Die Synaxon AG hat ein Unternehmens-Wiki als zentrales Arbeitsmedium eingeführt und die Aufbauorganisation auf eine dreidimensionale Matrixorganisation umgestellt. Das Ergebnis: Mehr Transparenz, Kreativität, zufriedenere Mitarbeiter und ein attraktiveres Unternehmen.

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Foto von Campaign Creators

Wie sind Sie darauf gekommen, das Unternehmen komplett auf das Arbeitsmedium Wiki und damit auch auf eine von Transparenz geprägte Unternehmenskultur umzustellen?

2006 habe ich einen Vortrag von Jimmy Wales zu Wikipedia gehört und verstanden, wie freie Projekte funktionieren können. Das habe ich dann selbst erprobt, indem ich bei Wikipedia und Ubuntu mitgearbeitet habe. In diesen freien Projekten wird so viel Kreativität frei, weil man die Menschen einfach machen lässt und völlige Transparenz herrscht. Genau diesen philosophischen und prinzipiellen Ansatz von offenen Projekten wollten wir neben dem instrumentellen Ansatz von Web 2.0 im Unternehmen haben.

Wie können wir uns das ganz praktisch im Arbeitsalltag Ihrer Mitarbeiter vorstellen?

Wir arbeiten mit dem Wiki als zentrales Arbeitsmedium. Alle abgeschlossenen und laufenden Projekte sind darin abgebildet. Alle Mitarbeiter arbeiten damit und können zum Beispiel genau sehen, hält sich der Kollege an seine Ressourcenvereinbarungen, wo stehen sie im Projekt, wann passiert was. Sie können auch Änderungen an Regeln vornehmen ohne vorher ihren Vorgesetzten fragen zu müssen, wie zum Beispiel von Reisekostenrichtlinien. Alle Meetings werden im Wiki vorbereitet und protokolliert, selbst wenn es um die Strategie des Unternehmens geht. So können auch alle daran mitarbeiten. Das erzeugt eine unglaubliche Transparenz. Unsere Mitarbeiter schätzen daran, dass ihre Leistungen endlich sichtbar werden und finden es gut, dass man jetzt sieht, dass sie Tag und Nacht für das Unternehmen im Einsatz sind. Das haben sie vorher auch gemacht, aber keiner hat es mitgekriegt.

Wie sind Sie vorgegangen, um dieses Prinzip einer auf Transparenz und Vertrauen beruhenden Führungs- und Unternehmenskultur einzuführen?

Wir haben das Modell umgedreht und gesagt, wir gehen von einer Misstrauenskultur aus, in der alles freigegeben werden muss und tauschen die gegen die Vertrauenskultur, die kooperative Strategie. Nun hatten wir das Glück, dass wir von Anfang an mindestens 20 Fans im Unternehmen hatten, die mitgemacht haben und damit deutlich mehr als die geforderten 10 Prozent. Bei den anderen wussten wir es nicht. Innerhalb von nur zwei Wochen hat sich das kooperative System dann tatsächlich so stabilisiert, das danach kein Eingreifen mehr erforderlich war. Das heißt niemand mehr bei uns im Unternehmen kümmert sich um die Pflege der Wiki-Prinzipien. Das läuft vollkommen selbstständig und stabil.

Nun könnte man bei so viel Transparenz ja auch flache Hierarchien erwarten. Bei Synaxon ist das aber nicht so. Welche Rolle bleibt für die Führungskräfte und für Sie?

Die Führungsstruktur bei uns ist relativ komplex. Wir haben einmal die klassischen drei Organisationsebenen: Aufbau, Projekt, Prozess. Dann gibt es parallel Meritokratie, die durch das Wiki geschaffen worden ist. Das ist nur deshalb beherrschbar, weil die Führungskräfte andererseits extrem entlastet worden sind, weil das Prinzip „allgemeines Freigabeerfordernis“ aufgegeben wurde. Die Führungskräfte haben lediglich ein Vetorecht. Das schafft Ressourcen bei den Führungskräften.

Mein Verständnis von Führung ist: Ich bin in erster Linie für die unentscheidbaren Fragen zuständig. Ich bin der Vertreter der Eigentümer. In letzter Konsequenz muss ja jemand die Verantwortung übernehmen. Wir haben hier keine Mitarbeiter, die das anders sehen. Andere Mitarbeiter würden bei uns auch wahnsinnig werden, denn wenn man unseren Führungskräften bei der Arbeit zusieht, sind diese schon machtbetont. Aber, auf der anderen Seite gibt es eben viel mehr Gestaltungsfreiräume als in den meisten anderen Unternehmen. Ich glaube, dass wir einfach mehr die Vernunft walten lassen.

Wie sieht es mit Transparenz bei Meetings und Besprechungen der Führungskräfte aus? Wird das Prinzip dabei ebenso durchgezogen und die Mitarbeiter daran beteiligt?

Alle Besprechungen, auch Strategiemeetings, werden bei uns im Wiki vorbereitet, durchgeführt und dokumentiert. Die Führungskräfte bringen im Lichte der Öffentlichkeit ihre Themenvorschläge ein. Mitarbeiter sehen das im Wiki und kommentieren diese Vorschläge. Während des Meetings wird von jedem einzelnen das Protokoll erstellt, in Echtzeit. Das Meeting wird angekündigt in Yammer (dem internen Twitterdienst, Anm. der Redaktion) “Meeting fängt gleich an in Besprechungsraum xy”, ein Wiki-Dokument dahinter verlinkt und jeder, den es interessiert, liest gleich mit und sieht live, wie Entscheidungen getroffen werden. Diese Meetings sind normalerweise drei Stunden lang. In diesen drei Stunden wird eine Agenda durchgezogen, die andere nicht in zwölf Stunden schaffen. Das gelingt, weil die Vorbereitung schon live im Wiki erfolgt und viele Topics sich bereits im Vorfeld erledigen, indem Mitarbeiter dazu Stellung nehmen. Im Meeting selbst können sich Mitarbeiter mittels Instant-Messaging zu Wort melden und zum Beispiel Änderungswünsche anbringen.

Gibt es weitere Vorteile für das Unternehmen durch die transparente Führungskultur?

Seitdem wir hier relativ viel schreiben und synaxon.de sehr transparent geworden ist, hat sich die Bewerberqualität enorm verbessert. Wir waren bis 2004 ein ganz normales Handelsunternehmen und die schneiden im Krieg um Talente nicht besonders gut ab. Seitdem wir transparenter geworden sind, konnten wir führende Wissenschaftler gewinnen, für künstliche Intelligenz und Mustererkennung zum Beispiel. Die sagen uns, dass ist genau das, was wir immer gesucht haben. Die hätten wir vor fünf Jahren im Leben nicht bekommen.

Als wir 2006 das Wiki eingeführt haben, hatten wir eine Fluktuation von im Jahresschnitt 40 Prozent. Eine Katastrophe. Jetzt sind wir bei fünf Prozent. Das ist für die Dynamik ein bisschen zu wenig, aber wir wollen es nicht aktiv ändern.

Mehr über das Unternehmen und die Unternehmenskultur erfahren kann man im Synaxon-Blog: http://blog.synaxon.de/.

Interview: Gudrun Porath