„Digital Natives“ ist ein vom amerikanischen Pädagogen Marc Prensky geprägter Begriff. Er beschreibt in etwa die nach 1980 Geborenen, die eine Welt ohne Internet, Mobiltelefon, Videospiele und all die anderen Errungenschaften des digitalen Zeitalters nicht mehr kennen. Sie haben Zugang zu den digitalen Technologien, verfügen über die notwendigen Fähigkeiten, sie zu bedienen und können sich ein Leben ohne Facebook, Wikipedia und Google gar nicht mehr vorstellen. Sie fühlen sich im World Wide Web zu Hause, sind im übertragenen Sinn „Muttersprachler“ in der digitalen Welt und beeinflussen in immer stärkerem Mass die Weiterentwicklung in Wirtschaft, Politik und Medien.

photo of dining table and chairs inside room
Foto von Nastuh Abootalebi

Eingeborene und Eingewanderte

Die ältere Generation bezeichnet der Schweizer Urs Gasser, Direktor des Berkman Center for Internet & Society der Harvard University, im Gegensatz zu den „Eingeborenen“ als „Eingewanderte“, als „Digital Immigrants“. Deren Vertreter, so Gasser in einem Internet-Interview (“Nobodys mit Publikum“ auf www.ifa.de), könnten sich noch daran erinnern, wie man zum Recherchieren in die Bibliothek ging, und unterscheide noch stark zwischen Offline- und Online-Räumen. Bei den Digital Natives dagegen verschwimmen diese Grenzen: „Das Erscheinungsbild eines MySpace-Profils übt auf sie einen ebenso identitätsstiftenden Einfluss aus, wie Kleidung oder Freunde in der Offline-Welt.“

Starke soziale Norm des Teilens

Gasser kennt weitere Unterschiede: „Die Digital Natives kommunizieren anders untereinander und auch ihr Verhältnis zu gewissen gesellschaftlichen Institutionen, wie dem Urheberrecht, hat sich gewandelt. Der Hauptunterschied besteht aber in einem völlig anderen Verhältnis zu Information und digitalen Inhalten.“ Beispiele seien der geringe Privatsphärenschutz – auf Gemeinschaftsportalen wie Facebook, StudiVZ oder MySpace erwarte man die Offenlegung von personenbezogenen Daten – und eine starke soziale Norm des Teilens: „Das Tauschen von digitalen Inhalten ist ein weitverbreitetes Phänomen ebenso wie Filesharing, die Freigabe persönlicher Dateien über ein lokales Netzwerk.“

Teilhabe ist wichtig

Wie Gasser kommt auch Marcel Meier in einem kundigen Beitrag auf „blog.online.ch“ unter dem Titel „Die (R)Evolution im Netz“ zu dem Schluss, dass die Vertreter der jüngeren Generation die Interaktivität der Medien nutzten und Inhalte nicht mehr nur konsumierten, sondern selbst schüfen. Meier: „Die Net Generation zieht es vor, etwas zu tun, statt etwas gesagt zu bekommen. Sie … lebt eine neue Form von Mitteilsamkeit, Partizipation und Interaktivität. Sie arbeitet in Netzwerken mit Gleichgesinnten zusammen, bewertet Services und Produkte von Firmen… Das Internet ist für sie Experimentierfeld, soziale Anschlussstelle und Bühne der Selbstdarstellung zugleich. Die Nutzer schaffen Inhalte und wollen teilhaben.“

Einzelkämpfer sterben aus

Meier sieht im Internet den Einzelkämpfer als aussterbende Art. „Dies gilt sowohl für Individuen als auch für Unternehmen. Konsumenten wollen mehr als konsumieren, sie wollen mitproduzieren. Die Möglichkeit, Angehörige der Net Generation zu wirtschaftlichen Zwecken in Unternehmen einzubinden, gilt als grösster Motor von Veränderung und Innovation in der Wirtschaftswelt der Zukunft.“

Konfliktpotential zwischen alt und jung

Dass dies freilich auch mit Konflikten einhergeht, liegt auf der Hand. Während die ältere Generation eher überreagiert, wenn es um die Bewertung der Risiken des freien Austauschs in den neuen Medien geht, stösst dies bei jungen Menschen auf Unverständnis. Für sie sind Social Networking Sites extrem wichtig. Die grösste Gefahr, die nach Ansicht von Gasser aus diesem Spannungsverhältnis der Generationen entstehen kann, „ist, dass wir, die ältere Generation, die im Moment noch die Gestaltungsmacht über diese Medien hat, die Chancen dieser neuen Nutzungsmöglichkeiten zu wenig erkennen und unterstützen.“

Digitaler Graben quer über den Globus

Für den Harvard-Wissenschaftler ist das Verhalten der Generation Internet einerseits ein weltweit zu beobachtendes Phänomen. Andererseits beträfe es längst nicht durchgängig alle Vertreter dieser Altersklasse. Der Gegensatz bestehe nicht mehr darin, ob man im Osten oder Westen lebe, sondern, ob man die Gelegenheit habe, die Fähigkeiten in der Mediennutzung auszubilden oder nicht. Hier tue sich ein neuer „digitaler Graben“ aufgrund der unterschiedlichen Ausbildung in der Nutzung der neuen Technologien auf, die Gasser „participation gap“, Teilhabelücke, nennt.

Nicht alle sind gleich

Auch die NZZ Online bemerkt unter dem Titel „Der heterogene Stamm der digitalen Eingeborenen“, dass längst nicht jeder unter dreissig ein „digitaler Eingeborener“ sei, und verweist zunächst auf jene, die gar nicht über einen Internet-Zugang verfügen. Aber auch bei denen, die sich regelmässig im Netz bewegten, gäbe es Unterschiede, welche sich zu einem grossen Teil mit der sozialen Herkunft erklären liessen. Insgesamt ergäbe sich das Bild einer heterogenen Generation, in der beträchtliche Unterschiede im Nutzungsverhalten des Netzes bestehen. Der NZZ-Beitrag endet mit einem Zitat aus einem Britischen Fachjournal: „Junge Leute mögen einige Dinge anders tun, sie sind deswegen aber noch lange keine Aliens.“