1 Risiken beim Personalabbau

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Das Unternehmen trägt bei jeder einzelnen Kündigung das Risiko, dass diese unwirksam ist und damit die gesamte Restrukturierung scheitert. Das liegt daran, dass der Arbeitgeber die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung beweisen muss. Deren Rechtfertigung hat drei Voraussetzungen:

* Wegfall des Beschäftigungsbedarfs,

* ordnungsgemäße Sozialauswahl und

* keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen.

Die größte Rechtsunsicherheit besteht bei der Sozialauswahl. Sie hängt davon ab,

  • wie der Arbeitgeber den Kreis der vergleichbaren Mitarbeiter bestimmt,
  • welche sozialen Kriterien er bei der Auswahl zugrunde legt,
  • wie er die Kriterien zueinander gewichtet und
  • wen er als Leistungsträger – oder um eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern – von Kündigungen ausnimmt.

Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer die vier Kriterien

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit,
  • Lebensalter,
  • Unterhaltspflichten und
  • Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Wichtig: Seit Inkrafttreten des AGG am 18.8.2006 ist das Risiko bei der Sozialauswahl zusätzlich gestiegen. Das Gesetz verbietet u. a., Mitarbeiter wegen des Alters zu diskriminieren, und führt damit zu Unsicherheit bei der Frage, ob und wie der Arbeitgeber das Alter bei der Sozialauswahlnoch berücksichtigen darf.

2 Punkteschema

Das Risiko, dass eine Kündigung unwirksam ist, reduziert sich bereits erheblich, wenn das Unternehmen bei der Sozialauswahl ein Punkteschema, auch Auswahlrichtlinie genannt, anwendet. Darin werden die vier sozialen Kriterien durch die Vergabe von Punkten gewichtet, um die Rangfolge der sozialen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer festzustellen. Ein Punkteschema hat zunächst den Vorteil, dass das Gericht die Gewichtung der sozialen Kriterien im Rahmen der Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen darf. Grob fehlerhaft ist das Punkteschema nur ausnahmsweise, nämlich wenn eines der vier sozialen Kriterien überhaupt nicht oder so gering bewertet wird, dass es in fast allen denkbaren Fällen nicht mehr den Ausschlag geben kann (BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07,AuA 3/09, S. 184).

Erforderlich ist, dass ein Tarifvertrag das Punkteschema vorsieht oder das Unternehmen mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung hierüber abgeschlossen hat (§ 1 Abs. 4 KSchG, § 95 BetrVG). Ein einseitig vom Arbeitgeber aufgestelltes Schema führt nicht dazu, dass das Gericht die Sozialauswahl lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft. Unabhängig davon begründet es niemals die Vermutung, dass das Unternehmen dieGruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer richtig gebildet hat.

Ein weiterer Vorteil eines Punkteschemas besteht darin, dass der von der Rechtsprechung entwickelte Dominoeffekt ausbleibt: Macht ein Arbeitgeber bei der Sozialauswahl einen Fehler und kündigt er einen Arbeitnehmer nicht, der nach seiner sozialen Schutzbedürftigkeit eigentlich hätte gekündigt werden müssen, können sich nach der Dominotheorie sämtliche Mitarbeiter, die sozial schutzwürdiger sind als der zu Unrecht im Betrieb Verbliebene, auf die Unwirksamkeit ihrer Kündigung berufen. Der Arbeitgeber kann nicht einwenden, der sozial Schutzwürdigere wäre auch bei fehlerfreier Sozialauswahl gekündigt worden.

Diese Rechtsprechung haben die Gerichte für Fälle aufgegeben, in denen der Arbeitgeber die Sozialauswahl anhand eines abschließenden Punkteschemas vornimmt (BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, AuA 7/07, S. 437 f.).

Wichtig: Es kann sich nur derjenige Arbeitnehmer auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen, der bei richtiger Anwendung des Punkteschemas nicht gekündigt worden wäre. Dies gilt selbst, wenn das Unternehmen die Auswahlrichtlinie nicht in Form einer Betriebsvereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung vereinbart hat.

