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Rahmenbedingungen

Westliche Investoren äußern regelmäßig den Wunsch, auch in Russland möglichst viele Fragen dem heimischen, meist deutschen Arbeitsrecht zu unterwerfen. Vor einem solchen Vorgehen ist allerdings zu warnen. Bei einer unselbstständigen Tätigkeit, die ein Beschäftigter in Russland ausübt, gilt stets das russische Arbeitsrecht. Auf den Sitz des Arbeitgebers oder die Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers kommt es nicht an. Damit unterliegen auch Verträge mit aus der Heimat in russische Tochtergesellschaften und Niederlassungen entsandten Mitarbeitern zwingend dem russischen Recht (vgl. zur Entsendung Balashova/Wedde, AuA 2/08, S. 82 ff.). Ein anderes Recht im Vertrag zu vereinbaren, ist aus russischer Sicht unwirksam.

Rechtsgrundlagen im Arbeitsrecht

Anders als in Deutschland hat der russische Gesetzgeber es geschafft, ein umfassendes Arbeitsgesetzbuch zu verabschieden. Es ist Anfang 2002 in Kraft getreten, wurde aber schon mehrfach geändert. Das Gesetzbuch erhebt den Anspruch, die wichtigsten Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts zu regeln. Dennoch gibt es eine Reihe von Spezial - gesetzen, etwa zum Mindestlohn, zum Geschäftsgeheimnis, zu Arbeit - gebern und Gewerkschaften. Ergänzt werden sie durch zahlreiche untergesetzliche Normen.

Rechtsquellen

Eine deutsche Übersetzung des Arbeitsgesetzbuchs findet sich in Breidenbach (Hrsg.), Handbuch Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Loseblattsammlung), Band 3, RUS 600. Die untergesetzlichen Texte sind i. d. R. weder in deutscher noch in englischer Übersetzung zugänglich. Die Rechtsnormen in russischer Sprache findet man in Datenbanken wie www.garant.ru oder www.consultant.ru. Insgesamt ist das russische Arbeitsrecht ähnlich arbeitnehmerfreundlich wie das deutsche. In der Krise ist von besonderer Bedeutung, dass die Mitarbeiter in der Insolvenz des Arbeitgebers einen Vertreter als Verfahrensbeteiligten benennen können. Ihre Forderungen werden im zweiten Rang bevorzugt befriedigt.

Dem Staat kommt im Rahmen einer sog. Sozialpartnerschaft eine starke Rolle zu (vgl. Abschnitt 1 Teil 2 des Arbeitsgesetzbuchs). Die staatlichen Aufsichtsbehörden (Arbeitsinspektion, vgl. www.rostrud.info) kontrollieren strikt, ob Unternehmen die arbeitsrechtlichen Normen einhalten. Dabei erwarten sie gerade von ausländischen Investoren ein hohes Niveau. Ärgerlich ist der sehr formale Charakter des russischen Arbeitsrechts. Die Personalführung erfordert deutlich mehr (Papier-)Aufwand als in anderen Ländern. Bereits kleine Formverstöße können gravierende Folgen haben.

Arbeitsvertrag

Zentrales Instrument des russischen Individualarbeitsrechts ist der Arbeitsvertrag. Er ist in schriftlicher Form abzuschließen, ansonsten drohen Sanktionen. Der Beschäftigte ist dadurch geschützt, dass ein (faktisches) Arbeitsverhältnis auch ohne Vertrag entsteht, wenn er mit Wissen oder im Auftrag des Arbeitgebers eine Tätigkeit aufnimmt. Der Vertragsschluss ist formal ausgestaltet. Der Arbeitnehmer muss eine Reihe von Dokumenten vorlegen (Ausweis, Arbeitsbuch, Versicherungsnachweise, ggf. Urkunden zur beruflichen Qualifikation; die in Moskau häufig verlangte Vorlage einer Registrierungsbescheinigung ist hingegen unzulässig). Der Arbeitgeber hat den Mitarbeiter von den internen Dokumenten des Unternehmens in Kenntnis zu setzen, bevor dieser unterschreibt. In der Praxis wird gegen diese Formvorschriften nicht selten verstoßen.

Praxistipp

Nimmt der Beschäftigte seine Tätigkeit zum vertraglich vereinbarten Termin bzw. am Tag nach Inkrafttreten des Arbeitsvertrags nicht auf, ist der Arbeitgeber berechtigt, den Vertrag zu annullieren.

