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5 | IRRTUM „WISSEN MUSS AUS
     EINEM GUSS SEIN“.


Ein Jurastudent mit Abschluss in der Tasche hat für seine Umwelt oft Expertenstatus – er kennt sich ganzheitlich im Recht aus. Vielen Bürgern ist dabei nicht bewusst, dass dieser Absolvent eine Schwerpunktexpertise hat: Medienrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht und so weiter. Und er hat in all seinen Semestern nicht alle Gesetzestexte internalisiert wie manche Christen die Bibel. Er weiß, wo er welches Gesetz findet, er kennt Fälle und Entscheidungen. Er findet sich im Bedarfsfall zurecht und kann andere Juristen qualifiziert um Rat fragen; er hat genügend Vorwissen für seine Fragen.

Das Juristenbeispiel ist stilbildend für viele andere Berufe. Natürlich braucht es eine solide Grundbildung, aber der Beschäftigte muss mit Wissenslücken umgehen können. Niemand muss sich dafür schämen, dass seine Bildung nicht aus einem Guss ist. Und Bildungsmaßnahmen sollten auch gar nicht darauf abzielen, sondern vielmehr Techniken zur Selbsthilfe schulen. Vera F. Birkenbihl hat sich mit diesem Thema näher befasst und dafür den Begriff des „Lücken-Managements“ geprägt. Ihr missfiel die Fehlerfeindlichkeit vieler Unternehmen, die oft mit unerfüllbaren Erwartungen verbunden ist. Als besonders ärgerlich, weil unverhältnismäßig erachtete sie betriebliche Sanktionen für Fehler, die nicht einmal nachweislich Schaden angerichten. Das Lücken-Management macht dagegen das Nicht-Wissen und den Fehler zu Agenten von positiven Lernerfahrungen. Psychologisch setzt Birkenbihl bei der Nützlichkeit von Scham und Strafe an: Wie nützlich ist es, dass der kritisierte Mitarbeiter sanktioniert wird? Und wie nützlich ist seine Reaktion, nämlich das Leiden für den Lernprozess? Birkenbihl konstatiert: Die negativen Emotionen rauben derart viel Energie, dass Lernen eben nicht befördert wird.      


Didaktischer Umgang mit Wissens- und Lernlücken – so geht´s

Die Didaktikforscherin schreibt:

„Ich schlage vor, einen einfachen Algorithmus zu durchlaufen:
Situation: Ich stelle fest, dass ich etwas nicht weiß und lerne,
diese Lücke ohne negative Gefühle zu registrieren.
Dann stelle ich mir ein bis zwei Fragen:

Frage 1: Will (oder muss) ich das wissen?
Frage 2: Lautet die Antwort Nein, dann ist der Vorgang erledigt. Andernfalls …
Wie kann ich mir diese Sache möglichst gehirngerecht aneignen?“

(Vera F. Birkenbihl: Trotzdem lehren. S. 99 f.)
 
Vera F. Birkenbihl merkt an, dass viele Bildungsprogramme zwar den Anschein erwecken, dass zu klärende Fragen eindeutig zu beantworten seien, in der Praxis gäbe es jedoch in vielen Sachgebieten nur komplexe Antworten. Insofern könne nie von „richtigen“ Urteilen gesprochen werden – die Lücke ist gar keine Lücke. Außerdem könnten auch falsche Antworten sehr gute Aspekte beinhalten, die vielleicht nicht unmittelbar intendiert waren, aber in anderen Kontexten aufschlussreich sind. Birkenbihl rät, Antworten immer differenziert zu betrachten

3 | IRRTUM „KAMPF BEFEUERT LERNWILLEN“.

Die moderne Spielindustrie vermarktet vor allem Konzepte, die auf dem Wettbewerbsgedanken basieren: Wer baut den komplexeren Staat, wer zieht einem Feuerwehrmann schneller die komplette Montur an, wer weiß mehr als seine Mitspieler? Diese Praxis könnte zum Schluss führen, dass allgemein gesprochen Kampfwillen das Lernen beschleunigt. Doch wer kennt nicht die Trickser, die auf dem Weg zum Sieg Abkürzungen ausloten? Es geht um den Status, die Details am Weg sind wenig relevant. Das berührt eine Grunderfahrung von Personalern: Manche Mitarbeiter wollen mit wenig Einsatz ganz großes Karrierebingo spielen. Passiert dies im Rahmen von Bildung, ist das ärgerlich, denn ein Pharmaunternehmen beispielsweise muss sicherstellen, dass der angehende Referent auch wirklich alle Produktinfos parat hat.

