11 Interne Prüfprozesse

people doing office works
Foto von Alex Kotliarskyi

Ein interner Prüfprozess bei der regelmäßigen Beschäftigung von Selbstständigen sollte in zwei Phasen gegliedertsein: der Informationsgewinnungsphase in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen und dem Auftragnehmersowie der Risikobewertungsphase. Ziel der ersten Phase ist die Informationsgewinnung. Fachabteilungen mit einem Beauftragungswunsch solltenChecklisten bzw. Fragebögen zur Verfügung gestellt werden, die die verschiedenen Kriterien abfragen und beleuchten.

Sowohl die Fachabteilungen als auch der Selbstständige sollten diese ausfüllen. Anhand der Checklisten/Fragebögen und den beabsichtigten Vertragsdokumenten sollte man dann eine rechtliche Prüfung und eine Risikobewertung vornehmen. Die zu bewertenden Checklisten/Fragebögen könnten 
sich beispielhaft an folgenden Fragen ausrichten, die für die Annahme einer Selbstständigkeit sprechen:

• Werden dem Auftragnehmer Weisungen erteilt?

• Existiert eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation?

• Gibt es eine Aufnahme im Organigramm/Levelzuteilung?

 Nimmt der Auftragnehmer eine Vorgesetztenfunktion wahr?

• Werden Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt (Handy/E-Mail)? Besteht Aufnahme in den E-Mail-Verteiler?

• Wie ist die Vergütung geregelt? Per Auftrag? Per Tagessatz oder nach Stunden?

• Werden Urlaubszeiten gewährt und bezahlt?

• Erfolgt eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall?

• Wird von einem eigenen Büro (in anderer Stadt) gearbeitet?

• Erfolgt der Einsatz vor Ort lediglich nach Bedarf?

• Besteht eine Gesamtverantwortung für das Projekt?

• Verhandelt der Auftragnehmer eigenständig Verträge mit Dienstleistern und Kunden?

• Ist der Selbstständige für mehrere Auftraggeber tätig?

• Beschäftigt er eigene sozialpflichtige Arbeitnehmer?

• Ist eine persönliche Leistungserbringung gewünscht?

• Tritt der Selbstständige weiterhin werbend in eigenem Namen am Markt auf?

10 Statusfeststellungsverfahren

Neben dem klassischen Antragsverfahren zu Beginn des Auftragsverhältnisses können auch interne Prüfprozesse das Risiko einer Scheinselbstständigkeit begrenzen. Um die Haftung von vornherein zu begrenzen, gibt es zunächst die Möglichkeit eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV. Sofern dies innerhalb eines Monats nach Beginn der Beschäftigung eingeleitet wird, bestehen gleich zwei Vorteile:

• Wird im Rahmen des Verfahrens festgestellt, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, schuldet der Arbeitgeber erst mit Bekanntmachung des Bescheids die Beiträge.

• Darüber hinaus wird die Zahlungsverpflichtung gestundet, bis die Statusentscheidung für die Beteiligten unanfechtbar geworden ist.

6 Höchstpersönliche Leistungserbringung und Vergütungshöhe

Die höchstpersönliche Leistungserbringung wird ebenso häufig als gewichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung angesehen. Dabei nimmt die Rechtsprechung des BSG dies nur dann an, wenn die höchstpersönliche Leistungserbringung nicht den Eigenheiten und besonderen

Erfordernissen des Auftragsverhältnisses geschuldet ist. Gerade bei Tätigkeiten, deren Erfolg ein besonderes Vertrauen über einen ggf. längeren Zeitraum oder aber eine besondere Expertise voraussetzt, sei die Leistungserbringung

durch eine bestimmte Person häufig als Vertragsinhalt anzusehen. Als ein neues „gewichtiges“ Indiz hat das BSG in seiner Entscheidung die Höhe der Vergütung angesehen. Wenn auch weiterhin im Rahmen einer Gesamtwürdigung, hat aber die Frage der Eigenvorsorgemöglichkeit an Bedeutung gewonnen. Liegt nach dem BSG das vereinbarte Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und nimmt dadurch die Eigenvorsoge zu, spricht viel für die Annahme einer Selbstständigkeit.

