Viele Unternehmen denken bei betrieblichen Gesundheitsprogrammen an gemeinsame Sportkurse, Stressmanagement oder Beratungsangebote und beim Stichwort Kreativität an eine entsprechende Personalauswahl. Viel bedeutender als der individuelle Umgang mit den Anforderungen ist jedoch eine gesunde Organisations- und Führungskultur. Nachhaltige Konzepte setzen daher bei den Verhältnissen an und nicht beim Verhalten des Einzelnen.

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Foto von Beatriz Pérez Moya

Organisationaler Klima- und Kulturwandel

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren rasant beschleunigt. Organisationale Veränderungen gehören in vielen Branchen zum Tagesgeschäft. Produkte und Dienstleistungen haben eine deutlich verkürzte Halbwertszeit und das überträgt sich oft auf konkrete Funktionen und Aufgaben im Arbeitsprozess. Viele Unternehmen reagieren darauf mit verstärkter “numerischer Flexibilität”. Sie befristen die Arbeitskraft sowie spezifische Kompetenzen und kaufen sie “just in time” ein. Hohe Fluktuation, hohe Kosten für die Rekrutierung geeigneten Personals und steigende Arbeitsplatzunsicherheit sind die Folgen. Gleichzeitig brennen die Beschäftigen angesichts der Intensivierung ihrer Arbeit schneller aus. Erwerbsbiographien zeichnen sich durch gehäufte Phasen der Erwerbslosigkeit aus. Qualifikationen und Wissen verlieren schneller ihren Wert. Deshalb müssen die Arbeitnehmer im Selbstmanagement ihre “Beschäftigungsfähigkeit” (Employability) fördern und recyceln.

Flexibilität kann aber auch anders aussehen. Unternehmen sollten auf die Regeneration der Energien setzen, die ihren Erfolg bestimmen: Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen verbunden fühlen, ihr Erfahrungswissen einbringen und gemeinsam die Herausforderungen schultern. “Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital” ist denn auch eine Aussage, die sich in dieser oder anderer Form in jedem Unternehmensleitbild (zumindest größerer) Unternehmen wiederfindet. Am ersten Arbeitstag überreicht, vielleicht kurz durchgeblättert, verstauben Leitbilder dann jedoch oft in den Schubläden. Mit reinen pro forma Mitspracherechten ist es also nicht getan – diese bergen sogar eher die Gefahr der Frustration, wenn die Führungsriege Meinungen bei der Entscheidung letztlich nicht berücksichtigt. Auch eine wirtschaftliche Beteiligung verfehlt ihre motivierende Wirkung, wenn kein Mitspracherecht bei taktischen und strategischen Organisationsentscheidungen vorhanden ist. Erst wenn die Mitarbeiter in einem gewissen Maß, die Kontrolle über etwas ausüben, erleben sie ein Gefühl des “Psychologischen Eigentums” und gehen dann damit auch entsprechend verantwortungsvoll um. Sind die Mitarbeiter auf diese Weise Teil des Unternehmens, wirkt sich das außerdem positiv auf ihre Kreativität aus.

Kreativität und Innovationsfähigkeit fördern

Im Arbeitsumfeld beinhaltet Kreativität nicht nur die Fähigkeit, etwas Neues zu schaffen, sondern auch das Neue praktisch nutzen zu können. Der erfolgreiche Start des ersten Erdsatelliten durch die Sowjetunion im Jahr 1957 löste in Amerika einen regelrechten Boom der Kreativitätsforschung aus (Sputnik-Schock). Die Vereinigten Staaten wollten so schnell wie möglich den vermeintlichen technischen Rückstand Wett machen.

Bereits damals kam die Kreativitätsforschung zu folgenden zentralen Aussagen:

  • Kreativität ist eine Eigenschaft, die bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, aber sich nur schwer messen lässt.
  • Intelligenz scheint eine nötige Voraussetzung für besonders originelle Ideen zu sein.
  • Kreative Leistungen sind das Ergebnis harter Arbeit, auch wenn manche Lösungen scheinbar plötzlich zu Tage treten.
  • Kreativität ist kaum trainierbar.

