Kurzzeitige Arbeitsverhinderung

person holding pencil and stick note beside table
Foto von Marten Bjork

Das PflegeZG gibt Mitarbeitern zunächst einen Freistellungsanspruch von zehn Tagen für die Organisation der Pflege, vgl. Vorschrift 1.

Vorschrift 1

§ 2 Abs. 1 PflegeZG

Beschäftigte haben das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen.

Die kurzfristige Freistellung soll es Berufstätigen ermöglichen, sich über Pflegeleistungsangebote zu informieren und die notwendigen Organisationsschritte einzuleiten. Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer, Auszubildende, arbeitnehmerähnliche Personen sowie in Heimarbeit Beschäftigte und die ihnen Gleichgestellten (vgl. § 7 Abs. 1 PflegeZG).

Wichtig

Der Anspruch der Beschäftigten auf Freistellung nach § 2 PflegeZG besteht in allen Betrieben, unabhängig von der Zahl der Mitarbeiter. Er gilt also auch in Kleinbetrieben mit weniger als 15 Beschäftigten!

Ebenso wie beim Urlaub oder der Elternzeit hat der Mitarbeiter kein Recht zur Selbstfreistellung. Vielmehr ist er verpflichtet, dem Arbeitgeber die Verhinderung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen.

Auf Verlangen des Unternehmens hat er außerdem eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit der Pflege vorzulegen.

Der Anspruch auf Freistellung wegen der Organisation der Pflege besteht für maximal zehn Tage. Er ist nicht auf das Kalenderjahr begrenzt. Bei mehreren pflegebedürftig gewordenen nahen Angehörigen kann der Beschäftigte im Jahr also mehr als zehn Tage Freistellung beanspruchen. Allerdings darf er dieses Recht nur einmal pro Pflegefall wahrnehmen. Der Anspruch ist nur soweit begründet, als die Freistellung erforderlich ist, um die Pflege zu organisieren. Ist dies z.B. bereits in fünf Tagen erfolgt, besteht darüber hinaus kein weiterer Anspruch auf Freistellung.

Wichtig

Eine Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung während der zehntägigen Freistellung besteht nach dem PflegeZG nicht (vgl. § 2 Abs. 3 PflegeZG). Ein Anspruch kann sich aber aus § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder aus § 19 Abs. 1 Nr. 2b Berufsbildungsgesetz ergeben. Zudem können arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Vereinbarungen eine Entgeltfortzahlungspflicht zur Folge haben.

Pflegezeit

Neben dem Freistellungsanspruch von zehn Tagen für die Organisation der Pflege gewährt das PflegeZG dem Beschäftigten zudem einen Anspruch auf teilweise oder vollständige Freistellung von der Arbeit bis zur Dauer von sechs Monaten zur längeren Pflege von nahen Angehörigen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG besteht dieser Anspruch jedoch nicht gegenüber Arbeitgebern mit i.d.R. 15 oder weniger Beschäftigten.

Praxistipp

Die Mitarbeiter werden nach Kopfzahl und nicht entsprechend ihrer Arbeitszeit – wie in § 23 Abs. 1 Satz 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) – gezählt. Anders als nach anderen Gesetzen, z.B. nach § 8 Abs. 7 Teilzeitund Befristungsgesetz (TzBfG), sind Auszubildende bei dem Schwellenwert mit zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass auch Auszubildende Anspruch auf Pflegezeit haben. Der Anspruch auf Pflegezeit ist daran geknüpft, dass der Mitarbeiter die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung nachweist. Für Privatversicherte ist ein entsprechender Nachweis zu erbringen.

Definition

Während nach anderen Gesetzen, z.B. § 8 Abs. 7 TzBfG oder § 15 Abs. 7 Elterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), nur Arbeitnehmer beim Schwellenwert zusammenzurechnen sind, gehören gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG auch die arbeitnehmerähnlichen Personen dazu. Denn diese sind nach der Begriffsbestimmung des § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG „Beschäftigte“ i.S.d. PflegeZG.

Pflegebedürftigkeit naher Angehöriger und Ankündigung der Pflegezeit

Das PflegeZG gewährt den Beschäftigten nur Rechte, wenn sie selbst nahe Angehörige pflegen. Welche Personen darunter fallen, bestimmt § 7 Abs. 3 PflegeZG, vgl. Vorschrift 2.

Vorschrift 2

§ 7 PflegeZG (Auszug)

(3) Nahe Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind

  1. Eltern, Großeltern, Schwiegereltern,
  2. Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Geschwister,
  3. Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder.

(4) Pflegebedürftig im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die die Voraussetzungen nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch erfüllen. Pflegebedürftig im Sinne von § 2 sind auch Personen, die die Voraussetzungen nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch voraussichtlich erfüllen.