 Eine überdurchschnittlich hohe Bezahlung kann die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht ausschließen. Der Vergleich zur marktüblichen Bezahlung abhängig Beschäftigter sollte zukünftig aber durchaus mehr in den Vordergrund gerückt werden.

7 Nachforderung von Beiträgen

Sprechen zu viele Indizien für eine abhängige Beschäftigung, kann es nicht nur zu Beitragsnachzahlungen kommen. Neben mehreren bekannten Problemfeldern kommt durch ein anhängiges Verfahren vor dem EuGH auch ein ganz erhebliches Risiko zum Tragen hinsichtlich möglicher

Nachzahlungen von (nicht gewährten) Urlaubsansprüchen. Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern spätestens alle vier Jahre die ordnungsgemäße Erfüllung der Meldepflichten und Beitragszahlungen. Beitragsschuldner ist allein der Arbeitgeber (§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Kommt es zur Annahme einer Scheinselbstständigkeit, sind mindestens die letzten vier Jahre nachzuentrichten. Bei vorsätzlicher unterbliebener Abführung verjährt der Anspruch auf Nachforderung erst 30 Jahre nach Fälligkeit.

Dabei reicht bedingter Vorsatz aus, der bereits bejaht wird, wenn die Beteiligten des Vertragsverhältnisses es nur für möglich gehalten haben, dass das Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist und dieses billigend in Kauf nahmen. Das Unternehmen kann nach § 28 g Satz 3 SGB IV auch bzgl. der Arbeitnehmeranteile nur sehr eingeschränkt Rückgriff auf den Mitarbeiter nehmen, nämlich nur bei den nächsten drei Lohn- und Gehaltszahlungen. Für die Zeit davor ist ein Rückgriff nur noch möglich, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers entstanden ist. Ein Verschulden ist selbst dann anzunehmen, wenn er sich in einem Rechtsirrtum hinsichtlich der Beitragszahlungspflicht befunden hat.

8 Lohnsteuer und Unfallversicherung

Neben der Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge sind zahlreiche Folgeprobleme vorhanden. Nach § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG haftet der Auftraggeber gemeinsam mit dem Arbeitnehmer als Gesamtschuldner für die nicht abgeführte Lohnsteuer. Anders als im Sozialversicherungsrecht kann er hierbei gegenüber dem Mitarbeiter Regress nehmen. Soweit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden ist, bleibt dem Dienstleister als Auftraggeber der Abzug der ihm in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 UStG versagt. Er ist verpflichtet, die zu Unrecht gezogene Vorsteuer an das Finanzamt zurückzuzahlen.

Ein unbekanntes und häufig auch verkanntes Risiko besteht durch die Unfallversicherung. Das Unternehmen muss den Unfallversicherungsträgern sämtliche Aufwendungen 
ersetzen, wenn ein Scheinselbstständiger einen Versicherungsfall erleidet. Davon umfasst sind alle Heilbehandlungen, Reha, Verletztengeld und -rente, beruflicheWiedereingliederung sowie Witwen- und Waisenrente. In Betracht kommt theoretisch auch eine Strafbarkeit nach § 266a StGB, sofern bei der Nichtabführung der Sozialversicherungsanteile eine vorsätzliche Handlung des Auftraggebers nachgewiesen werden kann. Zivilrechtlich ist eine persönliche Haftung der Organmitglieder nach § 823 Abs. 2 BGB möglich.

