Bernd Schmids Blog
Müdigkeit des Herzens?
Nun ist es endlich wieder sommerlich. Wir sind des unwirtlichen Wetters müde und ferienreif. Ein anstrengendes Halbjahr liegt hinter uns. Voll von schöner Arbeit, reich an berührenden Begegnungen. Wir sind dankbar dafür, aber doch eben auch müde, wollen mal raus aus der Mühle, die Seele baumeln lassen.
Ist es nur diese Müdigkeit? Die vergeht, wenn wir Abstand nehmen und uns dann wieder auf den Alltag unseres Lebens, unsere Aufgaben und Beziehungen freuen? Vielleicht ist da auch noch eine andere Müdigkeit, eine die allmählich mit den Jahren wächst. Bei allem Erfolgreichen und Schönen hat man doch immer wieder Belastungen, Verluste und Enttäuschungen verkraften müssen. Und nicht alle Segnungen der Zivilisation haben so richtig genährt. Vieles trägt zu so etwas bei wie „Müdigkeit des Herzens“ , wie sie der gut bürgerliche lebende Johannes Calvin bei sich feststellte, bevor er vor 500 Jahren zum Reformator mutierte. Nun, nicht jeder hat dann gleich solche Ambitionen, doch möchte ich solchen Regungen schon etwas Aufmerksamkeit schenken, gerade um nicht mit einem schalen Geschmack auf der Zunge durchs Leben zu gehen, der untergründig Situationen und Beziehungen beeinträchtigt, oft mit doppelbödigem Optimismus übertüncht. Die Gewohnheits-Strahlerei vieler Mediengestylter VIPs kann einen frösteln machen.
Also, was ist es?
Vieles, was immer begeistert und beseelt hat, erschöpft sich, droht durch Wiederholung und Gewöhnung an Glanz zu verlieren. Man kennt es schon. Die Seele sucht Neues, Anderes und Inspirierendes. Doch auch nicht zu Exotisches, Spektakuläres, mit leuchtenden Augen an den Haaren herbeigezogen. Man glaubt die Kurzatmigkeit mancher Schwärmereien schon zu kennen. Natürlich will man nicht die Aufbruchstimmung anderer mit sogenanntem Realismus ins Banale abdrängen, will nicht alles entzaubern, nur weil es naiv oder illusionär erscheint. Ohne Zauber lebt man ja nicht besser. Und wir brauchen sie so dringend, die frische Begeisterung, die Bereitschaft, einfach mal anzufangen, anzupacken, sich anzuschließen. Doch man selbst kann da nicht mehr so leicht mit. Man mag nicht mehr jedem Flötenspieler folgen, weil man meint zu wissen, wohin die Reise geht. Begeisternde Aufbrüche sind zu oft im Treibsand von Illusionen, Trägheiten, Unzuverlässigkeiten, widrigen Umständen und uneingelösten Ansprüchen und Versprechen stecken geblieben. Dazu kommt, dass man mit zunehmendem Alter nicht mehr so leicht sein Herz verschenken, seinen Ideen Flügel verleihen kann. Das hat Vorteile, weil man mit den Kräften, auch den seelischen besser haushalten lernt, aber es kann auch Trägheit und Versäumnisse bringen. Man bückt sich nicht mehr so leicht nach jeder Nuss, wenn viele leer sind.
Da spüre ich gleich wieder Verantwortung, ein Thema, das mich oft beschäftigt. Da zeigt sich der Calvin in mir, würde vermutlich mein Freund Gunther sagen. Da hättest du recht, Gunther, aber lass es mich sagen. Vielleicht hilft es. Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst wieviel Pflege die Lebendigkeit des Herzens und des Geistes braucht. Es ist nicht so leicht, angesichts so vieler Problemszenarien der Zuversicht in gute Entwicklungen Vorrang einzuräumen. Es ist nicht so einfach, immer wieder enttäuschende Aspekte in Beziehungen hinzunehmen, sich ansammelnde Bitterkeit immer wieder loszulassen und es mit den guten Seiten auf ein Neues zu versuchen. Da ist immer wieder Seelenarbeit angesagt und manchmal geht das nicht leicht und nicht schnell. Wenn man zu leicht und zu schnell damit fertig sein will, bleibt zu viel Energie daran gebunden, die dann das Weitere beschwert.
Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, sah stumme Verzweifelung im Hintergrund, wenn Menschen sich in schwierige Beziehungen verstricken oder ein destruktives Lebens-Drama veranstalten. Diese stumme Verzweifelung ist schwer zu fassen und doch subversiv wirksam, wenn sie nicht zur rechten Zeit und im rechten Maß Aufmerksamkeit und Sprache bekommt. Aber was ist das rechte Maß und wann ist der rechte Zeitpunkt, sich solchen Empfindung zu stellen?
Ich weiß es auch nicht, aber vielleicht ermutigen meine Gedanken den einen oder die andere, in sich hineinzuhorchen und mit anderen nach Worten zu suchen. Dafür etwas Raum und Aufmerksamkeit zu verwenden, kann durchaus bereichernd sein, auch wenn es erstmal nicht so wirkt. Und schließlich ist Verzweifeln eine professionelle Kompetenz(1) .
Ich jedenfalls merke jetzt gerade eine positive Wirkung. Mein Gemüt hellt sich auf und mir ist eine wunderbare Freundschaft eingefallen, die ich im letzten Jahr neu geschlossen habe und auch sonst regt sich einiges Positive. Vielleicht ist es ja doch nur Erschöpfung(2) , die Rückseite einer vorherigen Überbeanspruchung und die Seele erholt sich so oder so.
Komm sing mir mal ein schönes Lied ……..
So eines, wo man sich so richtig gut nach fühlt …..,
Wem ein solches jetzt doch fehlt, der kann es sich von Franz Josef Degenhardt singen lassen: http://www.youtube.com/watch?v=bymGNWY_ghI
Wir machen jetzt erstmal Sommerpause. Im September sehen wir dann weiter.
Euer Bernd Schmid
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(1) Verzweifeln – eine professionelle Kompetenz – Bernd Schmid und Matthias Varga von Kibèd
(2) Über Entlastungsdepression siehe Stimmungsbalance
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