Grundsätzlich gilt bei der Gestaltung des Arbeitsvertrags auch in Russland Vertragsfreiheit. Viele Vorschriften des Arbeitsgesetzbuchs sind zum Schutz des Arbeitnehmers allerdings zwingend. So muss der Arbeitsvertrag Angaben enthalten

  • zum Arbeitsort,
  • zum Datum des Arbeitsbeginns,
  • zur Arbeitsfunktion,
  • zum Charakter der Arbeit,
  • zu Arbeits- und Erholungszeiten,
  • zur Bezahlung und
  • zur gesetzlichen Sozialversicherung.

Vertragsgestaltung

Wichtigster Punkt bei Verhandlungen ist naturgemäß das Entgelt, das die Parteien frei vereinbaren können. Der gesetzliche Mindestlohn (derzeit 4.330 RUR, d. h. ca. 100 Euro pro Monat, in Moskau 8.700 RUR, ca. 200 Euro) spielt bei westlichen Unternehmen erfahrungsgemäß kaum eine Rolle.

Die Arbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche. In den meisten russischen Unternehmen arbeiten die Mitarbeiter von 9 bis 18 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Die Parteien können im Arbeitsvertrag bewegliche Zeiten vereinbaren. Trotz Krise wird die tatsächliche Arbeitszeit jedoch häufig höher liegen. Die Regeln zu Überstunden sind allerdings sehr rigide: Zulässig sind nur vier Stunden an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen und nicht mehr als 120 pro Jahr. Zudem muss der Arbeitnehmer schriftlich zustimmen und das Unternehmen ggf. die Stellungnahme der Gewerkschaftsorganisation einholen.

Als Lösung können die Parteien einen sog. nicht normierten Arbeitstag vereinbaren. Dann sind Überstunden bei Bedarf zulässig, als Ausgleich muss der Arbeitgeber allerdings mindestens drei zusätzliche Urlaubstage gewähren. Eine solche Vereinbarung ist vor allem für leitende Angestellte üblich.

Arbeitsfrei sind auch die zwölf gesetzlichen Feiertage. Der gesetzliche Mindestanspruch bezahlten Urlaubs liegt bei 28 Kalendertagen (Vorsicht: Es sind nicht Werktage gemeint!). Sie sind gemäß einer Jahresurlaubsplanung zu nehmen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren. Ein Teil des Urlaubs muss mindestens 14 Kalendertage umfassen.

Die Parteien können sich auf weitere Vertragsinhalte einigen, solange diese den Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Gesetz oder anderen Rechtsakten schlechter stellen.

Beispiele

Der Mitarbeiter verpflichtet sich, eine bestimmte Zeit nach Abschluss einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung für diesen zu arbeiten. Der Arbeitgeber übernimmt Zusatzversicherungen für den Beschäftigten.

Typischerweise möchten westliche Investoren zudem Fragen wie die Verpflichtung zur Vertraulichkeit oder Wettbewerbsverbote regeln. Während es in Russland zwar aufwändig, aber möglich ist, ein Geschäftsgeheimnis zu schützen, sind Wettbewerbsverbote – außer für leitende Angestellte – rechtlich nicht umsetzbar.

Praxistipp

Unternehmen sollten der Beschreibung von Arbeitsort und Funktion des Arbeitnehmers viel Aufmerksamkeit schenken. Ist sie zu detailliert, kann der Mitarbeiter sich weigern, andere Aufgaben zu erfüllen. Andererseits braucht er Tätigkeiten, die nicht konkret vorgesehen sind, nicht auszuführen, ohne dass der Arbeitgeber ihm kündigen darf.

Arbeitgeberseitige Vertragsbeendigung

Die schärfste Maßnahme, um Personalkosten zu reduzieren, ist die Kün - digung. Sie wird seit Beginn der Krise auch in Russland häufiger angewandt. Es wird erwartet, dass die Arbeitslosigkeit bis Jahresende auf ca. 10 % ansteigt. Problematisch ist dabei der geringe soziale Schutz. Der Höchstsatz des Arbeitslosengelds liegt bei gerade einmal 4.900 RUR (ca. 110 Euro).

