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Der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht

Im Zeugnis eines Softwareentwicklers heißt es:

Er arbeitete sicher und selbständig und fand gute Lösungen. Herr D. führte alle im übertragenen Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit aus.

Der Arbeitnehmer fand das widersprüchlich und erhob Klage, um zu erreichen, dass die Endbeurteilung geändert wird in: „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“, was im Klartext eine Änderung der Leistungsbewertung von befriedigend in gut bedeutet. Das Hessische Landesarbeitsgericht wies die Klage ab mit der Begründung, dass sich die Gesamtbeurteilung aus dem Zusammenhang ergebe und dies ein gutes Zeugnis sei. Das Bundesarbeitsgericht war anderer Meinung und verwies die Sache an das Hessische Landesarbeitsgericht zurück. Im Urteil (BAG 14.10.2003, 9 AZR 12/03) hieß es:

Der Zeugnisleser darf nicht im Unklaren gelassen werden, wie der Arbeitgeber die Leistung einschätzt. Benutzt der Arbeitgeber allerdings ein im Arbeitsleben übliches Beurteilungssystem, so ist das Zeugnis so zu lesen, wie es dieser Üblichkeit entspricht. Das gilt auch für eine zusammenfassende Endbeurteilung, die für das weitere Fortkommen des Arbeitnehmers von erheblicher Bedeutung ist. Bei einer Fülle von Bewerbungen werden eingereichte Zeugnisse vielfach nur „diagonal“ überfolgen und das Augenmerk auf die Schlussnote gerichtet. Deren Formulierung kann daher den Ausschlag geben, ob der Bewerber zum Vorstellungsgespräch gebeten wird und sich damit seine Chancen auf eine Einstellung erhöhen […..]. Im Interesse des Arbeitnehmers muss sich aus der Schlussnote auch dem eiligen Leser erschließen, ob er sich mit der Bewerbung befasst.

Ist diese Einschätzung des Bundesarbeitsgerichts realistisch?

Bedeutung des Zeugnisses

Das Bundesarbeitsgericht spricht in diesem Urteil von erheblicher Bedeutung des Arbeitszeugnisses für das „weitere Fortkommen des Arbeitnehmers“. Das ist schon deshalb stark übertrieben, weil bei der Vorauswahl anhand der schriftlichen Bewerbungsunterlagen noch andere gewichtige Faktoren eine Rolle spielen: Bei der schriftlichen Bewerbung kommt es auf den Gesamteindruck an, wie etwa auf ein ansprechendes Bewerbungsschreiben und den Lebenslauf sowie darauf, ob es dem Bewerber gelingt, in dieser ersten Selbstpräsentation seine Stärken und Arbeitserfolge überzeugend darzustellen.

Beispiel aus der Praxis

Als Personalberater hat mich ein mittelständisches Unternehmen beauftragt, einen Controller zu suchen, die Bewerbergespräche zu führen und zwei oder drei geeignete Kandidaten auszuwählen. Auf die Stellenanzeige in einer großen regionalen Tageszeitung gingen 80 schriftliche Bewerbungen ein. Wenn wir pro Bewerbung von vier Arbeitszeugnissen ausgehen, sind das 320 Zeugnisse. Die meisten Zeugnisse enthielten eine Endbeurteilung  nach der „Zufriedenheitsskala“ wie das Bundesarbeitsgericht den Zeugniscode bezeichnet. Die meisten Zeugnisse enthielten die Bewertung gut (= stets zu unserer vollen Zufriedenheit), einige sehr gut (stets zur vollsten Zufriedenheit) und einige wenige mit befriedigend (= zur vollen Zufriedenheit oder stets zu unserer Zufriedenheit). Das war keine große Hilfe für die Entscheidung, wer eingeladen wird zum Einstellungsinterview. Es mussten andere Kriterien den Ausschlag geben:

– Bewerber hat uns neugierig gemacht

– Die Bewerberin könnte uns helfen, unsere Probleme zu lösen

– Bewerberin hat Berufserfahrung

– Bewerber ist auf dem aktuellen Stand (Weiterbildung)

Es wurden acht Bewerber, Männer und Frauen, eingeladen, unabhängig von der Endnote ihrer Arbeitszeugnisse.

Übliches Beurteilungssystem

Das Bundesarbeitsgericht spricht von einem im Arbeitsleben üblichen Beurteilungssystem. Es gibt viele Verfahren zur Beurteilung der Leistung. 360-Grad-Beurteilung, ergebnisorientierte Methoden (MbO), handgestrickte Verfahren oder Skalierungsverfahren, die sich an den Schulnoten orientieren. Es ist offensichtlich, was das Bundesarbeitsgericht meint: Die Zufriedenheitsskala. Es ist immer die Rede von Endbeurteilung, die mit einer Note ausdrückt wird. Zusammenfassende ergebnisorientierte Beurteilungen lassen sich nicht in Noten ausdrücken, sondern differenzierter, wie zum Beispiel in Arbeitsergebnissen und im Beitrag zum Gesamtergebnis. Das ist eine Beurteilung der Leistung ohne Noten. Das Bundesarbeitsgericht lässt offen, ob das bei der Gesamtbeurteilung bei Zeugnissen zulässig ist.

