildert seine Kritik am zeitgenössischen Realitätsbezug vieler Menshen gern mit einer Parabel von David Foster Wallace: „Zwei junge Fische begegnen einem Älteren, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: Morgen Jungs, wie ist das Wasser? Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und sagt: Was zum Teufel ist Wasser?“ Die Fische haben also nicht erkannt, dass sie im Wasser leben, der Spruch des Älteren bringt ihnen einen Perspektivenwechsel, der ihre Standardeinstellungen auflöst.

Doch wie kommt es zu diesen Einstellungen? Nach Arno Gruen liegen sie daran, dass wir unsere Umwelt oft durch abstrakte Ideen sehen. Und das beeinflusst, was und wie wir sehen. Eine dieser Abstraktionen besteht für Gruen in der immer noch stark präsenten Wettbewerbsmentalität. Sein Credo: Wer weniger egozentrisch lebt, der öffnet seinen Blick für die Realitäten, in denen er sich befindet. Und er findet Antworten auf die Fragen, die sich ihm in der Konfrontation mit Wirklichkeit ergeben. Er ist dem Leben dann nicht fremd, sondern zugewandt. Wer also Mitarbeitern ermöglicht, mit einem offenen Blick durch ihren Joballtag zu gehen und frei von Hierarchie über das Beobachtete zu sprechen, der mehrt konkret seine Geschäftsgelegenheiten. Wer Teammitglieder hingegen als rein funktionierende Rädchen unter ein Virtuosentum stellt, beschneidet seine Möglichkeiten.


Zu entwickelnde Talente / Begabungen:
Feingespür, Doppeldeutigkeiten erfassen,
Intuition, in Analogien denken, empathisches beobachten


Mangelt es uns an digitaler Technik? Oder fehlt es unserer Gesellschaft an gebildeten Menschen, im Vergleich zur Mitte des letzten Jahrhunderts? Müssen wir beklagen, dass weite Teile der Bürgerschaft schlicht keinen Blick für die Realität in der Welt besitzen? All dies können wir verneinen. Viel ist geleistet worden. Unternehmen, Beschäftigte und Gesellschaft haben bewirkt, dass es eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gibt. Es sind eben nicht mehr einzelne Leuchtturm-Persönlichkeiten, die einem in seinen Möglichkeiten beschränkten Heer der Werktätigen Wunder der Kulturtechnik präsentieren. Viel mehr als noch 1970 oder 1980 gelingt es Betrieben, mit normalen Menschen Innovationen zu schaffen und neue Wege zu gehen. Und durch den steigenden Fachkräftemangel der letzten Jahre erkannten Arbeitgeber: Sie können und müssen Stärken entdecken an Menschen, an welche sie zuvor nicht gedacht hatten; wie zum Beispiel Ältere und Mütter.

Dieser Wandel bedeutet eine Zäsur im betrieblichen Umgang mit dem Talentbegriff. Nicht allein Virtuosen sind gefragt; zumal die vernetzte, digital empowerte Wirtschaft weit mehr als nur diese braucht. Was aber braucht sie denn? Von den Antworten wäre abzuleiten, was Personalisten bei der Entwicklung von Stärken – also Talenten – zu beachten hätten.