Wichtig

Vor der Krise waren qualifizierte und motivierte Mitarbeiter in Russland Mangelware. Es herrschte ein heftiger Wettbewerb um die klugen Köpfe. Derzeit sprechen eine Reihe von Gründen (insbesondere die Demografie) dafür, dass dieser Wettlauf bald wieder beginnt. Im Übrigen verschlechtern Entlassungen i. d. R. das Betriebsklima. Sie sollten daher schon im eigenen Interesse nur Ultima Ratio sein.

Dem russischen Arbeitsrecht ist eine ordentliche Kündigung seitens des Arbeitgebers unbekannt. Vielmehr bedarf es eines Grunds, vgl. Checkliste 1. Das Gesetz kennt verschiedene Gründe (vgl. Art. 71 und 81 Arbeitsgesetzbuch), von denen die meisten allerdings nicht geeignet sind, die Personalkosten zu optimieren. Es empfiehlt sich auch nicht, Vertragsbeendigungen auf dem Umweg über Disziplinarmaßnahmen zu erzwingen. Es besteht das rechtliche Risiko, dass Gerichte dies nicht akzeptieren, und das tatsächliche Risiko, damit den inneren Frieden im Unternehmen massiv zu verschlechtern. I. d. R. kommt nur die Kündigung wegen

  • Personalabbaus (Fortfall einzelner Positionen im Stellenplan),
  • Stellenabbaus (Reduzierung des Personals auf einzelnen Positionen),
  • Liquidation bzw. Schließung des Unternehmens
in Betracht. Dieses Verfahren nimmt ca. drei bis sechs Monate in Anspruch.

Beim Generaldirektor kann das Unternehmen den Vertrag jedoch aufgrund der besonderen Vertrauensstellung jederzeit und ohne Angabe von Gründen beenden. Allerdings muss es dann eine Abfindung zahlen. Ihre Höhe legen die Parteien bereits bei Vertragsschluss fest. Sie darf drei Monatsgehälter nicht unterschreiten.

Checkliste 1

Personalabbau

  • Grund für Personalabbau muss objektiv bestehen und dokumentiert werden (z. B. Unternehmensreorganisation, Verringerung des Arbeitsumfangs, allgemeine Zahlungsfähigkeit des Unternehmens, Automatisierung der Produktion)
  • Möglichkeit prüfen, unternehmensinterne Kommissionen unter Beteiligung der Arbeitnehmer zu bilden, um Entscheidung nachvollziehbar zu machen
  • Vorrechte auf Weiterbeschäftigung prüfen (Kriterien: höhere Produktivität und Qualifikation, soziale Aspekte)
  • Kündigungsverbote prüfen (u. a. für schwangere Frauen, Frauen mit Kindern bis zu drei Jahren, allein erziehende Mütter)
  • Versetzungsmöglichkeiten (auch untergeordnete oder schlechter bezahlte Stellen) innerhalb des Unternehmens prüfen (Verpflichtung besteht während der gesamten Kündigungsfrist)
  • bei gewerkschaftlicher Vertretung Stellungnahme einholen
  • Prikaz (Anordnung) erlassen über neue Personalstruktur, Änderung des alten Stellenplans und (nach zwei Monaten) neuen Stellenplan
  • Stellenabbau Mitarbeitern (schriftlich und persönlich mit Kündigungsfrist von zwei Monaten) und Arbeitsamt (zwei Monate vor entsprechender Maßnahme) ankündigen
  • Prikaz anfertigen über Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • Mitarbeitern Unterlagen, insbesondere Arbeitsbuch, und Schlussabrechnung aushändigen; Entlassungsgeld in Höhe eines Monatsverdiensts auszahlen; für zwei, maximal drei Monate Gehalt fortzahlen; Entlassungsgeld anrechnen

Vertragsänderung

Eine geschickte, aber komplexe Möglichkeit, die Personalkosten anzupassen, sind Eingriffe in bereits bestehende Arbeitsverhältnisse. Sie bedürfen der Schriftform und der Arbeitnehmer muss zustimmen. Möglich ist, das Gehalt oder andere vertraglich vereinbarte Vergütungsbestandteile zu kürzen, z. B. zusätzliche Sozialleistungen. Auch eine Reduzierung der Arbeitszeit – und damit des Entgelts – kommt in Betracht. In Sonderfällen kann der Arbeitgeber eine Umstellung auf Teilzeitbeschäftigung sogar einseitig anordnen. Dabei ist er verpflichtet, die Arbeitsbehörde innerhalb von drei Werktagen nach der Beschlussfassung über die entsprechenden Maßnahmen schriftlich zu benachrichtigen.