Vera F. Birkenbihl weist auf zwei grundlegende Bildungsbedingungen hin: Das Unternehmen muss einen Ort des Lernens bereitstellen – und nicht wie manch Spielhersteller suggeriert: Orte des Siegens. Lernen erfordert daher andere Settings als Kampf.

Als zweite Voraussetzung definiert Birkenbihl, dass Lernen Freude machen darf. Aber eben nicht als Freude des Besserseins als andere, sondern als Freude, immer mehr zu können und sich damit selbst verwirklichen zu können: mehr verstehen, mehr wissen, mehr loslassen können, mehr vertrauen können, sich sicherer fühlen.    


Didaktische Einrichtung von Lernprozessen – so geht´s

Vera F. Birkenbihl schlägt für das grundlegende Bildungs-Empowerment vor:

- es müssen unmittelbare Erfolgserlebnisse geschaffen werden (take away).
- keine Belehrungen vornehmen – Mitarbeiter wollen die Welt nicht erklärt
  bekommen, sondern sie selbst entdecken (diese Grafik setzt Farbe in Beziehung
  zu … statt ... diese  Grafik ist schön …).
- Bedürfnisse erfüllen statt Mitarbeiter reglementieren.
- keine vermeintlichen Siegerkonzepte oktroyieren, aber Beispiele zur Anregung aufbereiten.
- Lernteams bilden statt Einzelkämpfertum fördern.
- Spielerische Elemente einbauen – keinen Kampf inszenieren,
  sondern freies Spielen ermöglichen.

Hinweis: Die Inszenierung von Kampf beruht auf der Annahme, dass der faule Mitarbeiter gefordert werden muss. Wird diese Technik nötig, ist das jedoch ein Hinweis auf verfehlte didaktische Konzepte. Menschen tendieren neurologisch betrachtet immer zur freien Entfaltung. Diese muss gestaltet und zugunsten des Lerners kanalisiert werden. Kampf kann dabei ein mögliches Szenario sein. Dass die Spielindustrie darauf abhebt, weist eher auf Denkfaulheit der Anbieter hin.

1 | IRRTUM „SCHNELLSCHUSS“.

Schlecht waren die Rezensionen zum englischen Schnellschuss-Lernkurs ja nicht. User berichteten tatsächlich von Lernerfolgen. Aus Sicht der Hirnforschung und der Didaktik-Expertin Vera F. Birkenbihl sind diese darauf zurückzuführen, dass die Leser vor ihrer Lektüre schon mit Englisch in Berührung gekommen sein müssten – durch die Schule, das Anhören von englischsprachiger Musik und dergleichen. Die Gehirne der User hatten also schon entsprechende Nervenbahnen für diese Sprache angelegt. Birkenbihl schreibt in ihrem Buch „Trotzdem lehren“ aus dem Jahr 2004: „Wer Englisch und Deutsch kann, kann auch schon 50% Niederländisch; wer Englisch kann, kann auch schon 50% Latein plus ‚sämtliche‘ romanische Sprachen; etc. da kann man in 6 Tagen (10 Stunden am Tag) immens viel erreichen; es gilt, die relevanten Nervenbahnen zu aktivieren, die bereits vorhanden sind. Und das Aktivieren vorhandener Nervenbahnen geht sehr leicht.“


Büffeln und pauken – in vielen Berufen ist das Alltag

In vielen Betrieben geht es allerdings nicht einmal um Dutzende neue Businessvokabeln, sondern darum, völlig neue Kompetenzen aufzubauen: Ältere ungelernte Produktionsmitarbeiter sollen in der Paketierung softwaregestützt arbeiten. Pflegekräfte sollen sich aktiv mit ihrer Arbeitsgestaltung beschäftigen, um im Job zu bleiben; bislang mussten sie eher auf Druck und Zuruf arbeiten. Ein Schauspieler gerät karrieretechnisch aus seinen Kulturkreisen und versucht einen Neustart in der Wirtschaft. Ob Architekten als Quereinsteiger in der lukrativen grafischen Aufbereitung von Bauplananimationen reüssieren, hängt auch davon ab, ob und wie schnell sie sich in die entsprechenden hochkomplexen Programme einarbeiten. In all diesen Fällen und weiteren Feldern fehlen den Personen also solides Vorwissen und - biologisch ausgedrückt – die entsprechenden Nervenbahnen. Der zu bewegende Wagen hat keine Straße.     