9 Urlaubsgeltung

Bisher begrenzen Verjährungsvorschriften sowie die Bindung des Urlaubs an das Kalenderjahr die (nachträglichen) Ansprüche von Scheinselbstständigen. Ein anhängiges Verfahren vor dem EuGH und die Schlussanträge des Generalsanwalts stellt diese Begrenzung auf den (europarechtlichen) Prüfstand. In dem anhängigen Verfahren klagt ein Scheinselbstständiger nach 13-jähriger Tätigkeit auf umgerechnet knapp 32.000 Euro, sowohl für Urlaubszeiten, die er ohne Vergütung genommen hat, als auch als Abgeltung für nicht in Anspruch genommenen Urlaub.

Der Generalanwalt – dem der EuGH meistens folgt – schlägt in seinen Schlussanträgen vom 8.6.2017 (C-214/16) vor, dass der Urlaubsanspruch des Scheinselbstständigen so lange übertragen werden kann, bis dieser die Möglichkeit der Ausübung erhält. 
Nach der Richtlinie (2003/88/EG) sei der Arbeitgeber verpflichtet, zugunsten des Arbeitnehmers die Möglichkeit zur Ausübung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub einzurichten. Wenn das Unternehmen von vornherein eine Urlaubsgewährung bei einem Scheinselbstständigen verhindert, müsse es auch das Risiko des Rechtsverstoßes tragen.

12 Fazit

Die Einordnung einer Beschäftigung als selbstständige Tätigkeit ist von vielen Detailfragen abhängig. Bereits vor Abschluss von Dienstverträgen sollte der Blick für die Kriterien geschärft werden. Oftmals lässt sich durch eine kleine (aber wichtige) Nachjustierung das Risiko der Annahme einer Scheinselbstständigkeit und den damit verbundenen Nachzahlungen erheblich verringern.




Mit freundlicher Genehmigung von Volker Hassel RA für AuA 10/17, Seiten 582-587

1 Allgemeines

Am 31.3.2017 hat das BSG (B 12 R 7/15 R, NZS 2017, S. 664) die Höhe der Vergütung und die Möglichkeit der Eigenvorsorge als ein neues Indiz für die Ablehnung einer Scheinselbstständigkeit dargelegt. Neben diesem neuen Ansatz hat es aber auch viele gängige Indizien angesprochen und bewertet. Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Arbeitnehmern ist oftmals nicht eindeutig. Harte Kriterien dafür gibt es nicht; die Grenzen sind fließend. Grundlage muss immer die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls sein.

Die Rechtsprechung zu Scheinselbstständigen befindet sich zudem seit einiger Zeit im Fluss. Generell gilt, dass die Behörden und Gerichte in letzter Zeit einen strengeren Maßstab anlegen als früher. So entschied das OLG München, dass auch, wenn der Dienstverpflichtete Ort, Zeit und Art der Tätigkeit weitgehend selbst bestimmen kann und nach dem Vertrag als Vergütung Provisionen für vermittelte Verträge zu leisten sind, eine geschuldete Erreichbarkeit, Mitteilungspflicht über Abwesenheitszeiten, fehlende Abrechnung über Provisionen und Provisionsrechnungen ohne Ausweis der Mehrwertsteuer gegen eine selbstständige Tätigkeit sprechen (OLG München, Beschl. v. 20.3.2014 – 7 W 315/14, NJW-RR 2014, S. 887).Auch die Sozialgerichte müssen sich in regelmäßigen Abständen mit der Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbstständigen auseinandersetzen. So entschied das Hessische LSG, dass eine OP-Schwester nicht selbstständig ist, wenn sie von der Klinik gestellte Arbeitskleidung nutzt und die Vorgaben des operierenden Arztes zu beachten hat. Darüber hinaus könne sie mit einer Beschäftigungszeit in der Klinik von 44 Stunden pro Woche schwerlich noch für andere Auftraggeber tätig werden (Hess. LSG, Urt. v. 26.3.2015 – L 8 KR 84/13).