Checkliste 2

Einseitige Vertragsänderung

  • Vorliegen objektiver Gründe (Änderung der organisatorischen oder technischen Arbeitsbedingungen)
  • Der Mitarbeiter muss weiter in seiner bisherigen Funktion arbeiten.
  • Der Mitarbeiter ist spätestens zwei Monate vor der Einführung der Änderungen schriftlich in Kenntnis zu setzen.
  • Stimmt er nicht zu, prüfen, ob ihm eine andere Tätigkeit (derselben oder einer niedrigeren Qualifikation) angeboten werden kann.
  • Ist keine solche Tätigkeit vorhanden oder nimmt der Beschäftigte sie nicht an: Ende des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf einer zweimonatigen Kündigungsfrist; Zahlung einer Abfindung i. H. v. zwei durchschnittlichen Wochengehältern.
Praxistipp

In Russland ist das Modell des Kurzarbeitergelds unbekannt. Durch die Krise hat sich jedoch das Gehaltsniveau normalisiert. Das ermöglicht es, erfolgsorientierte und austauschbare Vergütungssysteme einzuführen bzw. zu verstärken. Derzeit sind russische Arbeitnehmer auch eher bereit, auf Rechte zu verzichten, um ihren Job zu behalten. Arbeitgeber können daher vielfach die Zustimmung erhalten, das Gehalt herabzusetzen oder die Arbeitszeit zu erhöhen. Allerdings erwarten die Beschäftigten dann auch, nach Ende der Krise wieder mehr zu verdienen.

Arbeitnehmerkündigung und Befristung

Auch in der Krise gibt es Arbeitnehmer, die von sich aus kündigen. Dies reduziert zwar die Kosten, doch sind es i. d. R. die besonders qualifizierten Leistungsträger, die auf dem Markt andere Perspektiven finden.

Die Kündigungsfrist für Mitarbeiter beträgt 14 Tage (für den General - direktor einen Monat). Der Arbeitgeber kann sie vertraglich nicht wirksam verlängern. Selbst bei teuren Investitionen in einen Mitarbeiter darf dieser rasch zur Konkurrenz wechseln. Dagegen hilft nur eine gute Personal - führung.

Mancher Beschäftigte, dem man verdeutlicht, dass er im Unternehmen keine Karrierechancen mehr hat, wird ebenfalls von sich aus kündigen. Mitunter kann man ihn auch dazu bringen, einvernehmlich den Vertrag zu beenden. Dies ist nach russischem Recht unproblematisch möglich, wenn beide Parteien zustimmen.

Es empfiehlt sich, stets eine schriftliche Aufhebungsvereinbarung abzuschließen und darin eine (geringe) Abfindung vorzusehen. Dies schreibt das russische Recht zwar nicht zwingend vor, allerdings werten Gerichte eine einvernehmliche Vertragsbeendigung ohne Gegenleistung des Arbeitgebers mitunter als Umgehung der Kündigungsvorschriften.

Einfache Möglichkeiten, auf die Krise zu reagieren, sind außerdem ein genereller Einstellungsstopp oder befristete Arbeitsverhältnisse. Auch nach russischem Recht wird ein Arbeitsvertrag grundsätzlich auf unbestimmte Zeit geschlossen. Eine Befristung bedarf eines Grunds. Nur in seltenen Fällen muss sogar zwingend ein befristeter Vertrag abgeschlossen werden, etwa um einen vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer zu ersetzen. Befristungsgründe bestehen z. B. bei Kleinunternehmen (nicht bei ausländischer Beteiligung) oder beim Leitungspersonal. Die allgemein schlechte Wirtschaftslage genügt dagegen nicht.

Ebenso sollten Arbeitgeber neue Mitarbeiter nur mit einer Probezeit einstellen. Diese darf nach russischem Recht drei Monate nicht überschreiten (für leitende Angestellte sechs Monate). Um Eignung und Motivation zu überprüfen, ist dies häufig zu kurz.

Wichtig

Damit ein Arbeitsverhältnis mit Ablauf einer Befristung oder der Probezeit wirksam endet, muss das Unternehmen den Arbeitnehmer spätestens drei Tage vor Ablauf schriftlich unter Angabe der Gründe benachrichtigen. Dies wird in der Praxis leider mitunter übersehen, so dass automatisch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht.