Didaktik zur Vermittlung völlig neuer Lerninhalte – so geht´s


Für das Lernen aus dem absoluten Kaltstart heraus empfiehlt
Vera F. Birkenbihl Lehrenden unter anderem:  

1.)
- Gelegenheiten zur Beobachtung für zu imitierendes Verhalten bieten:
  Eine Szene viele Male erleben: ansehen, spüren, hören und selbst ausprobieren.
  Je weniger Distanz zur vorgeführten Szene existiert, desto besser lernt
  die beobachtende Person.

Anregungen für die Umsetzung:

Stereotype Verhaltensangebote sollten vermieden werden. Angenommen, es käme in einem Training zum Umgang mit Beschwerden darauf an, auch durch Mimik, Gestik und Stimme zu vermitteln, wie der Kunde am besten abzuholen wäre, so wäre ein Lernvideo wenig hilfreich, in dem eine Comicfigur dem Mitarbeiter als Vorbild dient. Videos sind auch dann wenig produktiv, wenn eine Führungskraft lernen soll, in hitzigen Streitdebatten innerlich standhaft zu bleiben: Die Energie der Situation ist bei weitem nicht dieselbe wie im realen Leben. Stereotype Verhaltensanweisungen können sogar, wenn sie in großem Stil gefordert werden, in psychologische Störungen münden, weil sie die Lebendigkeit, also Eigenaktivität einer Person ausbremsen.

Ein weiteres Argument für Trainings in Anwesenheit von Lernenden und Lehrenden: Indem ein Training oder eine Schulung einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus auf ein Aktion, einen Gegenstand oder ein Ereignis (joint attention) herstellt, wird ein echter Dialog erst möglich und bleibt dem Lernenden nachdrücklich in Erinnerung. Das zumindest ist ein Forschungsergebnis des Entwicklungspsychologen Michael Tomasello, der in vergleichenden Studien mit Affen und Kleinkindern herausfand, dass menschliches Selbstbewusstsein und menschlicher Geist dadurch entstehen, dass Menschen kulturelle Systeme und Praktiken durch soziale Kontakte quasi „aufsaugen“.
(Link: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/02/Mensch-Individuum-Selbstbewusstsein/seite-2

2.)
 
- Möglichkeiten zum Vergleich geben (etwas in Beziehung setzen)
  Laut Vera F. Birkenbihl vergleicht das menschliche Gehirn Informationen unablässig  
  miteinander, diese Tätigkeit ist dem Organ also ureigen und kann nicht ausgebremst werden
  („Neuro-Mechanismus“). Die Maßgabe des Gehirns für den Vergleich ist die Unterscheidung
  von Bekannten und Unbekanntem. Birkenbihl weist darauf hin, dass Unbekanntes eher bewusst
  wird als Bekanntes, denn das Unbekannte bedeutet für das Gehirn immer: Es muss gehandelt
  werden. Unter Umständen löst dies Konflikte aus, denn der Lernende muss das Unbekannte
  automatisch mit dem bereits Gelernten konfrontieren. Und je geschwächter der Lernende ist –
  Ärger, Trauer, Frust, Krankheit – desto heftiger fällt seine Abwehr aus. Diese lässt also nicht
  auf seinen Charakter schließen, sondern ist ein natürliches Verhalten. Die Aufnahme von
  Neuem erfordert Energie. Der Körper schützt den Menschen im Falle von Überforderung. Im
  Umkehrschluss sind gesunde und ausgeglichene Personen tendenziell neugierig und
  wissensbegierig.

  Vera F. Birkenbihl nennt zwei weitere Vergleichsmaßgaben des Gehirns: Gibt es Alternativen,
  bzw. Anderes? Und gibt es Ähnliches? "Ähnlich" und "anders" können Abwehrmechanismen
  entschärfen.

Anregungen für die Umsetzung:

Bildungsprogramme für ältere Lernende müssen also diese Tatsachen besonders berücksichtigen und sollten ihnen entgegenkommen, indem sie aktiv Vergleiche von Altem und Neuem anbieten. Dazu ist es nötig zu wissen, wo Mitarbeiter bei einer Thematik wissenstechnisch stehen, damit diese besser anschließen können. Wichtig wäre auch, die Neuheitsgrade zu thematisieren: Ist etwas völlig neu? Ist etwas ähnlich und damit quasi weniger neu? Ist etwas anders? Die Kriterien „bekannt“ und „ähnlich“ lösen wenig Abwehr aus, animieren aber auch weniger zum Handeln.

2 | IRRTUM „REGELN BESCHLEUNIGEN LERNEN“.

