six white sticky notes
Foto von Kelly Sikkema

Die Situation: Frau Ebeling ist nervös. Sie sitzt ihrem Chef gegenüber, der nach einer ganzen Reihe von Unterrichtseinheiten vor zwei Monaten zum Thema „Mitarbeiterkommunikation und systemisches Coaching“, nun hochmotiviert das Thema „angehen“ möchte, warum Frau Ebeling nach fast zwei Jahren höchst vielversprechender Leistungen plötzlich häufig fehlt, krank ist und Unterlagen später einreicht. Er ist stolz darauf, dass er auf diese Weise nun das Gespräch sucht. Früher hätte er seine Mitarbeiterin einfach mehrmals zurechtgewiesen, ihr Konsequenzen angedroht, sie mit anderen Mitarbeitern verglichen, die „das ja auch hinkriegen“. Frau Ebeling kennt beide Seiten ihres Chefs und weiß nicht, ob sie „dem Frieden trauen kann“.

Rückblick: Vor zwei Jahren tritt Frau Ebeling in die Firma ein und übernimmt rasch „außerplanmäßig“ die Projektleitung eines Kollegen, der wegen Krankheit für längere Zeit in eine Rehaklinik muss. Frau Ebeling kennt das Metier. Sie kommt aus einer renommierten Konkurrenzfirma, die sie wegen eines privaten Umzugs verlassen hat. Motiviert und sehr konstruktiv geht sie das Projekt an, bindet von Anfang an die Mitarbeiter ein, die, schnell von ihrer Kompetenz und Tatkraft überzeugt, aktiv und konstruktiv mitziehen. Alles geht gut, bis der alte Kollege aus der Klinik zurückkommt und im Rahmen eines Eingliederungsverfahrens erst langsam wieder Fuß fasst. Um seine Stellung in der Firma bangend, und auch angesichts des Erfolgs seiner Vertreterin in seinem Stolz verletzt, beginnt er, Ideen und Vorschläge der neuen Projektleiterin zu torpedieren. Es bilden sich „Lager“. Die Stimmung verschlechtert sich. Der Chef nimmt unbewusst Position für den alten Kollegen ein, der ihn früher sehr bei seinem eigenen Weg unterstützt hat. Er sieht zwar, dass dessen Leistung noch nicht – oder auch nicht mehr – für diese Position ausreicht, fühlt sich aber auch seinem alten Kumpanen gegenüber in der Pflicht. Frau Ebeling scheut eine konstruktive Konkurrenzsituation keineswegs. Doch dieser „Vielfrontenkampf“ zermürbt sie. Ihre Vorschläge werden mehr und mehr abgeschmettert. Ihre Entscheidungen werden von der Geschäftsleitung hinter ihrem Rücken bei ihren neuen Kunden zurückgezogen. Ihre Projektmitarbeiter sind verunsichert, wem sie nun, nach Rückkehr des alten Projektleiters, berichten sollen, zumal dieser vom Chef offensichtlich gefördert wird. Klärungsversuchen seitens Frau Ebeling gehen der alte Kollege und der Chef anfänglich aus dem Weg. Auf Drängen und Vermittlung des HR-Managers hin, wird nun dieses Gespräch anberaumt.

Wie hätten Sie seitens des HR-Managers entschieden? Hatte er überhaupt eine Wahl? Und wenn ja, welche?

Vielen Mitarbeitern in der Firma sind die unterschiedlichen Verstrickungen bewusst: Sie wissen, dass der alte Projektleiter und der Chef einander oft „geholfen“ haben. Sie schätzen beide. Viele mögen und schätzen jedoch auch die neue Projektleiterin und wissen, dass ihre Leitung das Projekt und die Firma in sicheres Fahrwasser und innovativ weiter bringen wird –hingegen Leitungsstil, strategische Ausrichtung sowie Kompetenz des älteren eher zu einem „Schritt zurück“ führen könnten. Auf der anderen Seite wollen sie ihren Job nicht verlieren, weil sie das eher radikale frühere Auftreten ihres Chefs noch in guter Erinnerung haben. Der HR-Manager, seit neuestem mit „Talent-Management“ betraut, möchte Frau Ebeling nicht verlieren und hofft nun, dass sein Chef, unterstützt durch dessen Weiterbildung, mit Einsicht und Weitblick klare Positionen einnimmt – und mit eindeutigen und respektvollen Worten die Kompetenzen, Zuständigkeiten etc. neu ordnet bzw. bestätigt und wieder Ruhe in das Unternehmen bringt.

Es kommt anders. Das Zwei-zu-Zwei-Gespräch eskaliert. Der Chef bleibt bei seiner Position, dass Frau Ebeling etwas an ihrem Verhalten ändern müsse. Ihre Einwände auf Eingriff in ihre Zuständigkeiten, auf unklare Positionierung, auf eine neue Abstimmung im Ablauf des Projekts und eine neue Verteilung der Zuständigkeiten verhallen ungehört. Er ist sich sicher, wenn sie sich nur zusammenreißt und sich „ändert“, dann stimmt „das System“ wieder.

Frau Ebeling findet nach kurze Zeit wieder eine neue Stelle – bei einem ehemaligen Kunden. Er kennt sie aus gemeinsamen Verhandlungen, weiß um ihr Potenzial, seine Firma weiterzuentwickeln. Der alte Projektleiter bezieht seine Position wieder, doch sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend. Die Projektmitarbeiter sind frustriert, die Entwicklung stagniert. Zwei haben schon gekündigt.