Kostenreduzierung ohne Vertragsänderung

Eine einfache, weil gerade für den Fall der Krise vereinbarte Möglichkeit, Kosten zu reduzieren, ist die Herabsetzung von freiwillig gewährten Vergütungen (Boni, freiwillige Krankenversicherung, Dienstreisekosten usw.). Dabei ist jedoch genau zu prüfen, ob es sich um vertraglich vereinbarte Bestandteile des Gehalts handelt. Ist dies zu bejahen, muss der Arbeit - geber das Verfahren der Vertragsänderung durchlaufen. Anderenfalls darf er die Leistung einseitig streichen.

Zu guter Letzt kann das Unternehmen die Krise auch nutzen, um die interne Arbeitsorganisation zu verbessern oder Mitarbeiter zu schulen. Bis 2008 boomte der russische Markt in einer Weise, die in vielen Betrieben keinen Raum für Personalentwicklung oder Weiterbildung ließ. Wer dies nun tut, reduziert zwar zunächst keine Kosten, sichert sich aber eine erhöhte Effizienz – und damit Kostenvorteile nach Ende der Krise.

Praxistipp

In manchen Branchen und für manche Positionen ist die Krise sogar eine gute Gelegenheit, Experten zu geringeren Gehältern – oder überhaupt – zu finden.

Rechtsdurchsetzung

In Russland gibt es keine eigene Arbeitsgerichtsbarkeit. Dies wird mitunter bei der Qualität von Gerichtsentscheidungen schmerzlich deutlich. Für arbeitsrechtliche Streitigkeiten sind i. d. R. die ordentlichen Gerichte zuständig. Manchmal ist vorher eine unternehmensinterne Schlichtungskommission zu beteiligen.

Bei der Überprüfung von Entlassungen sind die russischen Gerichte vergleichsweise streng. Die Misserfolgsquote für Arbeitgeber liegt bei etwa 50 %. In den meisten Fällen erklären die Richter die Kündigungen wegen Verfahrensverstößen oder nicht ausreichender Begründung für unwirksam. Um dem vorzubeugen, sollten Arbeitgeber das oben beschriebene Verfahren genau einhalten und es sorgfältig dokumentieren.

Praxistipp

Russische Arbeitnehmer sind deutlich weniger klagefreudig als deutsche Mitarbeiter. Dafür sind die Gerichte stark arbeitnehmerfreundlich und sehr formalistisch. Eine schnelle außergerichtliche Einigung ist einem Prozess daher i. d. R. vorzuziehen, auch wenn die Kosten höher sein sollten.

Kollektives Arbeitsrecht

Das kollektive Arbeitsrecht spielt in Russland eine viel geringere Rolle als in Deutschland. Eine Mitbestimmung bei der Unternehmensleitung ist dem russischen Recht fremd. Auch in den großen russischen Gesellschaften lenken allein die Kapitaleigner die Geschicke des Unternehmens. Den Arbeitnehmern stehen lediglich Informations- und Anhörungsrechte zu.

Allerdings haben die Mitarbeiter schon vor der Krise begonnen, stärker die eigenen Interessen zu vertreten. Sogar von Streiks bleiben westliche Arbeitgeber nicht mehr verschont. Gewerkschaften und Arbeitnehmer - vertreter repräsentieren die Beschäftigten. Die Gewerkschaften werden regelmäßig nach territorialen oder branchenspezifischen Kriterien bzw. einer Kombination daraus gegründet. Sie haben vor allem Anhörungsund Beteiligungsrechte.

Praxistipp

Es kann sinnvoll sein, die Einrichtung einer Gewerkschaft im eigenen Unternehmen aktiv zu unterstützen, um einen kompetenten Ansprechpartner zu haben und externe Einflüsse zu verhindern.

Steuerrecht und Sozialversicherung

Steuerlich ist Russland als Standort durchaus attraktiv, jedenfalls solange man nur die Steuersätze, nicht aber die Praxis der Erhebung betrachtet. Die Einkommensteuer liegt bei 13 % für sämtliche abhängig Beschäftigten. Es wird nicht nach der Höhe des Einkommens differenziert. Lediglich für Personen, die keine Steuerresidenten in Russland sind, gilt ein erhöhter Satz von 30 %. Im Gegenzug gibt es praktisch keine Möglichkeit, die Bemessungsgrundlage zu verringern (etwa durch Abzug von Werbungskosten). Der Arbeitgeber behält die Steuer ein und führt sie als Steuer - agent an die Steuerbehörde ab. Das führt dazu, dass russische Mitarbeiter stets in Kategorien des Nettoentgelts denken. Es sind schon manche Vertragsverhandlungen gescheitert, weil das Unternehmen Bruttobezüge, der potenzielle Mitarbeiter aber Nettoentgelte meinte.