Spielregeln stehen im Ruf, ihren Anwendern viele Vorteile zu bescheren: Diskussionen über wer, was, wann und wo entfallen. In Form von straffen Regeln wird vermeintlich gesichertes Wissen zur Verfügung gestellt, was der Anwender sich nicht mehr mühsam aneignen muss. Er paukt sie lediglich und kann sofort sein Wissen anwenden. Er gerät nicht in Konflikt mit anderen Menschen und kann sich so in Sicherheit wiegen.

Falsch ist diese Theorie nicht, wie die Praxis zeigt: Staaten funktionieren nach Regeln, Verhandlungen fußen auf Regeln und wiederum Regeln sind es, die in Teamarbeiten Dynamiken ausbremsen. In diesen Kontexten haben Regeln ihre Berechtigung, doch in anderen Settings sieht es anders aus. Laut Vera F. Birkenbihl hat Regelkonformismus im Bildungswesen wenig Nutzen, und zwar aus neurologischen Gründen: Das Gehirn versucht in der Konfrontation mit neuen Situationen eigene Regeln aus dem Wahrgenommenen abzuleiten: In jeder Situation sucht das Gehirn nach Gemeinsamkeiten und Entsprechungen; das bedeutet, dass es eigenständig für Gründe sucht, warum Realität so funktioniert wie sie funktioniert. Nur aus der Erfahrung entsteht Selbstbewusstsein und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Das macht den Menschen handlungsfähig. Vera F. Birkenbihl leitet aus dieser Tatsache den Schluss ab, dass Bildungsmaßnahmen Pauken von Regeln bedacht anwenden müssen. Um das eigenständige Denken zu unterstützen, müssen Lehrende Ankerpunkte für Entdeckungsreisen und Assoziationen gewähren – nur dann beteiligen sich Lernende lustvoll und gespannt an Bildung. Das, aus neurologischer Sicht natürliche Denken ist assoziativ. Das echte rational-analytische Denken fußt auf Assoziation. Für Auswendiglernen braucht es aber keine Ratio und auch keine Analysefähigkeiten. Es erfordert nur Merkfähigkeit. Und viel schlimmer: Das Auswendiggelernte ist kein Schatz, mit dem gern weiter experimentiert wird, es wird als Haben betrachtet und verteidigt oder gehütet.
  

Didaktik zur Unterstützung assoziativen Denkens – so geht´s


Vera F. Birkenbihl empfiehlt Lehrenden zur Unterstützung von assoziationsgestütztem Lernen:

- Statt rhetorische Fragen zu stellen, kleine Fragespiele veranstalten.
- Geschichten rund um den Lerninhalt erzählen und zur Fortsetzung auffordern
  und die Entwicklung der Antworten im Dialog begleiten (Sehr gut …, Denken Sie mal an …,
  Wie wäre es, wenn…) 
- Assoziationen in keinem Fall kontrollieren wollen, weil sie nicht kontrollierbar sind.
  Andernfalls wird Klischee-Wissen abgefragt und die freie Assoziation ist nicht gelungen.
- Alle Assoziationen sind erlaubt: Emotionale, intellektuelle, faktische etc.
- Mehrere mögliche Antworten zulassen! Das Ergebnis mag dasselbe, doch die Wege
  dahin mögen sehr verschieden sein. Beispiel: Der Speichervorgang in einer Software
  lässt sich ganz verschieden programmieren. Und nur weil in der Praxis ein  
  Entwicklerteam eine Variante bevorzugt, bedeutet das nicht, dass die anders lautende Antwort
  eines Neueinsteigers falsch wäre. Sie kann nur nicht umgesetzt werden
- Mit Bildern, Verweisen und Fragen zum Suchen und Finden anregen.  

Birkenbihl betont, dass assoziatives Denken ein freies Denken ist. Und das freie Denken ist das landläufig so oft geforderte KREATIVE DENKEN. Assoziatives Denken verbindet neue Lernaspekte mit dem bereits aufgebauten Wissen. Darum ist das so genannte „Anschlusslernen“ für ältere Menschen so wichtig.

Hinweis: Bei Personen, die vor allem zum Pauken nach Regeln erzogen wurden, ist es nötig, den Geist erst wieder durch Training in Fluss zu bringen. Vera F. Birkenbihl beschreibt dazu viele Methoden.


