Ferrotron wandte gegen die Klage ein, der von ET übernommene Betriebsteil sei bei Ferrotron nicht unverändert eingesetzt worden, sondern sei in die bestehende Organisation von Ferrotron integriert worden. Von dem ursprünglichen ET-Betrieb sei unverändert nichts mehr vorhanden. Damit bewegte sich die Firma Ferrotron im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das in dem bekannten “Bistrowagenfall” (Entscheidung BAG vom 06.04.2006) entschieden hatte, dass ein Betriebsteilübergang nur dann vorliegt, wenn die übernommenen Betriebsmittel nahezu unverändert ihre organisatorische Eigenart und Selbständigkeit beim Erwerber behalten. In der Bistrowagenentscheidung hatte die übernehmende Gesellschaft im Deutsche Bahn Konzern die Bistrowagen der Mitropa auf anderen Linien eingesetzt und damit die früher bestehende Selbständigkeit des “Betriebsteils Bistrowagen” aufgelöst. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurde von Arbeitgeberseite begrüßt, denn nunmehr gab es halbwegs verlässliche Kriterien, an denen man beurteilen konnte, ob ein Betriebs(teil)übergang vorlag oder nicht: Wurden die übernommenen Betriebsmittel im Wesentlichen unverändert auch beim Erwerber fortgeführt, dann lag grundsätzlich ein Betriebs(teil)übergang vor, wurden sie jedoch “atomisiert” und in eine bestehende Organisation beim Erwerber so eingegliedert, dass ihre Einzelteile nicht mehr zusammengefügt werden konnten, dann lag kein Betriebs(teil)übergang vor.

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Der Europäische Gerichtshof hat in der jüngst ergangenen “Klarenberg” -Entscheidung vom 12.02.2009 das Bundesarbeitsgericht jedoch erneut korrigiert. Dabei liegt die Ironie des Falles darin, dass das Bundesarbeitsgericht selbst in den 90iger Jahren seine frühere Rechtsprechung zur Definition des Betriebsübergangs mit Blick auf den Europäischen Gerichtshof geändert hatte. Damals hatte das Bundesarbeitsgericht einen Betriebsübergang dann bejaht, wenn der Erwerber von Betriebsmitteln die Möglichkeit hatte, den Betrieb unverändert fortzuführen. Ob er dann den Betrieb tatsächlich fortführte, auflöste oder in andere Bereiche integrierte, war zu diesem Zeitpunkt irrelevant. Jetzt nun sieht sich das Bundesarbeitsgericht mit seiner früheren Rechtsprechung erneut konfrontiert, da der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung vom 12.02.2009 davon spricht, dass geprüft werden muss, ob eine “funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenden Produktionsfaktoren” besteht. Was dies genau ist, bleibt im Ungewissen. Jedenfalls dürfte man gespannt darauf sein, wie das Bundesarbeitsgericht nunmehr einen neuen “Salto Mortale” vollzieht, in dem es zu der früheren Rechtsprechung (“Möglichkeit der Fortführung des Betriebes entscheidend”) zurückkehrt. Der Europäische Gerichtshof argumentiert in dieser “Klarenberg”Entscheidung vom Ergebnis her: Zweck der dem § 613 a BGB zugrunde liegenden Richtlinie 2001/23/EG sei es, einen effektiven Arbeitnehmerschutz im Falle eines Betriebsübergangs zu gewährleisten. Dieser Zweck würde missachtet, wenn es dem Erwerber leicht fiele, den erworbenen Betriebsteil aufzulösen und in seine eigene Struktur einzugliedern. Damit würde den betroffenen Arbeitnehmern der Schutz der Betriebsübergangsrichtlinie vorenthalten.

Was kann daraus für die Praxis gelernt werden? Es wird immer komplizierter, im Bereich des Betriebsübergangs Entscheidungen der Gerichte vorherzusehen. Die Gerichte sind untereinander nicht einig. Der Europäische Gerichtshof weicht seit Jahren ständig von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ab und zwingt das Bundesarbeitsgericht, die eigene Rechtsprechung zu korrigieren. Dementsprechend ist in derartigen Konstellationen vielfach der vernünftigere und rechtssicherere Weg, unter kommunikativer Einbindung des Betriebsrats einen Betriebs(teil)übergang von vornherein ausdrücklich zu bejahen, um mögliche Prozesse über die Frage, ob die Arbeitsverhältnisse nun übergegangen sind oder nicht, zu vermeiden. In einer zweiten Stufe können dann Restrukturierungsmaßnahmen unternommen werden. Auf diese Weise kann auch mit möglichen massenhaften Widersprüchen gegen (unterstellte) Betriebsübergänge umgegangen werden. Denn diese Widersprüche sind in der Praxis besser zu handhaben als massenhafte Prozesse, mit denen die Arbeitnehmer einen Betriebsübergang sozusagen “erzwingen” wollen und bei denen der Erfolg der Sanierung eines Unternehmens von dem Ausgang dieser Prozesse erst abhängig ist.

Daher nochmals die Empfehlung: Offensiv Betriebsübergänge bejahen, mit Widersprüchen umgehen und nach erfolgten Betriebsübergängen die Restrukturierung beginnen.