Herr Streitz, die meisten Menschen arbeiten noch immer an festen Arbeitsplätzen, haben geregelte Arbeitszeiten und pflegen persönliche Kontakte zu Kollegen. Bleibt die viel beschriebene Virtualisierung und Mobilisierung der Arbeitswelt aus?

Apple MacBook beside computer mouse on table
Foto von Luca Bravo

Der Begriff Virtualisierung ist bezogen auf die Arbeitswelt eigentlich irreführend. Denn die Arbeit, die wir erledigen, bleibt ja real. Virtuell meint hier eher, dass Kooperation und Kommunikation über reale Begegnungsformen hinaus auch in virtuellen Informationsräumen stattfinden kann. Dies betrifft aber eine eher begrenzte Zielgruppe, zum Beispiel Manager, Kreative oder Vertriebsmitarbeiter. Sie nutzen die modernen Informationstechnologien – wie Mobilfunk oder Wireless LAN – und können so jederzeit und an jedem Ort arbeiten. Auch in Zukunft wird es noch viele Menschen geben, die in Supermärkten oder Werkstätten arbeiten. Sie betreffen diese Entwicklungen weniger. Bei den so genannten Wissensarbeitern zeichnet sich aber dieser Trend zum mobilen Arbeiten schon sehr deutlich ab. Dadurch ändert sich auch die Funktion der Bürogebäude.

Inwiefern? Wie sehen die Bürogebäude der Zukunft aus?

Bürogebäude werden nicht mehr primär dem individuellen Arbeiten und Lernen dienen, denn das können die Mitarbeiter auch außerhalb der Gebäude. Sie werden vielmehr zu Orten der Begegnung und der projektbezogenen Teamarbeit. Wir bezeichnen solche Gebäude als „kooperativ“, weil sie zur Kooperation anregen. Die Mitarbeiter treffen sich dort zu Teamsitzungen oder tauschen in der Cafeteria Ideen aus. Die Arbeitsräume müssen diese geplanten und ungeplanten sozialen Prozesse fördern.

Und wie?

Zum einen durch die architektonische Gestaltung der Gebäude. Kooperative Gebäude bestehen nicht aus vielen kleinen Einzelbüros, sondern bieten über Teamarbeitsplätze, dynamisch konfigurierbare Besprechungsräume, Cafeterias und Lounge-Bereiche viel Raum für spontane Begegnungen und für geplante Teamarbeit.

Ein weiteres Merkmal kooperativer Gebäude ist die Integration von Informationstechnologie in Raumelemente wie zum Beispiel Wände, Türen oder Möbel. Unsere Arbeit wird künftig mehr und mehr durch IT unterstützt. Das Paradoxe ist aber: Je mehr IT wir haben, desto unsichtbarer wird sie. Es gibt einen deutlichen Trend hin zum „verschwindenden Computer“. IT wird zunehmend in Raumelemente oder in Kleidung integriert. Diese Objekte können dadurch „smart“ werden, das heißt, sie werden mit gewissen Funktionalitäten ausgestattet, die uns unterstützen.

Welche Vorteile bieten interaktive Möbel gegenüber herkömmlichen Computern?

Vereinfacht gesagt, ihre Bedienung ist intuitiver. Unser Forschungsbereich Ambiente hat einige intelligente Raumelemente, so genannte Roomware-Komponenten, entwickelt. Darunter ist beispielsweise eine interaktive Wand, die DynaWall, auf der Sie Informationsobjekte mit einem Finger verschieben, einem Kollegen zu werfen oder mit einer Handbewegung löschen können. Eine weitere Roomware-Komponente ist ein interaktiver Tisch, der InteracTable, in dessen Platte wir einen Plasmabildschirm horizontal integriert haben. Darauf können Sie mehrere Ansichten eines Dokuments erzeugen und ihren Gesprächspartnern mit dem Finger so zudrehen, dass alle an verschiedenen Seiten um den Tisch herum stehenden Teammitglieder das Dokument mit der jeweils für sie richtigen Perspektive sehen können. Einige große Unternehmen setzen die Roomware-Komponenten bereits ein. Interesse zeigen vor allem IT-affine Firmen, aber auch Unternehmen, die viel mit Bildern und grafischen Elementen arbeiten.

Die HelloWall kommuniziert Stimmungen über räumliche Grenzen hinweg. Der InteracTable (links) erleichtert das gemeinsame Arbeiten an einem Dokument.

Teamarbeit wird ja oft dadurch erschwert, dass die Teammitglieder über mehrere Niederlassungen verstreut sind. Welche Technologien werden künftig die globale Zusammenarbeit erleichtern?