3 Vorgaben der Rechtsprechung

Für die Praxis hat die Rechtsprechung folgende Vorgaben für Punkteschemata aufgestellt:

  • Keines der vier Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter,Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung hat Priorität gegenüber den anderen. Der Arbeitgeber darf die Punkte deshalb nicht so verteilen, dass sich ein Merkmal immer durchsetzen kann. Eine unterschiedliche Gewichtung ist zulässig, solange jedes den Ausschlag geben kann. Unzulässig ist es z. B., das Lebensalter mit maximal fünf Punkten zu bewerten, wenn alle anderen Kriterien mehr als fünf Punkte erhalten (BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05).
  • Das Unternehmen darf das Alter linear berücksichtigen, etwa indem es einen Punkt pro Lebensjahr vergibt (BAG, Urt. v. 5.11.2009 – 2 AZR 676/08; Urt. v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08). Das privilegiert jedoch automatisch ältere Arbeitnehmer, es sei denn, man sieht eine Kappungsgrenze vor. Ab welchem Alter eine solche zulässig ist, ist umstritten. Das BAG hat bislang eine Kappungsgrenze bei 59 Jahrenzugelassen.
  • Erlaubt ist, die Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer durch eine lineare Punktevergabe beim Alter dadurch zu relativieren, dass die Betriebszugehörigkeitszeit stärker gewichtet wird. Das BAG erkennt einen Punkt pro Lebensjahr und 1,5 Punkte pro Jahr der Betriebszugehörigkeit an.
  • Schließlich muss das Punkteschema keine abschließende Einzelbetrachtung mehr vorsehen. Eine individuelle Abschlussprüfung nach erfolgter Punktevergabe ist nicht notwendig (BAG, Urt. v. 9.11.2006 –2 AZR 812/05, a. a. O.).

4 Mitbestimmung

Nicht nur ein „Rahmenpunkteschema“, das generell für alle Personalabbaumaßnahmen gelten soll, sondern auch ein Punkteschema für einen einmaligen Personalabbau ist mitbestimmungspflichtig Da ein Interessenausgleich keine Betriebsvereinbarung ist, muss das Punkteschema Gegenstand einer gesonderten Betriebsvereinbarung sein. Oft weigert sich der Betriebsrat jedoch, eine Auswahlrichtlinie zu vereinbaren, etwa weil er die Chancen der Beschäftigten in einem Kündigungsschutzprozess nicht schmälern will. Dann stellt sich die Frage, was passiert, wenn der Arbeitgeber dennoch die Punkte nach einem Schema vergibt. Fest steht, dass er dadurch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Lange Zeit war unklar, ob dies auch zur Unwirksamkeit der Kündigungen führt. Das hat das BAG verneint (Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, a. a. O.), dem Betriebsrat aber einen Anspruch auf Unterlassung der Anwendung des Punkteschemas zugesprochen (Beschl. v. 26.7.2005 – 1 ABR 29/04, AuA 12/05, S. 748 f.).

Der Arbeitgeber riskiert daher jedenfalls theoretisch, dass der Betriebsrat eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Anwendung des Punkteschemas erwirkt, um damit die Kündigungen zu verhindern. In der Praxis sind solche Fälle aber eher selten. Unternehmen sind durchaus bereit, bei der Betriebsratsanhörung darüber zu informieren, dass sie nach einem nicht mitbestimmten Punkteschema vorgegangen sind. Sie können das Schema aber auch ohne Nachteile erst im Kündigungsschutzprozess offenlegen.

Praxistipp

Ein größerer Personalabbau ist ohne eine Auswahlrichtlinie praktisch nicht umsetzbar. Ihr großer Vorteil – gleich ob mitbestimmt oder nicht – ist, dass sich bei Fehlern in der Sozialauswahl nur diejenigen Arbeitnehmer hierauf berufen können, die bei fehlerfreier Auswahl nicht gekündigt worden wären. Bei mitbestimmten Punkteschemata prüfen die Arbeitsgerichte die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit.

5 Altersgruppenbildung

Selbst bei geschickter Gewichtung der vier Sozialauswahlkriterien im Rahmen eines Punkteschemas lässt es sich nicht vermeiden, dass der Altersdurchschnitt steigt. Einen Ausweg sah man bislang darin, die Sozialauswahl innerhalb von Altersgruppen durchzuführen. Dadurch relativiert sich das Kriterium des Alters und die Kündigung kann ältere Arbeitnehmertreffen, wenn sie in ihrer jeweiligen Altersgruppe die sozial Schwächsten sind. Dagegen darf ein jüngerer Mitarbeiter bleiben, sofern er in seiner Altersgruppe der sozial Stärkere ist. Die Altersgruppenbildung führt also dazu, dass Ältere (nur) wegen ihres Alters das Nachsehen haben.

