Typische Klauseln: Freistellung von der Arbeitspflicht
Typische Klauseln: Freistellung von der Arbeitspflicht

Die Schweiz gehört in Europa zu den Ländern mit überdurchschnittlich hoher Suizidrate. Laut amtlichen Statistiken sterben zwischen 1.300 und 1.400 Menschen durch Gewalt an sich selbst. Carsten Schloter ist nun einer von diesen Verzweifelten, welche die Gesellschaft verloren hat.

Auf Youtube wurde vor ein paar Tagen ein langes Interview mit Schloter hochgeladen. Interviewer und Anlass bleiben anonym. Schloter denkt in diesem Gespräch über die aktuellen Herausforderungen für Unternehmen und Menschen nach, ausgehend vom rapiden Wirtschafts- und Gesellschaftswandel. Da spricht ein Mann mit einer suchenden, empathischen Stimme, der Tag für Tag harte Entscheidungen für steile Geschäftserfolge traf. Er wurde der Öffentlichkeit als smarte, sensible, aber auch drahtige Persönlichkeit bekannt.

Der geborene Bayer führte die Swisscom seit seinem Einstieg im Jahr 2000 ins digitale Zeitalter. Weg von der klassischen Telefonie, hin zu einem multimedialen Spitzenunternehmen. Und das in einer Zeit, da die Wirtschaft weltweit auf den finanziellen Eisberg zusteuerte. Schloter wurde 49 Jahre – er war ein vergleichsweise junges Talent, das den Schweizer Markt wandelte. Keine leichte Aufgabe. Er stand an exponierter Stelle. Wie sehr, zeigt ein Blick in die Presse: Die IT-Infoplattform Golem.de berichtete in ihrem Nachruf auf Schloter, dass dieser nach dem NSA-Überwachungsskandal und dem Bekanntwerden der Aktivitäten des britischen Geheimdienstes GCHQ der Schweizer Tageszeitung Le Temps gesagt, dass die Daten der Swisscom-Kunden nicht betroffen seien. Die Swisscom sei nie aus den USA nach Daten gefragt worden. Weiterhin berichtete Golem, dass es nach Meinung Schloter keine große Rolle spiele, wer die Netzwerkinfrastruktur herstelle, ob die Chinesen, die US-Amerikaner oder die Schweden. Es komme darauf an, wer die Infrastruktur betreibe, und dies seien bei der Swisscom ausschließlich eigene Beschäftigte.

Nachlese:

Auszug aus einem Interview mit Carsten Schloter:
„Medienwoche“, 13. März 2013
:

Interviewer: Ihre Rhetorik ist interessant zu beobachten. Mir fällt auf, wie Sie – beispielsweise mit Gesten, Pausen und Wiederholungen – die Aufmerksamkeit des Gegenübers bündeln, ja fast kontrollieren. Sie bestimmen den Rhythmus.

Schloter: Ja, aber auch das hat zwei Seiten. Es erlaubt einem, die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Für gewisse Menschen wird das aber zu intensiv rüberkommen, erdrückend. Und es gibt Situationen, da wirkt es besser als in anderen. Die Technik funktioniert, wenn man ein spannendes Thema vermitteln oder verkaufen möchte. Wenn man aber eine Diskussion moderiert und unterschiedliche Meinungen an den Tag bringen will, wird man Opfer seiner eigenen Rhetorik. Man hat als Mensch ja immer irgendeine Hypothese im Hinterkopf. Die sollte man nicht artikulieren, sonst ist die Diskussion aus, mausetot. Die Rhetorik, das nicht transparent zu machen, beherrsche ich nicht. Ich bin da wahrscheinlich ganz leicht zu durchschauen für meine Kolleginnen und Kollegen. Das bestimmende Element ist übrigens auch für eine Beziehung überhaupt nicht gut.

Carsten Schloter hören und sehen:

http://www.youtube.com/watch?v=nzhJjIKDIy4

Führungskultur
https://www.youtube.com/watch?v=_Y7ZOnuXnEU

Schloter musste dort, wo er stand, sensibel Chancen und Risiken abwägen, um Kurs zu halten. In Bezug auf sein eigenes Leben wird er dies – Spitzenmanager, der er war – ebenso getan haben. Viele Manager kennen den Alleingang, der Suizid ist ein eben solcher.

