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Foto von Thomas Martinsen
Herr Jennings, haben Sie schon ein iPad?

Nein, noch nicht, aber ich habe schon mehrfach eines benutzt. Dabei habe ich beschlossen, dass ich noch etwas warten werde, bis ich mir ein iPad zulege – vielleicht bis Version 2 oder 3. Es ist ein wundervolles Gerät, aber es hat noch ein paar Schwächen, die Apple angehen müsste, bevor ich es wirklich für den täglichen Gebrauch einsetze.

Welche Schwächen hat das iPad?

Der Nutzer kann mit dem iPad wunderbar Daten und Informationen empfangen. Es verschafft uns die Möglichkeit, ganz komfortabel ins Internet zu kommen, beispielsweise wenn wir im Wohnzimmer sitzen oder von unterwegs. Und wie die meisten Apple-Produkte ist es sehr schön designed und im Bezug auf die Internetnutzung äußert ausgereift. Die Nutzeroberflächen von Mobiltelefonen sind nur bedingt geeignet, um größere Mengen Text zu lesen. Da hat also das iPad schon einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Veranstaltungstipp

Messe Zukunft Personal 2010

Koelnmesse

Keynote-Vortrag

von Charles Jennings

 

Donnerstag, 14. Oktober 2010,

9.30 – 10.30 Uhr, Keynote-Forum,

im Anschluss Public Interview

www.zukunft-personal.de

Seine Schwäche besteht aber darin, dass es für eine hochwertige gegenseitige Interaktion, das A und O für Web-2.0-Technologien, noch nicht wirklich geeignet ist. Deshalb befürchte ich, dass das iPad in seiner aktuellen Ausführung, nicht mehr als ein Instrument zur einseitigen Content-Produktion ist, ähnlich wie eine Zeitung. Das könnte beim Einsatz für die Weiterbildung zu dem Trugschluss führen, dass es beim Lernen darum geht, Inhalte zur Verfügung zu stellen und weniger darum, miteinender zu interagieren und sich für reichhaltige Lernerfahrungen zu engagieren.

Beim Lernen geht es also aus Ihrer Sicht hauptsächlich um Interaktion?

John Seely Brown, der langjährige Kopf von Xerox Park, hat kürzlich gemeinsam mit seinem Kollegen John Hagel ein Buch mit dem Titel “The Power of Pull” veröffentlicht. Darin betonen beide, dass wir in einer Welt leben, die reich an Informationen ist, aber arm an Interaktion. Im Lernkontext bedeutet das, dass der Inhalt den Lernern aufgedrückt wird anstatt dass sie sich selbst die Dinge herausziehen, die sie für ihre Lernerfahrung brauchen. Seeley Brown und Hagel fordern einen Wandel von dieser “word of push” zu einer “word of pull”, in der nach Bedarf mehr gegenseitige Kommunikation stattfindet.

Mein Kollege aus der Internet Time Alliance, Jon Husband, nennt diese neue Welt “Wirearchy”. Jon glaubt, dass die Organisationen von morgen miteinander verbundene Netzwerke sind, in der die Machtausübung gleichzeitiger von oben und unter kommt. Autorität gründet in diesen Unternehmen auf Wissen, Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Lernende brauchen zwar eine gewisse Kontrolle über ihr Umfeld, um wirklich lernen zu können. Aber mit neuen Ansätzen wie den Web-2.0-Tools entfernen wir uns von der Idee, dass es nur darum geht Wissen zu vermitteln. Wir bekommen heutzutage alle Informationen, die wir brauchen. Die Rolle von Personalentwicklern besteht deshalb immer mehr darin, dafür zu sorgen, dass die Lernenden Erfahrungen machen könnten, die Möglichkeit zu praktizieren haben, sich mit anderen austauschen können und dass genügend Zeit da ist, um über den Lernprozess zu reflektieren.

Und das iPad eignet sich nicht für dies Art des Lernens?