Die Bildung von Altersgruppen war bislang ein beliebtes Instrument, um eine ausgewogene Altersstruktur zu sichern. Auch das KSchG definiert dies als legitimes Ziel bei der Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes betriebliches Interesse darlegt, warum er Altersgruppen bilden will und der Personalabbau in prozentualer Hinsicht in den einzelnen Gruppen gleichmäßig stattfindet.

6 Problem: Altersdiskriminierung?

Seit Inkrafttreten des AGG herrscht jedoch große Rechtsunsicherheit, ob Altersgruppen mit dem Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar sind, denn das Gesetz verbietet auch bei Entlassungen, Arbeitnehmer wegendes Alters zu benachteiligen, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG.

Zunächst schien eine Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2008 (Urt. v.6.11.2008 – 2 AZR 523/07) Klarheit zu schaffen: Nach § 10 Satz 1 AGG ist es möglich, Altersgruppen zu bilden, wenn die damit einhergehende Diskriminierung durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und objektiv angemessen ist. Nach Auffassung des BAG wird ein legitimes Ziel für die Altersgruppenbildung vermutet, sofern es sich um Massenkündigungen aufgrund einer Betriebsänderung handelt, da dann die Ausgewogenheit der Personalstruktur gefährdet ist. Die Altersstruktur zu erhalten, liegt sowohl im Interesse der Belegschaft als auch im Wettbewerbsinteresse des Arbeitgebers. Es ist nicht erforderlich, dass an den legitimen Zielen ausschließlich ein Allgemeininteresse besteht. Auch betriebs-, unternehmens-oder branchenbezogene Interessen sind anzuerkennen.

Damit das Ziel angemessen ist, muss der Arbeitgeber nur vortragen, wie sich die Altersstruktur entwickelt hätte und dass ohne die Altersgruppenbildung z. B. kein Arbeitnehmer unter 35 Jahren mehr verblieben wäre. Maßgeblich ist, dass die Gruppenbildung einem plausiblen System folgt. Das setzt i. d. R. voraus, dass der Arbeitgeber die Altersschritte gleichmäßig bildet (BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07; v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08). In der Folgezeit hat die Rechtsprechung Altersgruppen ab dem 25. oder 30. Lebensjahr in Fünfer- und Zehnerschritten anerkannt.

Nur wenige Monate nach der Entscheidung vom November 2008 (Urt. v.6.11.2008, a. a. O.) befasste sich der EuGH mit der Frage, welche Ziele eine Diskriminierung wegen des Alters rechtfertigen und entschied – anders als das BAG –, dass nur sozialpolitische Ziele, die im Allgemeininteresse stehen, in Betracht kommen. Dazu gehören solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung nicht aber rein unternehmensbezogene Interessen, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (Urt. v. 5.3.2009 – C-388/07,AuA 12/09, S. 729).

7 Vorlage an den EuGH

Dies veranlasste das Arbeitsgericht Siegburg, dem EuGH im Januar 2010 die Frage vorzulegen, ob die Sicherung der Personalstruktur eine Diskriminierung wegen des Alters legitimieren kann (Vorlage v. 27.1.2010 – 2 Ca 2144/09). Der Zweck, die Altersstruktur zu sichern, ist nach Ansicht des Arbeitsgerichts lediglich ein betriebs- bzw. unternehmensbezogener und kein sozialpolitischer im Allgemeininteresse, wie vom EuGH gefordert.

Auch in der Fachliteratur gibt es Stimmen, die es vor dem Hintergrund der europarechtlichen Vorgaben für bedenklich halten, Altersgruppen zu bilden. Einige gehen sogar noch weiter und sehen es selbst als europarechtswidrig an, das Lebensalter bei der Sozialauswahl linear zu bewerten und dadurch wiederum jüngere Beschäftigte zu benachteiligen (Kaiser/Dahm, NZA 2010, S. 473 ff.). Sie vertreten die Auffassung, dass das Lebensalter bei der Sozialauswahl völlig auszublenden ist.

Die Vorlagefrage des Arbeitsgerichts Siegburg zeigt, dass derzeit bei der Bildung von Altersgruppen im Rahmen der Sozialauswahl keine Rechtssicherheit besteht. Der große Vorteil, damit die Altersstruktur zu sichern, könnte sich in das Gegenteil verkehren, wenn der EuGH die Altersgruppen für europarechtswidrig erklärt. Die Kündigungen der benachteiligten Arbeitnehmer wären unwirksam.