 

Fazit: Was passierte beim Gespräch?

Frau Ebeling konnte sich im Gespräch nicht vollständig öffnen, denn sie wusste nicht, ob sie aufgrund ihrer früheren Erfahrung mit dem „reizbaren Chef“ nun dem „kommunikativen“ Ansatz trauen konnte. Außerdem ist sie frustriert und verärgert über sein im Vorfeld ausweichendes und als unloyal empfundenes Verhalten. Sie hat erst kurz zuvor durch Zufall durch „wohlmeinende“ Kollegen erfahren, wie stark die gegenseitige „Verpflichtung“ des Chefs und des Kollegen eigentlich wirklich ist. Danach fühlt sie sich auf verlorenem Posten. Sie empfindet das Gespräch eher als Anmaßung, als Eingriff und Hohn, denn als echte Hilfe. Zugegebenermaßen ist sie längst auf dem Weg zur inneren Kündigung und damit nicht mehr wirklich zu einer Klärung bereit.

Der Chef ist frustriert, dass seine neue Gesprächsbereitschaft nicht genügend honoriert wird und sein frisch erworbenes Wissen ihm im Praxistest nicht viel zu nützen scheint. Unbewusst beginnt er aufgrund der reservierten Haltung von Frau Ebeling zu zweifeln, ob man ihn mit diesem Kommunikationsansatz in Zukunft überhaupt als echte Autoritätsperson noch genügend respektieren wird. Er erkennt zwar prinzipiell den systemischen Ansatz an – dass in diesem Falle ein entscheidender Hebelpunkt jedoch in seiner eigenen Verwicklung mit dem älteren Mitarbeiter besteht – und der Tatsache, dass seine Machtposition als Vorgesetzter bei Mitarbeitern schwerlich über Nacht zu 100%tigen Vertrauensbeweisen führen kann – das blendet er aus. Schließlich gewinnt seine alte Führungshaltung, die sich sicherer und vertrauter anfühlt, die Oberhand. Frau Ebeling hat „zu spuren“ – wenn nicht, kann sie ja gehen.

Dem HR-Manager bleibt es überlassen, danach die „Wogen“ beim enttäuschten Chef zu glätten, in Gesprächen mit kündigungswilligen Projektmitarbeitern Schadensbegrenzung zu üben – und sich nach neuen Mitarbeitern umzusehen.

 

Ausblick: Welcher Ansatz hätte vielleicht zu einem Erfolg führen können?

Eine „dritte Person“ , wie ein externer Mediator, Moderator oder Supervisor entlastet alle Beteiligten. So ist es prinzipiell nützlich, bei einem Klärungsgespräch eine dritte Person hinzuzuziehen. In diesem Fall hätte sich auch der HR-Manager dazu bereiterklären können. Auch der Vorschlag, zur eigenen Entlastung und zur Entlastung des Chefs einen externen Mediator hinzuzuziehen, wäre möglich und sinnvoll gewesen.

Der Blick von außen ist bei komplexen Problemen und Themen unabdingbar

Neutralität ist bei allen Konfliktklärungen oberstes Gebot. Vor allen Dingen, wenn Interessenskonflikte schon im Vorfeld bekannt sind. Tatsache ist: In diesem Fall – wie auch in sehr vielen anderen Fällen der beruflichen Praxis – gehören Mediation, Moderation und Coaching in die Hände derer, die damit schon lange professionell arbeiten und die nicht in internen Interessens- und Rollenerwartungen gefangen sind. Bedenkt man den Umstand, dass auch lange Jahre der Ausbildung und Therapieerfahrung selbst praxiserprobte Coaches und Therapeuten nicht davor bewahren, ab und zu selber noch in „Übertragungen“ und „Verstrickungen“ zu geraten – erkennt man die eigentliche Überforderung – wie auch Anmaßung, die hinter einer „Coaching“-Ausbildung für HR oder Führungskräfte stehen kann.

Die Grenzen eigener Zuständigkeiten und Kompetenzen erkennen

Es gibt einen Unterschied zwischen echtem professionellem Coaching – und einem neuen „Verhaltens- und Gesprächsansatz“, der nur im Allgemeinen gerne als „Coaching“ bezeichnet wird.

Unbestritten: Das Erlernen eines neuen kommunikativen Ansatzes, neuer Gesprächstechniken, neuer Achtsamkeits- und Aufmerksamkeitsübungen, neuer Methoden zur Selbstregulierung oder neuer Ansätze psychologischen Verständnisses menschlichen Verhaltens sind in jedem Falle für alle sinnvoll: für HR-Verantwortliche, Führungskräfte – und die Mitarbeiter selber. Diese Techniken erleichtern den Berufsalltag und sind sehr dazu geeignet, kurzfristig zu intervenieren, Standorte zu bestimmen, frühzeitig Handlungstendenzen und Risiken zu erkennen und rechtzeitig praktisch einzugreifen. Diese Techniken eignen sich bei kleineren Missverständnissen oder kurzzeitigen beruflichen oder gesundheitlichen Problemen. Für eine echte komplexe Krisenintervention, für längerfristigeTherapien, Verhaltens- oder gar Strategieveränderungen reichen sie jedoch nicht aus. Das können und müssen sie auch gar nicht. Wer hier rechtzeitig die Grenze erkennt zwischen Selbstüberschätzung, Selbstüberforderung – und der Notwendigkeit, professionelle Hilfe hinzuzuziehen, kann nur gewinnen.