Hans-Joachim Clobes suchte für sein Unternehmen nach neuen Wegen, sich am Markt zu behaupten, vor allem aber, weiter zu wachsen. „Als Sondermaschinenbauer hatten wir bislang kein eigenes Produkt, sondern arbeiteten als hoch spezialisierter Problemlöser ausschließlich auf Kundenwunsch“, berichtet der Geschäftsführer der H&B Omega Europa GmbH aus Osterweddingen in der Nähe der sachsen-anhaltinischen Hauptstadt Magdeburg. Seine Kunden sind in erster Linie Ausrüster für den Automobilbau.

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Foto von Alejandro Escamilla

Know-how und Nachwuchskräfte sichern

Wachstum, davon ist der Firmenchef überzeugt, setze eine Neuausrichtung des Unternehmens voraus. Ein Alleinstellungsmerkmal musste also her, damit sein Unternehmen den Weg zum Maschinenbauer mit einem eigenen Produkt gehen konnte. „Dies ist eine ganz entscheidende Voraussetzung, um mit einer Wiederholquote bei der Produktion entsprechende Rationalisierungseffekte zu erzielen“, erklärt der promovierte Diplom- Ingenieur.

Was also lag näher als die Zusammenarbeit mit der benachbarten Fachhochschule in Magdeburg, um einen Technologietransfer ins Werk zu setzen? An der Fachhochschule stand eine leistungsfähige Messtechnik zur Verfügung. Viel wichtiger noch als modernes Equipment aber war die Möglichkeit für das Unternehmen, sich den dort versammelten Sachverstand zu sichern und gleichzeitig unter dem hoch motivierten akademischen Nachwuchs nach High Potentials für das Unternehmen zu suchen, in dem insgesamt 64 Mitarbeiter, darunter neun Ingenieure, beschäftigt sind.

Mehrere Praktikanten aus der Fachhochschule waren seitdem bei H&B Omega tätig. Einer schrieb schließlich seine Diplomarbeit über die Neuentwicklung. „Wir haben die Gunst der Stunde genutzt“, so Clobes, „und ihm eine Festanstellung angeboten.“

Faktor Mitarbeiterbindung

 

Dieser Diplomand hieß Christian Behrend. Er war froh über das Angebot, fand er doch unmittelbar im Anschluss an sein Studium im vergangenen Jahr eine berufliche Herausforderung unmittelbar vor seiner Wohnungstür. Die Anstellung bei H&B Omega ist für den 24-Jährigen nämlich mehr als nur ein Job. Ihm wird eine berufliche Perspektive präsentiert, die ihn von Anfang an faszinieren und damit binden sollte. Denn die Geschäftsleitung von H&B Omega initiierte inzwischen gemeinsam mit zwei Professoren der Fachhochschule Magdeburg-Stendal die Gründung eines weiteren Unternehmens. Ziel dieser Neugründung ist es, Basis-Know-how im Bereich kraftgeregelter Antriebe zu entwickeln. Ihrem jüngsten Mitarbeiter boten sie den Posten des Geschäftsführers an. Und Christian Behrend akzeptierte.

 „Um diese zusätzliche Aufgabe meistern zu können, ist es wichtig, sich auch betriebswirtschaftlich auf hohem Niveau fit zu machen“, erläutert Unternehmensleiter Hans- Joachim Clobes. Deshalb drückt Christian Behrend erneut die Schulbank, kaum dass er die FH-Seminarräume verlassen hat. In einem 20-monatigen, berufsbegleitenden Masterstudiengang bereitet sich der Führungskräftenachwuchs auf den MBA-Abschluss vor. Die Doppelbelastung scheut Christian Behrend nicht. Er sieht vielmehr die Vorteile, die sich ihm bieten: „Die Erweiterung meiner Fähigkeiten und Kompetenzen, die Intensivierung meiner Sprachkenntnisse, das Knüpfen von geschäftlichen Beziehungen sowie das Erlangen eines weiteren akademischen Grads – das alles ist für mich der Grundstein für ein attraktives Berufsleben mit Zukunft“, sagt der Berufseinsteiger.

Abwanderung in den Westen

Der Karrierebeginn von Christian Behrend stellt aber eine Ausnahme in den neuen Bundesländern und nicht die Regel dar. Fehlende berufliche Perspektiven sind der Hauptgrund für die anhaltende Abwanderung in Richtung Westen, ermittelte jetzt eine aktuelle Studie der Fachhochschule Magdeburg-Stendal. Diese hat erstmals auf empirischer Grundlage Ursachenforschung bei rund 1.000 Abgewanderten zwischen 18 und 35 Jahren betrieben. Die Befragten nannten vor allem folgende Gründe für ihre Unzufriedenheit mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Osten: niedrige, teilweise als ungerecht empfundene Bezahlung, längere Arbeitszeiten, eine größere Arbeitsplatzunsicherheit – vor allem aber die ungenügende Förderung ihrer persönlichen Qualifikations- und Karriereentwicklung durch die Arbeitgeber.

Motiv: Karriereschritt

„Go West“ heißt also auch noch 15 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die Devise vieler Leistungsträger in Ostdeutschland. Für Professor Christiane Dienel, Autorin der Studie über die Binnenmigration, erfolgt die Abwanderung in den Westen hoch selektiv: „Auf einen Nenner gebracht, sind die Mitglieder der größten Wanderungsgruppen hoch qualifiziert, mobil und dynamisch – also genau die Menschen, die wir in Sachsen-Anhalt eigentlich am dringendsten benötigen.“

Zwei Drittel der Abgewanderten sind Facharbeiter, ein Drittel hat einen Hochschulabschluss. Eine besonders überraschende Entdeckung für Professor Christiane Dienel war die Tatsache, dass gerade einmal zehn Prozent der Abgewanderten vor diesem Schritt arbeitslos waren. „Für die meisten, die Sachsen-Anhalt den Rücken gekehrt haben, war ein neuer Karriereschritt oder eine bessere Bezahlung entscheidend“, erläutert sie.