Wichtig: Zusätzlich drohen Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüche der zu Unrecht gekündigten Mitarbeiter, und zwar selbst dann, wenn sie ihre Kündigung nicht fristgerecht oder gar nicht gerichtlich angefochten haben. Ob und inwieweit Beschäftigte Schadensersatzansprüche nach § 15AGG im Zusammenhang mit einer Kündigung geltend machen können, ist zwar streitig. Das LAG Bremen hat jedoch einen Entschädigungsanspruchi. H. v. drei Bruttomonatsverdiensten jetzt erstmals anerkannt (Urt. v.29.6.2010 – 1 Sa 29/10, rk., vgl. AuA 9/10, S. 546; a. A.: LAG Köln, Urt. v. 1.9.2009 – 7 Ta 184/09).

8 Namensliste

Als drittes Gestaltungsmittel, um das Risiko unwirksamer Kündigungen bei einem Personalabbau zu reduzieren, kann der Arbeitgeber eine Namensliste mit dem Betriebsrat vereinbaren. Dafür einigen sich die Betriebsparteien namentlich auf die zu entlassenden Arbeitnehmer und halten dies schriftlich fest. § 1 Abs. 5 KSchG regelt die Vorteile einer Namensliste: Es wird vermutet,

  • dass die Kündigung betriebsbedingt erfolgte, d. h. der Beschäftigungsbedarf weggefallen ist,
  • dass anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen und
  • dass der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer richtig bestimmt und Leistungsträger zu Rechtausgenommen hat.
  • Schließlich prüft das Gericht die Gewichtung der vier sozialen Gesichtspunkte im Rahmen der Sozialauswahl – ebenso wie beim Punkteschema – nur auf grobe Fehlerhaftigkeit.

Aufgrund der Vermutungswirkung muss der Arbeitgeber die drei Kündigungsvoraussetzungen – Wegfall des Beschäftigungsbedarfs, ordnungsgemäße Sozialauswahl und keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit –nicht mehr eigens darlegen. Dies gilt mittlerweile auch bei Änderungskündigungen (BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/07). Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, die Vermutungen substantiiert zu entkräften, was nur selten gelingt. Es genügt z. B. nicht, pauschal zu behaupten, im Betrieb würden auch Leiharbeitnehmer eingesetzt oder andere Kollegen müssten Überstunden leisten.

Praxistipp

Eine Namensliste ist nicht erzwingbar. Aufgrund der gravierenden Folgen für die Arbeitnehmer gelingt es häufig nur unter besonderen Umständen den Betriebsrat zu einer solchen „Kopfliste“ zu bewegen Jede Namensliste hat ihren Preis, der nicht selten in einem hohen Sozialplanvolumen und/oder einer Beschäftigungsgarantie für die verbleibende Mannschaft besteht.

9 Anforderungen der Rechtsprechung

Nicht jede Namensliste löst die dargestellten Vermutungen aus, vielmehr sind die Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten:

  • Die Betriebsparteien müssen sie im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG abschließen. Notwendig ist also ein Personalabbau, der in jedem betroffenen Betrieb die Schwellenwerte des§ 17 Abs. 1 KSchG erreicht. Das bedeutet zugleich, dass die Parteien eine Namensliste stets nur im Rahmen eines Interessenausgleichs vereinbaren können.
  • Die Namensliste muss außerdem formell wirksam sein. Hierfür bedarfes eines von Arbeitgeber und Betriebsrat im Original unterschriebenen Dokuments, das körperlich fest – durch getackerte Heftklammern – mit dem Interessenausgleich verbunden ist.

Können sich die Betriebsparteien erst zu einem späteren Zeitpunkt auf eine Namensliste einigen, etwa wenn sie gemeinsam die Sozialauswahl durchführen, löst sie die dargestellten Vermutungen nur aus, wenn die Parteien sie zeitnah nach Abschluss des Interessenausgleichs unterzeichnen und in ihr auf den Interessenausgleich Bezug nehmen (BAG, Urt. v.26.3.2009 – 2 AZR 296/07).

Für die Vermutung, dass eine Kündigung betriebsbedingt erfolgte, ist es irrelevant, ob der Arbeitgeber möglicherweise ein altersdiskriminierendes Punkteschema angewendet oder altersdiskriminierende Altersgruppen gebildet hat. Dies kann allenfalls zur Folge haben, dass die Sozialauswahl fehlerhaft ist. Es lässt aber nicht die Vermutung entfallen, dass kein Beschäftigungsbedarf mehr besteht (BAG, Urt. v. 5.11.2009 – 2 AZR676/08).