Wenn Sie an diese vier Aspekte denken – Erfahrung, Praxis, Gespräche und Reflexion – passt das iPad da nicht so gut hinein. Es erlaubt uns natürlich, Kontakt mit einem Netzwerk aufzunehmen und Zugang zu Menschen und Informationen zu bekommen. Aber die Informationen fließen doch eher hinein als hinaus wie in einer gegenseitigen Kommunikation. Für wirkliches Lernen und für die Kompetenzentwicklung scheint es mir nicht geeignet, da es eher inhaltszentriert denn aktivitätszentriert ist.

Inwieweit brauchen wir die Welt der Informationen dann heute noch?

Wir brauchen sie natürlich immer noch. Heutzutage bedeutet der Zugang zu Informationen Macht, so dass uns das iPad dabei wirklich hilft. Wer Google nicht nutzen kann, hat es zum Beispiel schwer. Aber im Vergleich dazu, wie wir früher gelernt haben, hat sich alles verändert. So besteht etwa eine große Dringlichkeit vom Klassenzimmer wegzukommen hin zum Arbeitsplatz. Wir verstehen heute besser, dass es viele verschiedene Arten zu lernen gibt – vom beiläufigen bis hin zu kontinuierlichem Lernen. Hermann Ebbinghaus hat schon 1885 die sogenannte „Vergessenskurve“ identifiziert: Er testete unsere Fähigkeit Informationen ohne Kontext zu behalten. Er fand heraus, dass wir durchschnittlich 50 Prozent des Gelernten innerhalb einer Stunde vergessen, wenn wir nicht die Möglichkeit haen, es in die Praxis umzusetzen. Deshalb müssen wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir Lernen in einen Zusammenhang mit der Arbeit bringen können.

Aber Gespräche mit anderen scheinen mit dem iPad nicht unmöglich. Es gibt schon eine App namens „Flipboard“, die es den Nutzern erlaubt, Nachrichten von Freunden auf Facebook oder Twitter zu lesen. Eine App, um Content zu produzieren und zu interagieren könnte auch bald kommen.

Ja, sicherlich werden bald neue Apps herauskommen. Deshalb hoffe ich, dass meine Vorbehalte nicht lange andauern werden. Die Zusatzprogramme werden vermutlich nicht nur von Apple kommen, wie beim iPhone. So gesehen hat das iPad schon ein großes Potenzial – auch fürs Lernen. Aber wir sollten schon darüber nachdenken, was wir dazu beitragen können, dass wir es möglichst gut nutzen können.

Neue Zusatzprogramm werden im Apple Store käuflich zu erwerben sein. Könnte ein wirklich erfolgreiches iPad der Tod von Open Web und Open Learning sein?

Das iPad wird viele Unternehmen hervorbringen, die neue Programme und Funktionalitäten dafür auf den Markt bringen und den Service dadurch verändern. Aber die Open-Web-Bewegung ist wirklich sehr stark und ich glaube, das wird auch so bleiben. Wir haben die Stärke des Open Web bei den Lerntechnologien gesehen, weg von den traditionellen Lernsystemen hin etwa zu Moodle. Aber auch Firefox und Linux sind beeindruckende Beispiele. Darum zweifle ich daran, dass Apple als ein einziges Technologieunternehmen stärker sein könnte.

Was die neue Welt der “Wirearchy” betrifft spielen Führungskräfte und Manager eine große Rolle, aber sie könnten um ihre Macht fürchten. Ist es vor diesem Hintergrund wahrscheinlich, dass sie sich für eine Entwicklung des iPad hin zu mehr Interaktion einsetzen werden?

Die Zeit, in der wir die Kontrolle über unsere Daten und unsere Informationen hatten ist vorbei. Das gilt auch für das Management von Mitarbeitern. Beschäftigte zu managen bedeutet deshalb heute, das Beste aus ihnen herauszuholen und sie dabei zu unterstützen. Die alten Führungsprinzipien, die auf Befehl und Kontrolle aufbauen, funktionieren nicht mehr – je nach Unternehmenskultur verschwinden sie schneller oder langsamer. Eine neue Schlüsselfunktion von Managern ist, dass sie Lernen ermöglichen sollten. Deshalb haben sie keine Wahl, ob sie mehr Interaktion zulassen möchten, sie müssen einfach. Und darum hoffe ich, dass sich auch das iPad in diese Richtung entwickeln wird.