Der Freitod schockt die Öffentlichkeit nicht zuletzt deswegen, weil der gefeierte Reformer besonnen in Führungsfragen agierte. Humane Personalleitung wurde sein Markenzeichen. Außerdem machte er Schlagzeilen mit seinem Arbeitsstil: Er lehnte einen festen eigenen Platz in Form eines eigenen Büros ab; mit der Begründung, dass er dauernd Zeit in Sitzungen verbringe. Die moderne Telekommunikation ermögliche ihm, überall zu arbeiten. Diese Unstetigkeit interpretiert sich nun als verstärkendes Element zum letzten Weg. Der Zeitung “Schweiz am Sonntag” sagte Schloter zudem unlängst, dass er immer größere Schwierigkeiten habe, zur Ruhe zu kommen und das Tempo herunterzunehmen. Ein enger Mitarbeiter sagte dem Magazin „Focus“, dass Schloter zuletzt extrem beherrscht war.

Schloter hatte durchaus versucht, sich mitzuteilen. Nämlich als seine Ehe vor vier Jahren in die Brüche ging. Die Trennung von seinen drei Kindern im Alter von acht bis 14 Jahren habe er nicht verkraftet, sagte er in einer Sendung des Schweizer Fernsehens. Vor knapp einem Jahr sei er mit seiner neuen Freundin zusammengezogen. Informationen des Focus zufolge habe er auch beruflich zuletzt um seine Position gekämpft. Mit der Reorganisation des Konzerns Anfang des Jahres war er für den Schweizer Markt nicht mehr zuständig.

Offenbar gelang ihm ein Neustart privat und beruflich nicht. Dabei war genau dieser sein Lebensthema. Im zitierten Youtube-Interview sagte er über die Unsicherheit im heutigen Unternehmensgeschäft, dass es an einer Rolle, die jemand oder ein Unternehmen lebe, immer zwei bis drei Aspekte gebe, „die heute und auch morgen tragen. Diese müsse man verfolgen. Dann könne „es immer noch links rauschen und rechts krachen, aber die Linie ist drin“. Und er sagte weiterhin: „Sich rund um das Thema `Inhalte` eine Identität geben – wenn das überzeugend ist, dann setzt das viel Kraft im Unternehmen frei und richtet sie in einer gewissen Art und Weise auch aus. Das ist in jedem Unternehmen möglich“.

Durch die Tat Schloters stehen diese Worte in einem neuen Licht. Jetzt zeigt sich in Bezug auf sein persönliches Leben, dass die Aspekte Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung sein können und daher in die Selbstauslöschung führen. Und das tritt dann Kräfte los. Wenn die Swisscom sich nun als öffentlich mit diesem Freitod beschäftigt, dann begegnet sie – aus rein psychologischer Sicht – dieser Kraftentwicklung. Und noch eines bewirkt die Swisscom mit ihrer Aufarbeitung: Dass öffentlich über die Bedingungen des Kampfes im internationalen Wettbewerb gesprochen wird. Dieser Suizid geht nicht als bedauerlicher Einzelfall in die Geschichte der Schweizer Wirtschaft ein. Schlotes Worte mögen da den Weg weisen: „Es gibt kein Unternehmen, das nicht irgendwann durch eine Identitätskrise erfasst wird. Durch die Identitätskrisen hindurch sich ein neues Verständnis zu geben, sich darauf auszurichten – das ist ein wesentliches Element.“

Das zu diskutieren, ist eminent wichtig. Denn eines ist offenbar und nicht von der Hand zu weisen: All die klugen Gedanken dieses Managers konnten ihn nicht im Leben halten. Was war einfach nur referiert? Was war gelebt? Schloter hatte einmal gesagt, dass man als Manager in einer Diskussion niemals den Hauptgedanken äußern dürfe, weil die Diskussion dann „mausetot“ sei. Was auch immer Schloter in der letzten zeit im Hinterkopf hatte – die Diskussion lebt nun, der Mensch aber ist „mausetot“.