Es kommt vor, dass die Betriebsparteien Arbeitnehmer auf die Namensliste setzen wollen, die ohnehin ausscheiden, aber eine Sperre beim Arbeitslosengeld vermeiden möchten. Wenn diese Mitarbeiter nach der Sozialauswahl bei Weitem nicht zur Kündigung anstünden oder ihr Arbeitsplatz von der Betriebsänderung überhaupt nicht tangiert ist, geht der Arbeitgeber damit ein erhebliches Risiko ein.

Wichtig: Dann greift nämlich für sämtliche Arbeitnehmer auf der Namensliste, d. h.auch für die, denen er aufgrund der Betriebsänderung kündigen will, die Vermutung der Betriebsbedingtheit nicht ein. Auch die Überprüfung der Sozialauswahl beschränkt sich in diesem Fall nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit (BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07).

10 Namensliste versus Punkteschema

Gegenüber einem bloßen Punkteschema hat eine Namensliste den großen Vorteil, dass das Gericht nur eingeschränkt die Gewichtung der sozialen Kriterien bei der Sozialauswahl überprüft. Zudem wird vermutet, dass der Arbeitgeber die Vergleichsgruppen richtig gebildet hat (BAG, Urt. v.12.3.2009 – 2 AZR 418/07). Die in einem Prozess oft schwer mit Worten zu beschreibende Nichtvergleichbarkeit verschiedener Berufsgruppen, etwa im technischen Bereich, entfällt bei einer Namensliste. Der Arbeitnehmer muss auch hier in Vorlage treten und Tatsachen vortragen, die auf grobe Fehler bei der Sozialauswahl schließen lassen. Hierfür steht ihm allerdings ein Auskunftsanspruch hinsichtlich der Gründe zu, die zu dergetroffenen Sozialauswahl geführt haben, § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG.

Außerdem haben die Betriebsparteien die Möglichkeit, nach durchgeführter Sozialauswahl sog. Leistungsträger, bei denen es wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im betrieblichen Interesse liegt, sie weiter zu beschäftigen, wieder von der Namensliste zu streichen und auf eine „Unabkömmlichkeitsliste“ zu setzen. Auch insoweit geht von der Namensliste die Vermutung aus, dass die Entscheidung der Betriebsparteien rechtens ist.

Praxistipp

Weder ein Interessenausgleich noch eine Namensliste entbinden den Arbeitgeber von der Pflicht den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nach § 102 BetrVG anzuhören. Dabei kann er aber davon absehen, solche Informationen darzustellen, die der Betriebsrat bereits aus den Verhandlungen zum Interessenausgleich und der Namensliste kennt. Die Betriebsratsanhörungen direkt in den Interessenausgleich aufzunehmen, ist nicht in jeder Konstellation geeignet – auch wenn dies häufig empfohlen wird. Dies scheidet z. B. aus, wenn das Unternehmen den Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat verhandeln muss.

11 Fazit

Die Kombination von Punkteschema, Altersgruppenbildung und Namensliste eröffnet dem Unternehmen bei einer Restrukturierung die Chance, sich seine „Olympiamannschaft“ zusammenzustellen. Die größte Rechtssicherheit und die meisten Vorteile bietet aus Arbeitgebersicht die Namensliste. Sie belässt den Betriebsparteien einen gewissen Spielraum, die Vergleichsgruppen zu bestimmen, die sozialen Kriterien zu gewichten und Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen, weil das Gericht sie nur auf grobe Fehler überprüft.

Ein Punkteschema eröffnet dem Arbeitgeber die Möglichkeit, im Prozess rechtssicher darzulegen, weshalb bestimmte Mitarbeiter sozial schutzwürdiger waren als andere.

Die Bildung von Altersgruppen mit dem Ziel, die Altersstruktur im Betrieb zu sichern, ist dagegen derzeit keineswegs rechtssicher. Es ist nicht auszuschließen, dass der EuGH dieses Ziel nicht anerkennt und darin eine unzulässige Altersdiskriminierung sieht. Dass es für europarechtswidrig erklärt wird, generell das Lebensalter im Rahmen der Sozialauswahl zuberücksichtigen, ist allerdings unwahrscheinlich.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 11/10