Das PflegeZG knüpft an die Pflegebedürftigkeit der nahen Angehörigen an. Pflegezeit kommt somit nur für solche nahen Angehörigen in Betracht, bei denen mindestens die Pflegestufe I festgestellt wurde. Der Beschäftigte hat die Inanspruchnahme der Pflegezeit dem Arbeitgeber spätestens zehn Tage vor Beginn schriftlich mitzuteilen. Gleichzeitig muss er erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang er die Freistellung von der Arbeit in Anspruch nehmen will.

Der Mitarbeiter hat die Wahl, ob er sich vollständig oder nur teilweise wegen der Pflege von der Arbeit freistellen lassen will. Bei nur teilweiser Freistellung muss er dem Arbeitgeber auch die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit anzeigen. Gemäß § 3 Abs. 4 PflegeZG treffen Arbeitgeber und Beschäftigter dann eine schriftliche Vereinbarung über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit. Hierbei hat das Unternehmen den Wünschen der Mitarbeiters zu entsprechen, es sei denn, dass dringende betriebliche Belange entgegenstehen.

Dauer der Pflegezeit

Die Pflegezeit beträgt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 PflegeZG längstens sechs Monate. Dies ist eine absolute Höchstgrenze. Auf einen längeren Freistellungszeitraum hat der Mitarbeiter nach dem PflegeZG keinen Anspruch. Ihm bleibt aber die Möglichkeit, über den Sechsmonatszeitraum hinaus eine freiwillige Freistellungsvereinbarung mit dem Arbeitgeber abzuschließen. Der Anspruch auf sechs Monate Pflegezeit besteht allerdings für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen. Werden beide Eltern pflegebedürftig, kann der Beschäftigte sowohl für den Vater als auch für die Mutter jeweils sechs Monate Pflegezeit beanspruchen.

Die sechsmonatige Pflegezeit ist an einem Stück zu nehmen. Nach der Grundkonstruktion des Gesetzes (Verlängerungsmöglichkeit) ist es nicht möglich, den Freistellungsanspruch auf mehrere Zeiträume zu verteilen. Hat der Mitarbeiter zunächst eine kürzere Pflegezeit beantragt, kann er sie aber später noch bis zur Höchstdauer von sechs Monaten verlängern. Voraussetzung ist jedoch, dass der Arbeitgeber der Verlängerung zustimmt. Eine Ausnahme von diesem Zustimmungserfordernis besteht, wenn ein vorgesehener Wechsel in der Person des Pflegenden aus wichtigem Grund nicht erfolgen kann.

Die Pflegezeit ist nicht auf die Berufsbildungszeiten anzurechnen. Sofern also bestimmte Bildungszeiten gelten, verlängert sich das Ausbildungsverhältnis um die in Anspruch genommene Pflegezeit.

Das PflegeZG regelt auch das Verfahren, wenn der nahe Angehörige nicht mehr pflegebedürftig ist. In diesem Fall (z.B. Gesundung, Tod) oder wenn die häusliche Pflege unmöglich oder unzumutbar wird, endet die Pflegezeit vier Wochen nach Eintritt der veränderten Umstände. Der Beschäftigte ist verpflichtet, den Arbeitgeber über die veränderten Umstände unverzüglich zu unterrichten. Die Unterrichtung ist an keine besondere Form gebunden, sie darf also auch mündlich erfolgen. Ansonsten kann der Mitarbeiter die Pflegezeit nur vorzeitig beenden, wenn das Unternehmen zustimmt, § 4 Abs. 2 PflegeZG.

Sonderkündigungsschutz bei Pflegezeit

§ 5 PflegeZG regelt einen Sonderkündigungsschutz für Beschäftigte, die Pflegezeit beantragen bzw. beanspruchen, s. Vorschrift 3. Das Kündigungsverbot bezieht sich sowohl auf die ordentliche als auch die außerordentliche und die Änderungskündigung. Es gilt bei betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen. Lediglich in besonderen Fällen kann eine Kündigung von der für Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde ausnahmsweise für zulässig erklärt werden.

Vorschrift 3

§ 5 Abs. 1 PflegeZG

Der Arbeitgeber darf das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 oder der Pflegezeit nach § 3 nicht kündigen.

Wichtig

Der Sonderkündigungsschutz nach § 5 PflegeZG setzt – anders als das KSchG – keine Mindestbeschäftigungsdauer (Wartezeit) voraus!

Bemerkenswert ist, dass mit dem PflegeZG auch Selbstständige – nämlich die arbeitnehmerähnlichen Personen – ein Sonderkündigungsschutzrecht erhalten sollen. Vergleichbarer Kündigungsschutz bei Elternzeit (§ 18 BEEG), Schwangerschaft (§ 9 Mutterschutzgesetz) und Behinderung (§§ 85 ff. SGB IX) waren bislang nur Arbeitnehmern vorbehalten. Mit § 5 PflegeZG wird insoweit arbeitnehmerähnlichen Personen hier ein arbeitsrechtlicher Kündigungsschutz gegeben. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil dieser Personenkreis überhaupt nicht unter das KSchG fällt (s. dazu BAG, Urt. v. 8.5.2007 – 9 AZR 777/06).

