Gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten gehöre Retention Management auf die Tagesordnung, sagen Sie. Doch in der öffentlichen Debatte wird eher über Personalabbau gesprochen. Können sich Personalmanager in der Chefetage nicht durchsetzen?
Dass Personalverantwortliche sich stark auf „Kostenreduzierung“ und „Kennzahlenoptimierung“ konzentrieren, ist doch normal. Einige Unternehmen haben jedoch erkannt, dass sie sich langfristig wieder stärker der Mitarbeiterbindung widmen müssen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Wir kooperieren mit zahlreichen Unternehmen, die Retention-Projekte aufgesetzt haben oder sich intensiv mit ihrem Image bei potenziellen und bereits beschäftigten Mitarbeitern auseinander setzen. Zwar erfährt man in der Öffentlichkeit recht wenig davon, doch hinter den Kulissen ist hier durchaus Bewegung zu spüren.

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Foto von Studio Republic

Um Fach- und Führungskräfte langfristig zu binden, empfehlen Sie transparente Karrierepfade und professionelles Coaching durch Vorgesetzte als wirksame Instrumente. Sind finanzielle Anreize tatsächlich für die Mitarbeiter oder potenzielle Bewerber nicht mehr so wichtig?
Wichtig ist, dass die Vergütung inklusive Boni und anderer Zuwendungen als leistungs- und marktgerecht empfunden wird. Benchmarks aus anderen Unternehmen können hier sehr helfen. Nach unserer Erfahrung ist eine überdurchschnittliche Bezahlung langfristig kaum bindungsrelevant, solange die persönlichen Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten überzeugen. Einzige Ausnahme ist der zahlengesteuerte klassische Verkäufer.

In den USA, so heißt es, habe das Thema Retention Management in den Unternehmen einen weit höheren Stellenwert als hier zu Lande. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube nicht, dass das Thema Mitarbeiterbindung dort insgesamt einen höheren Stellenwert hat, vielmehr ist es vor dem Hintergrund unterschiedlicher Arbeitsmärkte differenziert zu sehen. In den USA sind nach wie vor befristete Verträge und eine sehr hohe Arbeitnehmermobilität kennzeichnend – folglich müssen ganz andere Bindungsansätze zum Tragen kommen als in Deutschland.

Woran konkret lassen es die deutschen Unternehmen bei der Mitarbeiterbindung vermissen? Was könnten sie verbessern?
Kontraproduktiv wirken sich unzureichende persönliche Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten aus, ebenso Probleme mit Themenspecial Juni 2005 „Mitarbeiterbindung/Retention Management“ Führungskräften. Grundsätzlich gilt: Jedes Unternehmen ist anders und muss sich seiner eigenen Stärken und Schwächen bewusst werden. Viel lässt sich hier erreichen, wenn die Transparenz von Unternehmensstrategie und Visionen verbessert oder das Gehaltssystem korrigiert wird.

Gemeinsam mit Hewitt bietet Kienbaum zum Beispiel interessierten Unternehmen eine kostenlose Standortanalyse an (Infos: www.bestemployerseurope.com), um die eigene Arbeitgeberattraktivität zu ermitteln. Per Stichprobe befragen wir Mitarbeiter, Unternehmensleitung, Personalabteilung und Arbeitnehmervertretung und können so die einzelnen Stärken und Schwächen auch in Bezug auf die Mitarbeiterbindung herausarbeiten. Der so genannte Alignment-Wert zeigt auf, wo genau die Einschätzungen der Befragten voneinander abweichen. Gerade daraus lassen sich sehr gut konkrete Handlungsfelder ableiten.

Worauf sollten die Verantwortlichen für das Retention Management achten, wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts geht?
Gut beraten ist, wer sich rechtzeitig nach innen und außen als attraktiver Arbeitgeber positioniert. Dazu gehört zum Beispiel auch, im Fall unvermeidbarer Kündigungen oder anderer Trennungen von Betroffenen und Kollegen als fair wahrgenommen zu werden. Dies kann ein professionelles Trennungsmanagement leisten, das vom Unternehmen stark unterstützt wird.

Leider zerschlagen zurzeit viele Unternehmen Porzellan, was sich künftig als sehr kostspielig herausstellen könnte. Denn wenn es wirtschaftlich wieder bergauf geht, ist es bei den meisten Unternehmen für eine Imagekorrektur zu spät.

Interview: Winfried Gertz.

ANKE HUNZIGER ist Senior Beraterin im Geschäftsfeld Human Resources Management bei der Kienbaum Management Consultants GmbH. Personalmagazin

Quelle: personal-expo