Können Sie ein Beispiel nennen, das für diese Entwicklung spricht?

Kürzlich habe ich mich mit dem Leiter Personalentwicklung von DSG International, einem Einzelhandelsunternehmen aus Großbritannien, unterhalten. Deren Learning Management System wird zwischen 9 Uhr abends und Mitternacht am meisten genutzt. Am häufigsten greifen die Mitarbeiter mit einer Play Station darauf zu. Das iPhone liegt bei 5 Prozent was den Zugang betrifft und das iPad schon bei etwa 3 Prozent. Die Mitarbeiter von DSG International sind überwiegend zwischen 20 und 40 und sehr technikaffin. Das Interessante daran: Das iPad wird also ein wichtiges Lerninstrument in einer Gruppe jüngerer Menschen, die auch soziale Netzwerke nutzen.

Kennen Sie Unternehmen, die das iPad systematisch für ihre Lernprozesse nutzen?

Wenn Apple Adobe Flash unterstützen würde, könnte fast jedes Unternehmen das iPad für die Weiterbildung nutzen, denn eine große Mehrheit der E-Learning-Systeme wir in Flash produziert. Aber auch so gibt es schon ein paar Firmen, die damit experimentieren. Die Royal Artillery, ein Teil der britischen Armee, nutzt es zum Beispiel für die Ausbildung der Truppen, die nach Afghanistan geschickt werden sollen, etwa um die Grundlagen der militärischen Abläufe zu lernen. Hewlett-Packard in Deutschland setzt es auch für das Lernen ein. Und eine Reihe von Universitäten in den USA hat beschlossen, ihren Studenten iPads als Teil der Ausstattung zur Verfügung zu stellen, wenn sie mit dem Studium beginnen.

Ich habe von Unternehmen gehört, die das iPad für Konferenzen nutzen und damit unnötig viel Papierkram vermeiden.

Dafür ist das iPad wirklich gut geeignet, denn Lesen lässt sich wie gesagt hervorragend darauf. Der “Kindle wireless reader” hatte auch ein paar ähnliche Features, aber ist wirklich nur dazu da, um Bücher zu lesen. Deshalb hat der Kindle die Erwartungen vieler Nutzer nicht erfüllt. Das iPad ist das erste qualitativ hochwertige, handliche und lesbare Gerät, das für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Damit müssen wir nicht mehr jede Seite ausdrucken und können Kosten reduzieren. Die Stanford Medical School stattet ihre Studenten mit dem iPad aus, weil sie sparen möchte: Ein medizinisches Buch kann bis zu 200 Pfund kosten, während die elektronischen Editionen viel billiger sind. Von solchen Kostenersparnissen können auch Unternehmen profitieren. Weil Text darauf so gut lesbar ist, könnte das iPad beim Mobile Learning außerdem einschlagen wie eine Art großer Bruder für mobile Lösungen.

Mit dem iPad lassen sich sicher auch komplexere Inhalte transportieren als auf einem Smartphone, oder?

Das stimmt. Aber noch einmal, das Problem dabei ist bisher noch, dass das iPad kein Flash unterstützt. Das ist eine Herausforderung für Apple und für die Nutzer. Entwickler von Lernumgebungen können damit sehr komplexe Dinge programmieren. Wir werden sehen, wie die Apple Entwickler dieses Manko auszugleichen versuchen. So wie es heute dasteht, ist das iPad nicht weltbewegend, aber das könnte sich in Zukunft ändern. Die Oberfläche ist so perfekt gestaltet und einfach, dass sogar ein Zweijähriger damit zurechtkommt. Das ist eine gute Startposition.

Interview: Stefanie Hornung