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Foto von Alesia Kazantceva
Stopp für den gesetzlichen Mindestlohn

Einen gesetzlichen Mindestlohn lehnt die Koalition generell ab. Damit stellt sie das erst im Frühjahr neu gefasste Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen sowie das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte Arbeitnehmer (Arbeitnehmerentsendegesetz) in Frage. Die mit diesen beiden Gesetzen begonnene Entwicklung zu einem gesetzlich in weiten Bereichen geltenden Mindestlohn ist damit erst einmal gestoppt. Das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen hat der Regierung die Festsetzung von Mindestlöhnen in bestimmten Branchen eröffnet (wenn in dem jeweiligen Wirtschaftszweig bundesweit weniger als 50 Prozent der Beschäftigten an Tarifverträge gebunden sind). Das ebenfalls im Frühjahr verabschiedete Arbeitnehmer-Entsendegesetz sieht für bestimmte Branchen die zwingende Geltung tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen unter anderem dann vor, wenn die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Beschränkung der Kompetenzen des Bundesarbeitsministers bei der "Allgemeinverbindlichkeit"

Die vorstehend beschriebene Tendenz setzt sich auch bei der Ausweitung bestehender Tarifverträge in Form von sogenannten "Allgemeinverbindlichkeitserklärungen" fort. Derzeit kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag unter bestimmten Voraussetzungen im Einvernehmen mit einem "Tarifausschuss" (bestehend aus je drei Vertretern der Spitzenorganisation der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer) auch für Unternehmen und Mitarbeiter für allgemein gültig erklären, die nicht tarifgebunden sind. Nach dem Koalitionsvertrag soll entgegen dem Wortlaut des Tarifvertragsgesetzes die Kompetenz des Arbeitsministers in der Weise beschränkt werden, dass ein einvernehmlicher Kabinettsbeschluss für die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit gefordert wird. Auswirkungen haben diese Einschränkungen in bestimmten Branchen (wie zum Beispiel dem Einzelhandel), die weitgehend von tariflich festgelegten Mindestlöhnen beherrscht werden.

Prüfende Bewertung der bestehenden Gesetze

Bis 2011 möchte die Koalition prüfen, ob sie die "Mindestlohngesetze" unter Umständen sogar einschränkt oder abschafft. Das steht nach dem Koalitionsvertrag dann zur Debatte, wenn diese Gesetze Arbeitsplätze gefährden oder wenn sie neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegenstehen. Auf dem Prüfstand steht auch, ob Mindestarbeitsbedingungen "den erforderlichen Schutz der Arbeitnehmer als auch die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Branchen gewährleisten". Vorab sieht der Vertrag jedoch vor, das beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Verfahren zum Mindestlohn privater Briefdienstleister abzuwarten. Für Briefzusteller gilt in Deutschland seit knapp zwei Jahren ein Mindestlohn, gegen den die Zustellunternehmen geklagt haben. Anders als die Post zahlt eine Reihe privater Briefdienstleister diesen jedoch nicht. Nachdem die Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums, die den Mindestlohn festlegt, bisher schon zwei Oberverwaltungsgerichte für ungültig erklärt haben (z.B. OVG Berlin-Brandenburg vom 18.12.2008 – 1 B 13.08), muss nun das Bundesverwaltungsgericht darüber entscheiden.

Neu: Die "Sittenwidrigkeitsgrenze"

Die neue Regierung zeigt in den entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrages, dass sie den von der Großen Koalition verfolgten Weg verlassen will. Zu niedrige Löhne sollen zukünftig ausschließlich an der "Sittenwidrigkeitsgrenze" gemessen werden. "Die Rechtsprechung zum Verbot sittenwidriger Löhne soll gesetzlich festgeschrieben werden, um Lohndumping zu verhindern" – so der Koalitionsvertrag. Nach dieser Rechtsprechung besteht eine sittenwidrige Gehaltsvereinbarung dann, wenn Leistung und Gegenleistung in einem "auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere Umstände, zum Beispiel eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten, hinzutreten", so das Bundesarbeitsgericht in einer neuen Entscheidung. In diesem Fall muss der Arbeitgeber die übliche Vergütung der Branche bezahlen. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt dann vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht.

