Prof. von Cube, zahlreiche Studien kommen immer wieder zum gleichen Ergebnis: Um die Motivation der Mitarbeiter steht es nicht zum Besten. Warum ändert sich an dieser Diagnose so wenig?
Das kann natürlich ganz unterschiedliche Gründe haben. Meistens liegt es jedoch daran, dass die Manager für ihren Job nicht ausgebildet sind. Häufig werden Spezialisten, weil sie auf ihrem Gebiet gut sind, zu Führungskräften gemacht. Aber auf die Führungsaufgabe sind sie nicht vorbereitet. Das können Sie beim Fußball ganz schön beobachten: Wenn ein guter Fußballer zum Trainer wird, kann das gut gehen oder auch nicht. Ein weiterer Grund rührt daher, dass viele angewandte Führungsansätze weitgehend auf geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Psychologie und der Soziologie beruhen und nicht auf der Verhaltensbiologie. Die Evolutionsbiologie geht tiefer und hilft, die Motive der Menschen besser zu verstehen. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass es nicht möglich ist, ohne die Evolutionsbiologie den Menschen zu verstehen. Viele nehmen das nicht zur Kenntnis und das versuche ich seit Jahren zu ändern.

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Foto von Arlington Research

Wie erklären Sie mithilfe der Verhaltensbiologie die Motive der Menschen?
Die Urmotive sind im Laufe der Evolution entstanden. Insgesamt gibt es fünf Triebmotive: Nahrungstrieb, Sexualtrieb, Neugiertrieb, Aggressionstrieb und Bindetrieb. Diese Triebe haben sich über Millionen Jahre entwickelt und verschwinden nicht von heute auf morgen. Der Mensch kann jedoch im Vergleich zum Tier durch seine Reflexionsfähigkeit mit diesen Trieben umgehen. Oft geht er falsch damit um, was manche beispielsweise mit ihren Essgewohnheiten demonstrieren. Der Mensch kann jedoch seine Triebe beeinflussen.

Wie sollten Führungskräfte also vorgehen, um erfolgreich zu sein?
Sie sollten für ihre Mitarbeiter die Bedingungen schaffen, unter denen „Lust an Leistung“ entsteht. Für Führung spielen vor allem drei Triebe eine Rolle: Neugiertrieb, Aggressionstrieb und Bindetrieb. Im Bezug auf den Neugiertrieb haben Manager die Aufgabe, aus Unsicherheit Sicherheit zu machen. Denn bei näherer Betrachtung geht es beim Neugiertrieb genau darum: Der Mensch sucht das neue auf, um Sicherheit zu gewinnen. Das Unbekannte möchten wir zu Vertrautem machen und Probleme lösen wir, damit sie keine Probleme mehr sind. Außerdem sollten Führungskräfte den Aggressionstrieb in Form von Anerkennung der Leistung befriedigen und Bindung mithilfe von Teamarbeit und gemeinsamem Handeln herstellen. Manager werden erfolgreich sein, wenn es ihnen gelingt, die Naturgesetze der Evolution für die Arbeitswelt fruchtbar zu machen.

Vor dem Hintergrund des War for Talents ist Mitarbeiterbindung ein wichtiges Thema. Wie können Führungskräfte konkret dazu beitragen?
Die Mitarbeiter können sich nur dann mit einem Unternehmen identifizieren, wenn sie Bindung hautnah erleben. Beispielsweise muss es ihnen Spaß machen, mit den Kollegen zu arbeiten. Das heißt, Teamwork ist der entscheidende Faktor. Manche Unternehmen machen das ja schon ganz gut. Nehmen wir mal die Autoindustrie als Beispiel: Sie ist von der Fließbandarbeit weggekommen und übergegangen zu Teamarbeit. In kleineren Gruppen werden größere Einheiten gefertigt. In diesen Kleingruppen fühlt sich der Mitarbeiter dem Unternehmen zugehörig: Man kennt sich, arbeitet zusammen und ist aufeinander angewiesen. Das gemeinsame Handeln erzeugt Bindung und das ist eines der schönsten Gefühle überhaupt.

Welche Rolle spielt die Anerkennung der Führungskraft dabei?
Viele Mitarbeiter beklagen sich bitter darüber, dass sie sich zwar angestrengt und etwas geleistet haben und trotzdem aber kein Wort des Dankes oder der Anerkennung zu hören bekommen. Das tut weh und führt letztlich in die innere Emigration. Das Problem besteht oft darin, dass die Führungskraft die Leistung des Mitarbeiters gar nicht bemerkt. Um eine funktionierende Anerkennungskultur in einer Unternehmung zu schaffen, müssen die Manager die Leistung beobachten und die Anerkennung dafür zum Ausdruck bringen. Für die Form der Anerkennung gibt es verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise verbale Ausdrucksformen, Privilegien oder Bezahlung.