Beurteilung des Arbeitsverhaltens

Früher nannte man es „Führung“, nicht nur in Arbeitszeugnissen, sondern auch in Schulzeugnissen. In beiden Fällen ging es um ordentliches Benehmen, um Anstand und Sittlichkeit. Später nannte man es bei Arbeitszeugnissen „Sozialverhalten“ und seit 2003 „Verhalten im Arbeitsverhältnis“. Der Reihe nach.

Arbeitszeugnisse gab es bereits beim Gesindezwangsdienst: Mit der Reichspolizeiordnung von 1530 wurden „Atteste für ordnungsgemäßes Ausscheiden“ eingeführt. Kein Dienstherr durfte eine Magd in sein Haus nehmen, wenn sie kein Zeugnis vorweisen konnte, in dem stand, dass er auf ehrliche Weise und mit Zustimmung des letzten Dienstherrn gegangen war. Herrschaften, die Dienstboten ohne Zeugnis beschäftigten oder ein solches verweigerten, drohten Geldstrafen.

1846 wurde in Preußen das „Gesindedienstbuch“ eingeführt:

Bei Entlassung des Gesindes ist von der Dienstherrschaft ein vollständiges Zeugnis über die Führung und das Benehmen in das Gesindebuch einzutragen.

Das Gesindebuch musste vor Dienstantritt bei der örtlichen Polizei vorgelegt werden. Wer von seiner Herrschaft ein schlechtes Zeugnis bekommen hatte, konnte nach zwei Jahren ein neues Gesindebuch  bei der Polizei beantragen, wenn er nachweisen konnte, dass er sich in den letzten zwei Jahren tadellos geführt hatte. Als Tugenden galten: Fleiß, Treue, Gehorsam, sittliches Betragen, Ehrlichkeit.

Manche Herrschaften haben ihren Hausmädchen auch deshalb keine schlechten Leistungen bescheinigt, weil sie ihnen die berufliche Zukunft nicht verbauen wollten. Andere stellten Dienstboten nur auf Empfehlung ein, weil sie den Aussagen in den Zeugnissen nicht trauten.

Dienstboten wohnten bei den Herrschaften und durften das Haus nur mit Genehmigung der Herrschaft verlassen. Zum Gottesdienst musste man sie gehen lassen, darauf hatten sie einen Anspruch. Schäden, auch fährlässig verursachte, mussten die Dienstboten aus eigener Tasche ersetzen. Wer ohne „gesetzmäßige Ursache“ den Dienst verließ, konnte mit Polizeigewalt zur Fortsetzung gezwungen werden. In der Gesindeordnung waren Strafen vorgesehen: Abmahnung, Verweis, Ausgeh-Verbot, körperliche Züchtigung, Entlassung.

Aus dem Gesindebuch wurde später ein Dienstbuch. Hier ein Auszug aus dem Dienstbuch eines Hausmädchens, die von 1906 bis 1910 bei einem Offizier in der Mark-Brandenburg beschäftigt war (Quelle Archiv Museum der Arbeit in Hamburg):

Führung gut. E. war stets willig und bescheiden, ehrlich und fleißig. Unsere besten Wünsche begleiten sie für die Zukunft.

Die Gesindeordnung in Preußen war auch am 1. Januar 1900 noch gültig, als das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat. Von nun an hatten alle abhängig Beschäftigten, ob Fabrikarbeiter, Verkäuferinnen oder Dienstmägde, einen Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis. Sie hatten deshalb die Möglichkeit, das Zeugnis einzuklagen. Faktisch änderte sich so gut wie nichts, bis 1918, den Beginn der Weimarer Republik.

Schulnoten für das Arbeitsverhalten

Zeugnisaussteller vergeben Schulnoten nicht nur für die Arbeitsleistung, sondern auch für das Verhalten gegenüber Kunden, Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern. Das hört sich so an:

Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern und Kunden war stets vorbildlich.

„Vorbildlich“ bedeutet die Note 1, wobei niemand weiß, was das genau bedeutet, sich vorbildlich verhalten. Warum sollte ich für meinen Kollegen ein Vorbild sein? Das sind Formulierungen, die auf ein stark hierarchisch geprägtes Menschenbild hinweisen. Selbstbewusste Mitarbeiter heute sind Individualisten und wollen kein Vorbild sein, sondern sie selbst. Das gilt übrigens auch für Führungskräfte. Kinder brauchen Vorbilder, mündige Mitarbeiter nicht.

Oder die altmodische Formulierung

Seine Führung gab uns zu Beanstandungen keinen Anlass. Soll heißen: Note 4.

Hat ein Arbeitgeber eigentlich das Recht, das Sozialverhalten von einem moralischen Standpunkt aus zu bewerten? Das Verhalten mit Schulnoten zu bewerten ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten, wo Arbeitszeugnisse noch Disziplinierungsmittel waren. Das Arbeitsverhalten gehört heute zur Arbeitsleistung und sollte auch so im Zeugnis erscheinen: Kooperation, Arbeit im Team, in Projektgruppen, Umgang mit Kunden.

Fazit

Es besteht Klärungsbedarf. Die Rechtsprechung ist noch nicht in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts angekommen.

Informationen über ein zeitgemäßes Zeugnis-Verfahren finden Sie hier:

www.list-unternehmensberatung.de

www.software-arbeitszeugnisse.de