Weg vom Mindestlohn, hin zur "Sittenwidrigkeitsgrenze"

Zusammenfassend lässt sich der Bereich gesetzlicher Mindestlohn/Lohndumping wie folgt charakterisieren: Weg vom gesetzlichen Mindestlohn und weg von der Ausweitung dieses Mindestlohns durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Wer tariflich geschützt ist, soll diesen Schutz behalten. Wer tariflich nicht geschützt ist, den soll das Netz der Sittenwidrigkeit auffangen. Verdient jemand weniger als zwei Drittel des in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns, kann er wegen Sittenwidrigkeit 100 Prozent des üblichen Lohns vom Arbeitgeber verlangen.

Erleichterung für Unternehmen im Befristungsrecht

Einhellige Zustimmung dürfte das Vorhaben der neuen Bundesregierung finden, das Befristungsrecht bei der Berücksichtigung von Vorbeschäftigungen zu ändern. Nach aktueller Gesetzeslage kann es zur folgenden misslichen Situation kommen: Ein Arbeitnehmer wird befristet eingestellt und erklärt nach kurzer Zeit, die Befristung sei unwirksam, weil er bereits vor 20 Jahren als Praktikant im gleichen Unternehmen tätig war. Denn das Gesetz erklärt eine Befristung für nicht rechtmäßig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Es besteht Einigkeit, dass diese Regelung misslungen ist und zumindest eine zeitliche Begrenzung für die mögliche Vorbeschäftigung vorgesehen werden sollte. Die schwarz-gelbe Koalition will nun die erneute Befristung nach einer Wartezeit von einem Jahr generell zulassen. Wenn also bereits ein befristetes Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen bestand, dann kann ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart werden, wenn zwischen dem Ende des früheren und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses mindestens ein Jahr liegt.

Erweiterung des Anwendungsbereichs bei Minijobs

Bei sogenannten Minijobs (geringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit einer Vergütung von bis zu EUR 400,-, für die besondere sozialversicherungsrechtliche und steuerliche Regelungen gelten) will die neue Regierung die Erhöhung dieses Betrages prüfen. Außerdem möchte sie untersuchen, ob diese Grenze dynamisch sein soll. Dies dürfte entweder eine zeitliche Dynamisierung bedeuten (also Erhöhung der Grenze nach einem bestimmten Zeitraum) oder eine betragsmäßige Dynamisierung, indem die Grenze von 400 Euro nach oben oder auch regional gestaffelt ist. Dabei könnte auch eine entsprechende Staffelung der Sozialabgaben erfolgen.

Zuwanderung von Fachkräften

Die Koalition möchte zukünftig den Zugang von Fachkräften zum deutschen Arbeitsmarkt gezielt anhand der Bedürfnisse in den Unternehmen steuern. Es sollen klare transparente und gewichtete Kriterien, wie beispielsweise Bedarf, Qualifizierung und Integrationsfähigkeit berücksichtigt werden. Für die Aufnahme von selbständigen Tätigkeiten oder für Sondergruppen (Studenten, Sportler, Künstler und Saisonarbeitskräfte) sollen die Tätigkeitsmöglichkeiten in Deutschland vereinfacht werden.

Erweiterung der Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen

Seit Jahrzehnten setzt sich die FDP dafür ein, die gesetzlichen Möglichkeiten dafür zu erweitern, Miteigentum am Kapital des Arbeitgeberunternehmens zu erwerben. Die Regierung will dies nach dem Prinzip der "doppelten Freiwilligkeit" umsetzen. Danach sollen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber eine derartige Kapitalbeteiligung freiwillig einführen dürfen. Geplant ist, dass Arbeitnehmer dies durch Entgeltumwandlung mit einem Steuerbegünstigungseffekt erreichen können.