Was halten Sie von der derzeitigen Debatte über Managergehälter und Mindestlöhne?
Unterschiede in der Bezahlung sind meiner Ansicht nach dann vertretbar, wenn sie gerecht sind, denn Gerechtigkeit heißt nicht unbedingt Gleichheit. Es gibt Menschen, die mehr leisten und dann sollen sie auch mehr verdienen. Doch es geht bei der Debatte ja darum, wie weit die Gehaltsschere auseinanderklaffen darf. Da bin ich schon der Meinung, dass die doch erhebliche Distanz nicht immer gerechtfertigt ist, denn auch die Mitarbeiter tragen in erheblichem Maße zum Erfolg bei und das sollten Unternehmen entsprechend honorieren. Mein Prinzip „Lust an Leistung“ zielt auf höhere Leistungen, nämlich dadurch, dass Organisationen die entsprechenden Bedingungen für mehr Leistung schaffen. Dazu tragen zu große Gehaltsunterschiede sicher nicht bei. Aber eine gesetzliche Begrenzung würde ich nicht wollen, da so auch keine leistungsgerechte Bezahlung möglich ist. Das Thema läuft im Endeffekt auf eine moralische Frage hinaus, die jede Unternehmung für sich beantworten sollte.

Apropos Moral – welchen Einfluss hat vorbildliches und verantwortungsvolles Handeln der Führungskräfte auf die Performance des Unternehmens?
Es gibt verschiedene Formen von Moral. Für Unternehmen ist die Moral des gemeinsamen Handels von Bedeutung. Dazu gehört, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, zuverlässig sind und Gerechtigkeit anstreben. Diese Moral führt zu besseren Ergebnissen, wie ein Blick in die Tierwelt, beispielsweise auf die Gazellenjagd der Löwen, zeigt: Wenn zum Beispiel die Reißer über die Gazelle herfallen, dann muss das zum richtigen Zeitpunkt geschehen. Das erfordert Zuverlässigkeit, ohne die auch eine Organisation auf Dauer nicht existieren kann.

Im Durchschnitt werden die Belegschaften aufgrund des demographischen Wandels immer älter. Was ändert sich am Prinzip „Lust an Leistung“ mit dem Alter?
Die Triebe sind im Alter noch genauso da. Der Neugiertrieb beispielsweise ist bei älteren Menschen stark vorhanden, obwohl das viele übersehen. Bindung möchten ältere Menschen erst recht erleben und auch der Aggressionstrieb lässt nicht nach – Annerkennung spielt gerade im Alter eine große Rolle. Aber die Anerkennung erfahren Ältere auf andere Weise. Ihre Stärken liegen natürlich in der Erfahrung, insbesondere auf Gebieten, die sich nicht so schnell verändern und somit eine gewisse Tradition haben. Das sind also weniger technische Themen als vielmehr Aufgaben, die sich zum Beispiel auf das menschliche Verhalten beziehen, beispielsweise also mit Führung und Ausbildung zu tun haben.

Was sollte unabhängig vom Alter mit Mitarbeitern geschehen, die nicht die nötige Leistung bringen?
Das kommt immer darauf an, welche Ursache dieses Verhalten hat. Natürlich gibt es Fälle, in denen es keinen anderen Ausweg gibt, als sich zu trennen. Doch Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter oft nicht aufgeben, wenn sie erkennen, wo das Defizit liegt. Nehmen wir doch einmal an, ein Mitarbeiter befindet sich in der Zone der Unsicherheit oder der Überforderung. Das erkennen Führungskräfte zum Beispiel daran, dass der Mitarbeiter sich gegen alles Neue sträubt. Die Lösung läge dann darin, ihm Sicherheit zu geben, zum Beispiel durch Qualifikation oder durch Einbindung in ein Team. Es kann auch sein, dass jemand sich gelangweilt und unterfordert fühlt. Dann holt er sich den Flow nicht am Arbeitsplatz. Diesen Mitarbeiter müssen Sie neu herausfordern, um ihn in den Flowkanal zu führen.

Wie können Manager die Mitarbeiter in den Flowkanal führen?
Das Wort Flow stammt von dem ungarischen Forscher und Psychologen Csikszentmihalyi, der in Amerika lebt. Flow tritt dann ein, wenn jemand in seiner Tätigkeit aufgeht und nahezu Gefühle des Glücks erlebt. Wenn die Arbeit also wirklich „flutscht“ und Spaß macht. Idealerweise bewegen wir uns im Flowkanal. Er führt dort entlang, wo die Herausforderung im Gleichgewicht steht mit der Qualifikation. Wenn die Herausforderung zu groß wird, kommt der Mitarbeiter leicht in die Zone der Angst. Wenn die Qualifikation zu hoch ist, kommt er in die Zone der Langeweile. Im Flowkanal hat er genau das richtige Maß an Herausforderung. Dort sollte der Mitarbeiter sein und dort sollte er sich weiterentwickeln können.

Interview: Stefanie Hornung

Wie Lust an Leistung entsteht und was Führungskräfte dazu beitragen können, wird Prof. Dr. Felix von Cube am 10. September 2008, um 10.15 Uhr, auf der Zukunft Personal in seinem Keynote-Vortrag ausführen.

Weitere Informationen:

Buchtipps:

  • Führen durch Fordern – Die BioLogik des Erfolgs; Piper: München (2003, 2. Auflage 2005)
  • Lust an Leistung – Die Naturgesetze der Führung; Piper: München (1. Auflage 1998, 13. Auflage 2006)
  • Fordern statt Verwöhnen – Die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie in der Erziehung; Piper: München 2003, (1. Auflage 1986, 16. Auflage 2007)