§ 18 Abs. 2 BEEG regelt, dass Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz haben, wenn sie – ohne Elternzeit in Anspruch zu nehmen – Teilzeitarbeit leisten und Anspruch auf Elternzeit haben. Ein vergleichbarer Kündigungsschutz fehlt in § 5 PflegeZG. Demnach haben Teilzeitbeschäftigte also nicht den in § 5 PflegeZG normierten Sonderkündigungsschutz, wenn sie nahe Angehörige pflegen, ohne ausdrücklich Pflegezeit in Anspruch zu nehmen.

Befristung mit Ersatzkraft und Verschlechterungsverbot

§ 6 PflegeZG regelt, dass die Befristung eines Arbeitsvertrags mit einer Ersatzkraft für die Zeit, in der ein anderer Beschäftigter Pflegezeit nimmt oder kurzzeitig an der Arbeitsleistung wegen Pflege verhindert ist, gerechtfertigt sein kann. Darüber hinaus ist es nach § 6 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG – genauso wie bei § 21 Abs. 2 BEEG – möglich, die Befristung über die Dauer der Vertretung hinaus für die notwendige Zeit der Einarbeitung zu verlängern. Schließlich ist in § 6 Abs. 3 Satz 1 PflegeZG dem Arbeitgeber ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt, das § 21 Abs. 5 BEEG entspricht. Danach kann das Unternehmen das befristete Arbeitsverhältnis mit der Ersatzkraft kündigen, wenn die Pflegezeit nach § 4 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG vorzeitig endet.

Von den Vorschriften des PflegeZG kann nach § 8 PflegeZG nicht zuungunsten der Beschäftigten abgewichen werden. Dieses Verschlechterungsverbot gilt sowohl für Einzelarbeitsverträge als auch für Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge. Die befristet eingestellte Ersatzkraft wird bei den arbeitsrechtlichen Schwellenwerten nicht mitgezählt. Es ist also nicht möglich, im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag vorzusehen, dass Mitarbeiter ihr Arbeitszeitguthaben für die Pflegezeit nutzen müssen oder längere als die gesetzlich vorgeschriebenen Ankündigungsfristen gelten. Verstößt eine Vereinbarung dennoch gegen das Verschlechterungsverbot, ist sie nach § 134 BGB unwirksam.

Sozialversicherungsrechtliche Absicherung

Zunächst wird der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ab dem 1.7.2008 um 0,25 Prozentpunkte angehoben. Daneben wird das PflegeZG durch den neu eingefügten § 44a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) ergänzt. Danach erhalten Beschäftigte, die nach § 3 PflegeZG von der Arbeitsleistung vollständig freigestellt sind oder deren Beschäftigung durch Reduzierung der Arbeitszeit zu einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV wird, auf Antrag Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung. Diese werden insbesondere gewährt für eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und eine Pflichtversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Nach § 44a SGB XI sind pflegende Personen zusätzlich während der Inanspruchnahme einer Pflegezeit i.S.d. PflegeZG nach dem Recht der Arbeitsförderung versichert.

In der Arbeitslosenversicherung besteht die Pflichtversicherung für die Dauer der Pflegezeit fort, § 26 Abs. 2b SGB III. Die notwendigen Beiträge übernimmt die Pflegekasse bzw. das private Versicherungsunternehmen, § 347 Nr. 10 a und b SGB III.

Fazit

Das neue PflegeZG ist sozialpolitisch gut begründbar. Es verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, hilft die teurere stationäre Pflege zu vermeiden und entspricht dem Willen von vielen Beschäftigten, die ihre nahen Angehörigen zumindest zeitweise im bisherigen Wohnumfeld pflegen möchten. Aus Sicht der Betriebe fügt das PflegeZG den Freistellungsansprüchen wegen Urlaubs, Elternzeit, Mutterschutz, § 616 BGB Teilzeit usw. einen weiteren Anspruch hinzu. Dies schränkt ihre Dispositionsmöglichkeit weiter ein. Zudem bleibt abzuwarten, wie sich das Missbrauchspotenzial, das im neuen und einseitig herbeiführbaren Sonderkündigungsschutz steckt, in der Praxis niederschlagen wird. Der Gesetzgeber hat auf die von vielen Unternehmen befürchtete Kostenbelastung reagiert und auf die ursprünglich geplante Entgeltfortzahlung bei der kurzfristigen Arbeitsverhinderung wegen Pflege verzichtet. Er hat aber die Anwendbarkeit des § 616 BGB nicht ausgeschlossen. Insofern besteht die Gefahr, dass die Rechtsprechung trotz gegenteiligem gesetzgeberischem Willen dennoch eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers annimmt. Die relativ kurze Ankündigungsfrist von zehn Tagen bei der Inanspruchnahme von Pflegezeit könnte gerade für mittelständische Betriebe zu einem Problem werden. Zudem ist unverständlich, warum sich der Gesetzgeber möglichen tariflichen oder betrieblichen Regelungen verschlossen und keine entsprechende Öffnungsklausel vorgesehen hat.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - 6/08