 

Den Behörden steht darüber hinaus bei ihren Entscheidungen ein Ermessensspielraum zu, der nach § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist. Dies bedeutet, dass die Behörden in der Gewichtung der Indizien so lange frei sind, wie ihnen kein willkürliches oder offensichtlich fehlerhaftes Vorgehen vorgeworfen werden kann. Dementsprechend unterschiedlich gestaltet sich in der Praxis das Prüfungsverfahren auch abhängig von der jeweils zuständigen Behörde und dem dortigen Sachbearbeiter.

2 Tatsächliche Verhältnisse entscheidend

Mit seiner Entscheidung vom 31.3.2017 hat das BSG (a. a. O.) nicht nur ein neues Indiz für die Ablehnung der Scheinselbstständigkeit hinzugefügt. Es ist auch auf die wichtigsten Kriterien für die Gesamtwürdigung näher eingegangen. Bei seiner Prüfung hat das Gericht zuerst festgestellt, dass die getroffene Vereinbarung den tatsächlichen Verhältnissen bei der Durchführung der verrichteten Tätigkeit entsprach, sie also tatsächlich „gelebt“ wurde. Es ist daher immer wieder darauf zu achten, dass die Beteiligten ein den Kriterien eines Auftragsverhältnisses entsprechendes Regelwerk auch tatsächlich umsetzen.

3 Weisungsrecht

Neben der tatsächlichen Durchführung des Auftragsverhältnisses verdeutlichte das BSG, dass das Weisungsrecht des Auftragnehmers auch hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit in den Honorarverträgen ausdrücklich ausgeschlossen werden sollte. Das BAG (Urt. v. 14.3.2007 – 5 AZR 499/06, NZA 2007, S. 424) hat für den Rundfunkbereich festgestellt, dass auch freie Mitarbeiter in der Erbringung der Dienstleistung nicht völlig frei sind. Durch die Prüfung der sachlichen Richtigkeit sowie der Einhaltung des vorgegebenen Zeitrahmens und offensichtlicher Widersprüche nimmt der Auftraggeber sein zustehendes Rügerecht war: „Mit der Kontrolle der Qualität seiner Arbeit muss auch der freie Mitarbeiter rechnen.“

4 Kündigungsfrist und unternehmerisches Risiko

Sofern der Vertrag auf unbestimmte Dauer geschlossen werden soll, lässt sich ein Kündigungsrecht vereinbaren. Das BSG lehnt die zwingende Schlussfolgerung ab, dass eine Kündigungsfrist von (ordentlich) 14 Tagen zum Monatsende zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führen könnte. Die Möglichkeit der Unterschreitung der Kündigungsfristen des § 622 BGB sei gerade die Folge der Vereinbarung eines freien Dienstvertrags anstelle eines Arbeitsvertrags. Es sei daher ein Zirkelschluss, jeden kurzfristig kündbaren freien Dienstvertrag als Arbeitsvertrag auszulegen. 

Auch hinsichtlich des Vorliegens des unternehmerischen Risikos hat das BSG die Grenzen gelockert. Bei reinen Dienstleistungsverträgen, die im Wesentlichen nur Knowhow sowie Arbeitszeit und Arbeitsaufwand voraussetzen, sei unternehmerisches Tätigwerden nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder -materialien verbunden. Das Fehlen solcher Investitionen sei damit bei reinen Dienstleistungen kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine (abhängige) Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden
.

5 IT-Zubehör und eigene Betriebsstätte

Das BSG sah es in dem zu entscheidenden Fall auch als unerheblich an, dass das Auto, der PC sowie das Mobiltelefon von dem Selbstständigen nicht nur im Hinblick auf die Tätigkeit angeschafft wurden. Weiter ist nach dem BSG eine fehlende eigene Betriebsstätte dann kein Indiz für eine Annahme einer abhängigen Beschäftigung, wenn eine solche bei Tätigkeiten der fraglichen Art weder zu erwarten noch notwendig ist. Es sind durchaus Tätigkeiten vorstellbar, bei denen man üblicherweise eine Arbeitsmöglichkeit im privaten Bereich erwarten kann, aber keine eigene Betriebsstätte im engeren Sinne eingerichtet sein muss.