Daneben wird seit 2001 eine sog. einheitliche Sozialsteuer erhoben, die der Arbeitgeber allein trägt. Sie fließt in mehrere soziale Fonds (u. a. für Sozialversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung) und erfüllt die Funktionen der deutschen Sozialversicherung. Diese Steuer fällt jedoch zum Jahresende weg. An ihre Stelle treten ab dem 1.1.2010 Abgaben an die Fonds. Sie verdeutlichen, dass es sich – wie in Deutschland – nicht um eine Steuer handelt.

Die Sozialabgaben entrichtet allein der Arbeitgeber zugunsten der bei ihm Beschäftigten. Bemessungsgrundlage bleibt, wie bei der Sozialsteuer, das Arbeitsentgelt. Der Tarifsatz wurde für 2010 auf 26 % festgelegt, was dem bisherigen Höchstsatz der einheitlichen Sozialsteuer entspricht. War die Steuer bisher degressiv gestaffelt (für höhere Einkommensbestandteile sank der Satz bis auf 2 %), gibt es nunmehr einen absoluten Höchstbetrag für das anzusetzende Einkommen bei 415.000 RUR (ca. 9.700 Euro). Mehr als 26 % dieses Betrags (107.900 RUR, ca. 2.500 Euro) werden damit nicht fällig. Der Höchstbetrag wird jedes Jahr, ausgehend von der Entwicklung des durchschnittlichen Lohns, angepasst. Ab 2011 steigt der Tarifsatz auf 34 %, ohne dass sich allerdings der Einkommenshöchstbetrag erhöht. Damit beträgt der Höchstbetrag der Abgaben dann 141.100 RUR (ca. 3.300 Euro). Im Ergebnis reduzieren sich für höhere Einkommen die abzuführenden Beträge gegenüber der Sozialsteuer, bei geringeren Einkommen steigen sie. Für westliche Unternehmen, die vergleichsweise hohe Gehälter zahlen, dürften sich damit kaum Nachteile ergeben.

Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen wurden weitgehend beibehalten. Ärgerlich ist allerdings, dass dafür nicht mehr die Steuerbehörde, sondern der Renten- und der Sozialversicherungsfonds zuständig sind. Die Unternehmen sehen sich also einer weiteren Kontrollbehörde ausgesetzt.

Praxistipp

Die Neuerung bringt bzgl. ausländischer Mitarbeiter, die sich aufgrund eines Arbeitsvisums in Russland aufhalten, einen Vorteil: Während für sie bisher Sozialsteuer zu entrichten war, ohne dass sie Ansprüche erwarben, muss der Arbeitgeber für sie nun keine Abgaben mehr zahlen.

Fazit

Das russische Arbeitsrecht sieht sich nach wie vor zahlreichen Vorbehalten ausgesetzt – an manchen Stellen zu Unrecht. Es ist ähnlich arbeitnehmerfreundlich wie das deutsche, bietet aber an vielen Stellen mehr Klarheit. Bei geschickter, mitunter allerdings formalistischer Vorgehensweise lassen sich die meisten Fragen sinnvoll lösen.

In der Krise hält das russische Arbeitsrecht ein beachtliches Instrumentarium bereit, um Personalkosten zu optimieren. I. d. R. akzeptieren russische Arbeitnehmer auch leichter als deutsche Veränderungen in der vertraglichen Gestaltung. Sinnvollerweise sollten Unternehmen die Krise allerdings nutzen, um die Produktivität zu erhöhen. Ziel muss sein, anschließend zwar vielleicht kleiner, aber vor allem leistungsstärker zu sein.

Praxistipp

Deutsche Unternehmen stehen in Russland nicht im Ruf, besonders hohe Gehälter zu zahlen. Gründe, die dennoch viele gute russische Mitarbeiter zu deutschen Unternehmen führen, sind das als angenehm empfundene Arbeitsklima, aber auch die langfristige Personalentwicklung. Diesen Image - vorteil sollten deutsche Investoren nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - Personal-Profi - 12/09