HILFE: Wie sich denk- und lernfaule Mitarbeiter erkennen lassen

Vera F. Birkenbihl beschreibt in ihrem Buch „Trotzdem lehren“ den Beispielfall von zwei Führungskräften, die durch ihre Lieblingsfragetechniken erkennen lassen, wie gern sie selbst denken:

Stellen Sie sich zwei Führungskräfte vor: Der eine fragt geschlossen, immer knapp und präzise, was er gerade wissen will und genau das bekommt er von seinen Leuten – nur Minimal-Antworten. Sowohl von den echten als auch von den metaphorischen „Mitarbeiter“ in seinem (unbewussten) Geist (Hinweis der Redaktion: der metaphorische MA ist bei Birkenbihl eine psychologische Instanz). Für ihn ist Denken unangenehm. Er drückt sich vor dem Denken, indem er über viele Dinge spricht, die bereits bekannt sind, damit es nicht auffällt, dass er sich vom Rand seines derzeitigen Wissens entfernt hält, denn da  müsste er ja zu Forschern beginnen und Forschen geht mit Denk-Prozessen einher. Er drückt sich auch vor Entscheidungen (beruflich wie privat) und wenn eine getroffen werden muss, dann sucht er alte Topfdeckel und wählt einen aus, der schon irgendwie auf den heutigen Topf passen soll … Der andere ist das genaue gegenteil. Er liebt es, verschlossene Töpfe zu studieren und Deckel zu heben (also Ent-DECK-ungen zu machen). Er denkt gerne, weil er geistige Abenteuer schätzt. Er ist locker und stellt viele offene Fragen […]. Daher hat er eine REICH-ere Auswahl, erfindet Denken von Jahr zu Jahr interessanter, spannender, faszinierender, denn es ist eine Kompetenz, die er systematisch ausbaut, trainiert, fordert und fördert.“ 

(Vera F. Birkenbihl: Trotzdem lehren. S. 44)

4 | IRRTUM „EINMAL GELERNT –
     IMMER GEWUSST“.


Für die ehrgeizigen Entscheider von Bildungsbudgets ist dies vielleicht die Nachricht, die sie garantiert nicht hören wollen: Einmal ordentlich gebüffelt und gepaukt reicht nicht. Billig im Schnelldurchgang mit abschließender Prüfung schulen, geht am Ende ordentlich ins Geld. Schuld daran ist nicht der lernunwillige Mitarbeiter, sondern die Neurologie. Bildungsversprechen, die verschweigen, dass komplexe Themen, neue Praktiken und anderes von Zeit zu Zeit aufgefrischt werden müssen, sind unseriös. Das betrifft vor allem die Schulung von Hintergrundwissen. In der betrieblichen Praxis verflachen sich viele Inhalte notwendig.  


Didaktisch sinnvoller Umgang mit Wiederholungen: Warum?

Nach Vera F. Birkenbihl geht es durchaus nicht darum, zu lernende Phrasen zum Beispiel hirnlos hundert Mal schreiben zu lassen, sondern Wiederholungen zu kultivieren. Das ist folgende Vorteile: Das Denken vertieft sich. Der Reichtum von Aspekten rund um ein Thema führt zu weiteren kreativen Denkprozessen. In der Wiederholung entsteht eine Inventur des Wissens: Wie habe ich mich bislang verhalten? Wie habe ich ein Thema kommuniziert? Habe ich in der praktischen Anwendung mehr Aspekte gewonnen oder hat sich mein Wissen eher unvorteilhaft abgeschliffen? Wiederholungen stärken außerdem die Nervenbahnen, über welche die Informationen verarbeitet werden (siehe Irrtum 1 in diesem Beitrag).  

6 | IRRTUM „DER LEHRER KANN´S –
LERNEN MUSS DER MITARBEITER“.


Das eklatanteste Dilemma im Bildungsbetrieb – nicht nur im Schulbereich - macht Vera F. Birkenbihl allerdings bei den Lehrenden selbst aus: „Man predigt Wein und bleibt selbst abstinent! Das merken die Leute und deshalb klagen solche Lehrkräfte darüber, dass niemand mitmachen will. Das ändert sich über Nacht, wenn man es selbst regelmäßig tut.“ Die Forscherin rät daher Führungs- und Lehrkräften, kein Wissen lediglich zu verteilen, sondern in der Vermittlung von Wissen und Anregung von Denkprozessen weiterhin viel auszuprobieren, zu experimentieren und ständig weiterzugehen. Für Lernende zählt eben nicht der Status des Lehrenden – Erwachsene stellen diesen ohnehin gern in Frage, sondern die eigene Lern- und Lehrexpertise.

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(sh)

Fotocredit:

1)  Ute Mulder | www.pixelio.de     
2)  lichtkunst.73 | www.pixelio.de
3)  Anne Garti | www.pixelio.de
4)  Frau K. | www.pixelio.de
5)  Karl-Heinz Laube | www.pixelio.de
6)  Rainer Sturm | www.pixelio.de