Die Kommunikation verläuft heute zunehmend asynchron, insbesondere dann, wenn global verteilte Teams in unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten. Man schreibt eine E-Mail und erhält die Antwort zeitverzögert. E-Mails sind unter anderem dann sinnvoll, wenn ich einen Gesprächspartner nicht direkt persönlich erreiche, weil er zum Beispiel in einem Meeting sitzt, oder wichtige Unterlagen mitgeschickt werden müssen. Andererseits wird die Erwartungshaltung, auf eine E-Mail sofort oder ohne große Verzögerung eine Antwort zu bekommen, immer größer. Die damit verbundene Beschleunigung der Prozesse hat positive aber auch negative Auswirkungen.

Viele Menschen beklagen aber, dass die wachsende Bedeutung der E-Mail-Kommunikation persönliche Beziehungen verkümmern lässt …

… und persönliche Beziehungen und Kontakte sind gerade für Wissensarbeiter sehr wichtig. Untersuchungen zufolge entstehen 70 bis 80 Prozent aller kreativen Ideen nicht in formalen Meetings, sondern in der informellen Kommunikation. Allerdings haben Teams, die über mehrere Standorte verteilt sind, nur selten die Gelegenheit, sich spontan auszutauschen. Deshalb sind wir der Frage nachgegangen, wie entsprechende Kommunikationsbedingungen geschaffen werden können. Wenn Sie mit ihren Kollegen in einem Gebäude arbeiten, können Sie über den Flur gehen, in die Büros schauen und sehen, ob jemand Zeit für ein Gespräch hat. Sie sehen, in welcher Stimmung er ist und ob er ansprechbar ist. Vergleichbare Möglichkeiten wollten wir auch für Teams schaffen, die an unterschiedlichen Standorten arbeiten.

Wie lassen sich Stimmungen über Gebäudegrenzen hinweg kommunizieren?

Wir haben zu diesem Zweck die so genannte „HelloWall“ entwickelt, eine interaktive Wand mit mehr als hundert Lichtzellen. Die dynamisch sich verändernden Lichtmuster der Wand signalisieren der einen Niederlassung, wie viele Kollegen am anderen Standort arbeiten, wer gerade anwesend ist und wie die Stimmung im Team ist. Die Wand misst natürlich nicht die reale Laune der Beschäftigten. Stattdessen signalisieren die Teammitglieder der Wand per Knopfdruck, ob sie guter, mittlerer oder schlechter Stimmung sind. Alle Mitarbeiter tragen auf Funkerkennung basierende so genannte RFID-Chips, sodass die Wand erkennen kann, wie viele Teammitglieder anwesend sind. Die Mitarbeiter selbst entscheiden, ob sie anonym oder in ihrer Funktion erscheinen wollen. Diese Informationen setzt die Wand in Lichtsignale um. Anhand der Lichtmuster können die Kollegen in der anderen Niederlassung erkennen, wie viele Kollegen arbeiten, wer vor Ort ist und wie die Stimmung im Team ist. So können sie zum Beispiel entscheiden, ob der Zeitpunkt für eine spontane Videokonferenz günstig ist, um dann auch einen direkten persönlichen Kontakt herzustellen.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Mitarbeiter gegen eine Identifikation per Chip oder Videokamera wehren?

Das war für uns ein wichtiges Thema. Denn je mehr Erfassungssysteme in den Berufsalltag eindringen, desto wichtiger ist es, dass die Mitarbeiter kontrollieren können, was über sie aufgezeichnet wird. Aus diesem Grund wollten wir zum Beispiel keine Videokamera einrichten, die ständig alles aufzeichnet. Anderseits benötigen die Informationssysteme in einem kooperativen Gebäude ein Mindestmaß an Informationen, damit sie personenbezogene Unterstützung anbieten können. Wenn die interaktive Wand Sie erkennt, kann sie Ihnen beispielsweise persönliche E-Mails oder Dokumente anzeigen, ohne dass Sie sich vorher einloggen müssen.

Wir werden also in Zukunft zunehmend „gegen die Wand“ reden?

Nein, so würde ich das nicht formulieren. Ich spreche ja nicht mit der „HelloWall“. Sie ist eher in der Peripherie meiner Wahrnehmung und vermittelt mir Informationen auf eine subtile Art und Weise durch ästhetisch ansprechende Lichtmuster. Darüber hinaus würde ich aber Unternehmen auf jeden Fall raten, sich – bei aller Notwendigkeit für verteiltes Arbeiten – dabei nicht auf Informationstechnologie zu beschränken, sondern auch ganz stark die persönliche Kommunikation innerhalb des Gebäudes und den Austausch von Personen zwischen Standorten zu fördern. Die persönliche Begegnung von Menschen und der direkte ungefilterte Austausch von Informationen sind unverzichtbar.

Interview: Bettina Geuenich

Quelle: personal manager 2/2006