Während die Leistungsträger gehen, bleiben die Langzeitarbeitslosen zurück. Für die Professorin hängen beide Entwicklungen eng zusammen. Im Hinblick auf die Abwanderung nütze es der Region nicht viel, Angebote zur beruflichen Qualifizierung für Langzeitarbeitslose aufzulegen, erklärt sie: „Neue und vor allem zukunfts- und karriereförderliche Arbeitsplätze müssen entstehen, um diejenigen zu halten, die sich bessere Chancen versprechen.“

Einen Hoffnungsschimmer gebe es immerhin, so die Expertin. Einmal abgewandert, bleiben Sachsen-Anhaltiner in erstaunlich hohem Maße bereit zur Rückkehr. 65 Prozent der Männer und 54 Prozent der Frauen würden zurückkehren, wenn sich insbesondere die Arbeitsbedingungen in ihrer Heimat verbessern würden.

Online-Kontakt zur Heimat

Diese Grundeinstellung macht sich seit Ende vergangenen Jahres das Projekt „Junge Karriere Mitteldeutschland“ zunutze. Kernelement dieses Projekts, das vom Bildungszentrum Energie GmbH in Halle koordiniert sowie vom Land Sachsen-Anhalt und der EU gefördert wird, ist eine Datenbank im Internet. In dieser Datenbank können junge Fachkräfte ihr Berufsprofil hinterlegen, Berufswünsche angeben, aber auch einfach nur den Kontakt zur Heimat halten.

Rund 1.200 Eintragungen verzeichnet die Datenbank bereits. Das ist ein Zeichen dafür, dass es den Initiatoren gelungen ist, Bindungen aufzubauen und die Rückkehrbereitschaft bei den Abgewanderten aufrecht zu erhalten. Projektleiter Lothar Stahl: „Dafür ist Jukam der Fuß in der Tür – nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Prävention gegen die Abwanderung

Professor Christiane Dienel setzt dagegen eher auf Prävention. Die engere Verzahnung von Schulen und Hochschulen, Hochschulen und Unternehmen könne helfen, die Bindung und spätere Einmündung der Absolventen in die Unternehmen der Region zu fördern, meint sie. „Aber auch der Innovationstransfer von den Hochschulen in die Wirtschaft ist durchaus steigerungsfähig“, erklärt die Expertin. „Neue Produkte oder Technologien könnten den Unternehmen einerseits helfen, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und andererseits durch entsprechende Qualifikationsangebote an die Mitarbeiter den Weiterbildungsbedarf des Einzelnen besser abdecken“, so das Credo der Professorin.

Wachstum fördern, Personalbedarf sichern

Zu der Minderheit der Unternehmer in Sachsen-Anhalt, die diese Erkenntnis nutzen, gehört die H&B Omega Europa GmbH von Hans-Joachim Clobes. Gemeinsam mit dem Fachbereich Maschinenbau der FH Magdeburg hat das Unternehmen eine adaptive Steuerung für Reibschweißmaschinen entwickelt, einen Prototyp gebaut, getestet und das Verfahren weiter entwickelt. Die Patentanmeldung in diesem Jahr war der vorläufige Abschluss dieser zukunftsträchtigen Entwicklung. Auf dem Weg zum Maschinenbauer mit einem eigenen Produkt ist der Sondermaschinenbauer damit einen guten Schritt vorangekommen. Geschäftsführer Hans-Joachim Clobes will bereits in einem Jahr zweistellige Wachstumszahlen vorweisen.

Zur Wachstumsorientierung gehört auch der Ausbau des neuen Geschäftsfelds, das zusammen mit der jüngsten Firmengründung entstanden ist. In diesem Geschäftsfeld sollen natürlich ebenfalls wieder zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, nämlich Wachstum zu fördern und den dafür notwendigen Personalbedarf vor allem an High Potentials zu sichern. „Wir leiten hier eine ähnliche Entwicklung wie zuvor bei H&B ein, um auf diesem Weg den Nachwuchs zu rekrutieren“, erläutert Hans-Joachim Clobes. Auch im neuen Unternehmen sind bereits zwei Praktikanten tätig und bereiten sich auf ihr Diplom vor. Sie erhalten auch als Praktikanten eine angemessene Bezahlung. Und sie haben einen einfühlsamen Chef – den 24-jährigen Christian Behrend.

Gezielte Nachwuchsbindung

Christian Behrend bekam mit der Betreuung dieser beiden Studenten bereits seine erste Führungsaufgabe übertragen. „Ich muss zwar noch oft fragen, wie ich reagieren und was ich zu tun oder zu lassen habe“, räumt der junge Geschäftsführer ein. „Aber schließlich ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen, und mit der Zeit wächst man ja an seinen Aufgaben.“

Die Geschäftsleitung von H&B Omega jedenfalls sieht es mit Freude. Schließlich wächst hier nicht nur eine junge Führungskraft in ihre neue Aufgabe hinein. Gleichzeitig wird durch diese Situation, in der zwei Diplomanden mit einem Absolventen zusammenarbeiten, auch der Grundstein für ein neues Unternehmen gelegt. So können High Potentials – also der Nachwuchs von morgen ebenso wie der gerade neu eingestellte – bereits frühzeitig auf Einsatz- und Leistungsbereitschaft getestet und gleichzeitig optimal an das Unternehmen und die Region gebunden werden.