Doch der Eigenschaftsansatz greift zu kurz. Kreativität kann sich nur entfalten, wenn der Zielzustand offen ist und Freiräume da sind, Ziele neu zu setzen. Um die Kreativität und Innovation in Unternehmen zu fördern, sprechen Herbig, Glaser und Gunkel (2008) von einem „kreativen Dreiklang“: Person, Arbeitsaufgabe und Organisation müssen harmonisch ineinander greifen und zusammen passen. Zur gelungenen Orchestrierung innovativer Prozesse gehört es daher auch,

(1) die Kompetenzen, Fähigkeiten und Bedürfnisse in einem Team zu berücksichtigen und optimal zu nutzen,

(2) die nötigen Kompetenzen durch Qualifikation zu entwickeln,

(3) ausreichende Autonomie (Entscheidungs-, Handlungs- und Zeitspielräume) und

(4) die nötigen Ressourcen (Finanzen, Arbeitsmittel, Unterstützung) bereitzustellen,

(5) die praktische Umsetzung von Ideen zu ermöglichen (Feedback!) und

(6) vor allem alle Komponenten aufeinander abzustimmen.

Kontrollierendes Führungsverhalten, Unsicherheit und Zeitdruck verhindern hingegen jegliche Innovation. So wie Pygmalion nach einer griechischen Legende all seine Hoffnungen und Erwartungen in seine angebetete, aus Marmor geschaffene Galatea projizierte und Aphrodite sie dann zum Leben erweckte, können auch Führungskräfte durch das Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter kreative Energien zum Leben erwecken. Dieser Pygmalion-Effekt bedarf eines transformationalen Führungsstils. Die Führungskraft setzt herausfordernde, längerfristige Ziele, sorgt für die intellektuelle Stimulation, nimmt selbst eine Vorbildrolle ein, und gewährt und fördert mit Handlungs-, Zeit- und Entscheidungsspielräumen vor allem die Autonomie der Mitarbeiter.

Vertrauenskultur aufbauen

Unterstützend wirkt auch eine Kultur des Vertrauens und der Anerkennung. Dafür müssen Führungskräfte die Beziehung zu den Mitarbeitern fortwährend positiv gestalten, etwa indem Worte und Taten übereinstimmen, sie einen verantwortlichen Umgang mit (Unternehmens)ressourcen vorleben und vor allem die Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen beteiligen. Dazu gehört, dass Führungskräfte nichts versprechen, was sie nicht einhalten können.

Jede Veränderung ist mit Unsicherheit über den Zielzustand verbunden. Die beschleunigte Anpassung an Markterfordernisse verlangt nach einer Veränderungskultur. Dies bedeutet, dass Unternehmen in Veränderungsprozessen nicht jedes Mal aufs Neue etablierte Strukturen in Frage stellen und Strukturen komplett neu konzipieren sollten. Es gilt, “Metaregeln” für Veränderungsprozesse auszuhandeln, die einen kontinuierlichen Veränderungs- und Optimierungsprozess ermöglichen. Die von Leventhal 1980 erarbeiteten Regeln zur fairen Gestaltung von Entscheidungsprozessen bieten hierfür eine nützliche Grundlage. Diese beinhalten:

1. Konsistenz: Organisationen wenden für alle Personen und in allen vergleichbaren Situationen dasselbe Verfahren an.

2. Unparteilichkeit:Das Gremium, welches die Entscheidung fällt, ist unvoreingenommen.

3. Korrigierbarkeit: Arbeitnehmer können Einspruch erheben und die Vorgesetzten können während des Prozesses Korrekturen vornehmen.

4. Genauigkeit:Das Management fällt die Entscheidung auf Grundlage aller relevanten Informationen.

5. Partizipation:Die von der Entscheidung betroffenen Mitarbeiter haben eine Mitsprachemöglichkeit.

6. Einhaltung ethischer und moralischer Standards: Die Entscheidung verstößt nicht gegen allgemeine moralische Wertvorstellungen.

Um Enttäuschungen vorzubeugen: Unternehmen können nicht über Nacht partizipative Strukturen oder eine grundlegende Vertrauenskultur implementieren. Vor allem der Machtverlust des mittleren Managements stellt dabei häufig eine Hürde dar. Aber auch die Arbeitnehmer an der Basis müssen die nötigen inhaltlichen als auch kommunikativen Kompetenzen erst erwerben oder ausbauen. Es bedarf klarer Regeln und Strukturen und Personen die bereit sind sich am Diskurs aktiv zu beteiligen. Doch der Aufwand könnte sich lohnen. Dann werden wir später zumindest nicht sagen: “Die Zukunft war früher auch besser!”.