"Ehrenkodex" für Betriebsräte

Für Betriebsräte will die Regierung einen "Ehrenkodex" entwickeln. Die Betriebsversammlung soll das Recht bekommen, Informationen über die an Betriebsratsmitglieder gezahlten Aufwendungen zu erhalten. Hintergrund dieser Initiative dürften Strafverfahren gegen Betriebsräte und Aufsichtsräte in den vergangenen Jahren gewesen sein. Daneben könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass die gesetzlichen Strafvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes lediglich die Strafbarkeit des Arbeitgebers behandeln. Ein Betriebsrat, der finanzielle Vorteile entgegen nimmt, macht sich bisher weder strafbar noch handelt er ordnungswidrig.

Ende der gesetzlichen Förderung der Altersteilzeit

Für ältere Arbeitnehmer will die Koalition die Anreize erhöhen, bis zur gesetzlichen Altersgrenze zu arbeiten. Ausdrücklich wird festgestellt, dass eine Verlängerung der gesetzlich geförderten Altersteilzeit über den 31. Dezember 2009 hinaus abgelehnt wird. Dies wird jedoch die Tarifvertragsparteien nicht davon abhalten, nicht geförderte Altersteilzeitmodelle einzuführen. Die Koalition möchte in diesem Zusammenhang auch prüfen, inwieweit berufliche Altersgrenzen (wie zum Beispiel für Piloten) durch gesetzliche Initiative abgeschafft werden können.

Förderung von Familien

Im Bereich der Förderung von Familien wird die Koalition sich für familienfreundliche und flexible Arbeitszeitmodelle einsetzen. Dabei sollen vor allem Sabbaticals geprüft werden, damit sich Eltern Zeit für wichtige persönliche Dinge, wie die Familie, nehmen können. Auch diese Initiative dürfte allgemein auf Zustimmung stoßen.

Elterngeld/Elternzeit

Im Bereich des Elterngeldes soll es dem Ehepartner ermöglicht werden, über die zwei Elternzeitmonate hinaus noch weitere Monate in Anspruch zu nehmen. Außerdem soll ein sogenanntes Teilelterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt werden. Teilelterngeld ist für diejenigen Mitarbeiter interessant, die während der Elternzeit in Teilzeit arbeiten möchten, dafür aber länger Elterngeld beziehen wollen. Schließlich soll durchgesetzt werden, dass die gleichzeitige Teilzeit bei einer parallel laufenden Elternzeit von Vater und Mutter nicht dazu führt, dass der Anspruch auf Elternzeit doppelt verbraucht wird. Bislang führte eine parallel laufende Elternzeit zu einem Doppelverbrauch und somit zu einer Verkürzung des Bezugszeitraums.

Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes

Durch die Überwachungsskandale im Handelsbereich sind in jüngster Vergangenheit Rufe nach einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz laut geworden. Die Regierung will Arbeitnehmer vor Bespitzelung am Arbeitsplatz wirksam schützen. Dies möchte sie durch die Aufnahme eines eigenen Kapitels "Arbeitnehmerdatenschutz" in das Bundesdatenschutzgesetz erreichen. Die Verarbeitung von Arbeitnehmerdaten darf nur zu einem Zweck erfolgen, der vom Arbeitsverhältnis gedeckt ist. So dürfte es nach dem (voraussichtlich) neuen Gesetz nicht (mehr) zulässig sein, bei Einstellungsuntersuchungen umfassend Gesundheitsdaten zu erfassen (zum Beispiel pauschal Blutproben zu nehmen). Insbesondere darf sich das Recht zur Datenverarbeitung nicht auf außerdienstliches Verhalten oder auf nicht dienstrelevante Gesundheitszustände beziehen. Andererseits soll aber gleichzeitig nicht der Kampf gegen Korruption unmöglich gemacht werden.

Diese Gesetzesinitiative ist nicht neu - das Vorhaben hat bereits die Große Koalition verfolgt. Die Initiative führte allerdings nur zu einem Minimalkompromiss.

Fazit

Die von der FDP in ihrem Wahlprogramm geforderten Änderungen im Bereich des Kündigungsschutzes und des Betriebsverfassungsgesetzes haben keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Für Unternehmen bedeutsam sind die geplante prinzipielle Abkehr von einem flächendeckenden Mindestlohn und die Schaffung einer gesetzlichen "Sittenwidrigkeitsgrenze". Daneben stehen eine Reihe weniger spektakulärer arbeitsrechtlicher Maßnahmen auf dem Programm.