Problempunkt

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Foto von Kaleidico

Die Klägerin ist seit 2013 bei der Beklagten als Zeitungszustellerin beschäftigt. Die Arbeitszeit beträgt mehr als zwei Stunden ausschließlich zur Nachtzeit, da bis spätestens 6:00 Uhr morgens die Zeitungen zugestellt werden.

Die Parteien haben arbeitsvertraglich zur Vergütung eine Regelung auf Stücklohnbasis getroffen. Auf diesen vertraglichen Stücklohn wird zusätzlich ein Nachtarbeitszuschlag von 25 % gezahlt. Nach Inkrafttreten des MiLoG zum 1.1.2015 zahlt die beklagte Arbeitgeberin den gesetzlichen Mindestlohn in seiner nach § 24 Abs. 2 MiLoG geminderten Form. Nach dieser Übergangsregelung war der Mindestlohn für Zeitungszusteller bis zum 31.12.2017 herabgesetzt. Die Klägerin verlangt nunmehr die Zahlung der Lohndifferenz bis zur Höhe des damals gültigen allgemeinen Mindestlohns von 8,50 Euro je Stunde.

Nach ihrer Ansicht ist § 24 Abs. 2 MiLoG unwirksam. Die Regelung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zusätzlich macht die Klägerin einen höheren Nachtarbeitszuschlag geltend. Dieser müsse nach § 6 Abs. 5 ArbZG auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns berechnet werden und wegen der zu leistenden Dauernachtarbeit 30 % betragen. Ein geringerer Nachtarbeitszuschlag wäre nicht angemessen.

Das LAG Bremen hat angenommen, dass § 24 Abs. 2 MiLoG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Der so herabgesetzte Mindestlohn sei daher rechtmäßig und ordnungsgemäß entrichtet worden. Für die Nachtarbeit sei ein angemessener Zuschlag von 25 % auf den Mindestlohn für Zeitungszusteller zu zahlen.

Entscheidung

Das BAG hat das Berufungsurteil nur teilweise bestätigt, fand aber zu beiden aufgeworfenen Rechtsfragen klare Antworten.

Die Übergangsregelung für Zeitungszusteller ist verfassungsgemäß. Die Klägerin hat daher nur Anspruch auf den nach § 24 Abs. 2 MiLoG entsprechend abgesenkten Mindestlohn, da keine Vereinbarung über eine höhere Vergütung getroffen wurde. Die gesetzliche Übergangsregelung verstößt insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Dem Gesetzgeber steht bei der Festlegung zeitlich begrenzter Übergangsvorschriften eine durch das BVerfG tolerierte besondere Gestaltungsfreiheit zu. Diese wurde durch die gegenständliche Ausnahmeregelung eingehalten. Die auf drei Jahre begrenzte Sonderregelung des Mindestlohns für Zeitungszusteller bewegt sich innerhalb des verfassungsrechtlichen Gestaltungsrahmens.

Hinsichtlich der Höhe eines angemessenen Nachtarbeitszuschlags hat das BAG gleichfalls eine klare Grenze gezogen. Da die Klägerin Nachtarbeit leistet, muss nach § 6 Abs. 5 ArbZG ein angemessener Zuschlag gezahlt werden. Dieser hat mindestens 30 % des Bruttoarbeitsentgelts zu betragen. Geringere Zuschläge erfüllen das Erfordernis der Angemessenheit nicht. Insoweit muss zwischen Nachtarbeit und Dauernachtarbeit differenziert werden.

Konsequenzen

Die Übergangsregelung für Zeitungszusteller galt bis zum 31.12.2017, also für die Dauer von insgesamt drei Jahren. Aus heutiger Sicht ist sie deshalb nur noch historisch zu betrachten. Seit 1.1.2018 gilt der gesetzliche Mindestlohn flächendeckend und ausnahmslos. Mit der vorliegenden Entscheidung ist deshalb nur noch rückblickend am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu bewerten, ob die für Zeitungszusteller getroffene Übergangsregelung zur Einführung des Mindestlohnes verfassungsgemäß war oder nicht.

Dies hat das BAG zutreffend bestätigt. Der 5. Senat stellt insbesondere die Vereinbarkeit mit dem grundrechtlichen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 GG fest, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Die Begründung folgt der Rechtsprechung des BVerfG. Der Gesetzgeber hat sich bei der Ausgestaltung der Norm im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative bewegt. Da sich die Dauer der Übergangsregelung im vorgegebenen Rahmen der ständigen Rechtsprechung des BVerfG bewegt, ist sie nicht zu beanstanden (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05).

Diese Argumentation ist verfassungsrechtlich überzeugend, da zum Ende des Übergangszeitraumes die vollständige Gleichbehandlung als Endergebnis von vornherein gesetzlich festgelegt wurde. Die Übergangsregelung war von Anfang an als solche konzipiert und umgesetzt worden. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt deshalb nicht vor. Etwas anderes hätte sich nur ergeben können, wenn eine Manifestation der Ausnahme oder ein offenes Ende normiert worden wäre.

Eine ganz andere Frage ist die rechtspolitische Bewertung der Einführung der Übergangsregelung zum Mindestlohn und der Ausgestaltung des MiLoG insgesamt. Diese Frage unterliegt indes nicht der richterlichen Kontrolle. Der Gesetzgeber hat sie dahingehend beantwortet, dass in bestimmten Bereichen Übergangszeiträume geschaffen wurden. Über die hier in Rede stehenden Zeitungszusteller sollten aber auch die Ausnahmen durch tarifvertragliche Vereinbarungen betrachtet werden. Eine weitere Auseinandersetzung damit muss indes mangels Praxisrelevanz akademischen Kreisen vorbehalten bleiben.

Die Ausführungen zur Höhe des Nachtarbeitszuschlags sind konsequent und im Ergebnis erwartbar gewesen. Sie setzen die bereits 2015 eingeschlagene Rechtsprechungslinie fort.

Schon damals hatte das BAG festgelegt, dass ein angemessener Nachtarbeitszuschlag zwar bei mindestens 25 % liegt, dieser sich jedoch im Falle einer Dauernachtschicht auf 30 % erhöht (BAG, Urt. v. 9.12.2015 – 10 AZR 423/14, AuA 8/16, S. 486). Aus der Leistung von Dauernachtarbeit ergeben sich nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen besondere Belastungen, die zu einem höheren Zuschlag führen müssten.

Diese Rechtsprechungslinie wurde nunmehr nochmals ausdrücklich bestätigt. Das BAG hat damit eine nachvollziehbare und auch praktikable Untergrenze für die Angemessenheit von Nachtarbeitszuschlägen gezogen.

Praxistipp

Die praktische Bedeutung des Urteils ist von vornherein zeitlich begrenzt und reduziert auf die Abwicklung von Vergütungsfragen bis zur Geltung des allgemeinen und flächendeckenden Mindestlohns.

Anders liegen die Dinge bei den Ausführungen zur Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlags. Deren Wirkung reicht über die Zeitungsbranche hinaus. Zwar dürfte die grundsätzliche Zuschlagshöhe von 25 % sich in der Praxis inzwischen bereits überwiegend durchgesetzt haben. Hinsichtlich der erforderlichen 30 % im Rahmen von Dauernachtarbeiten dürfte indes noch einiger Nachholbedarf bestehen. Dem wird sich die Gestaltungspraxis in der Zukunft verstärkt widmen müssen.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 4/19, S. 247f.