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Foto von Andrew Neel

Nach mehr als 35 Jahren Lehrtätigkeit in Gruppen beende ich in diesen Wochen diesen Teil meiner Berufstätigkeit. Im letzten November habe ich abschließend einen 3-tägigen Überblick über die ISB-Konzepte gegeben [1] und jetzt Ende Juni über „meine systemische Transaktionsanalyse“.

Transaktionsanalyse bestimmte einen wichtigen Teil meines professionellen Werdegangs und meiner persönlichen Geschichte. Um das Empfangene zu würdigen und um meine Beiträge zusammenzufassen, habe ich drei Tage lang vor einer Gruppe interessierter Menschen erzählen dürfen. Sie nahmen Anteil, ließen sich berühren.

Eric Berne entwickelte die TA aus Intuitions-Studien ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Da er auch Psychoanalytiker war, stellte er seine Ausführungen in diesen Zusammenhang. Hier nun eine amüsante Variante seiner Ausführungen mit etwas Übersetzung in unseren heutigen Sprachgebrauch:

Worauf gründet das (intuitive) Interesse der Menschen aneinander?

„Auf Kannibalismus!“ Wie bitte?! Da hört man innerlich vielleicht gleich Trommeln im Busch und ahnt Grausames. Allerdings: Dass Menschen dazu neigen, andere Menschen als Beutetiere für die Befriedigung ihrer Begierden zu betrachten, ist nicht zu übersehen. Nicht zufällig ist von „Raubtierkapitalismus“ die Rede. Sind solche Entartungen damit gemeint? Besser man stellt sich einen Säugling vor, der eben alles in den Mund steckt, sein erster Versuch, sich auf die Welt zu beziehen.

Dieses kannibalistische Grundinteresse am anderen soll sich entlang der psychosexuellen Entwicklungsphasen in den ersten Lebensjahren ausdifferenzieren in 1. orale Gier 2. anale Bemächtigung und 3. Voyeurismus und Exhibitionismus. Wie bitte?! Das klingt dann doch immer noch befremdlich und nicht jeder mag sich in diesen Beschreibungen gerne wiedererkennen. Hier braucht es wohl Übersetzung. Schon C.G. Jung hat vertreten, dass solche wesentlichen Beziehungsmuster nicht auf die sexuelle Ebene reduziert werden sollten. Das Prinzipielle daran sollte stattdessen erläutert und verstanden werden.

Fangen wir beim Kannibalismus an: Ich möchte an dem, was der andere Mensch ist, Anteil nehmen. Wird mir das schmecken? Wird mir das bekommen, werde ich mir davon etwas zu eigen machen können? Was kann ich aufnehmen, wie kann ich es mir mundgerecht machen, wie in verdauliche Happen zerkleinern? Essen als ein Archetypus des Einverleibens, aus Fremdem Eigenes machen. Nun, das kann man sich doch von gelungenen Begegnungen wünschen, z. B. in der Bildung oder?

„Orale Gier“ meint das Bedürfnis etwas zu bekommen, etwas in sich aufzunehmen zu genießen. Na klar, welcher Professionelle ist nicht an Verdienst, Anerkennung, Stärkung seines Selbstwertes in der Begegnung mit anderen interessiert? Naheliegend, dass man intuitiv Ausschau hält, was da bei der Begegnung mit anderen drin ist. „Anale Bemächtigung“: Nach Antonovsky gehört zu den wichtigsten Gesundheitsstärkenden Faktoren, dass man Selbstwirksamkeit erfährt. Man möchte doch gerne eine gewisse Kontrolle haben über Leistung und das, was man hervorbringt, über die willkürlichen und unwillkürlichen Prozesse dabei. Begegnungen, die mir das ermöglichen, tun gut.
„Exhibitionismus“: Da muss man nicht gleich an den Typen denken, der den Mantel aufreißt und sich an der Wirkung berauscht. Das geht auch gesitteter und in wechselseitiger Freiwilligkeit. Wer hat nicht das Bedürfnis, sich unverstellt, so wie er/sie ist, zu zeigen und bei anderen damit Beachtung und Interesse zu erregen? Wer möchte nicht Wohlgefallen ernten, wenn er sich in seinem Wesen offenbart, zugänglich macht, was mit Freude an sich selbst, aber auch mit Schamrisiko behaftet ist. „Voyeurismus“: Das Bedürfnis, an etwas sehr Intimem Anteilnehmen zu dürfen, etwas miterleben zu dürfen, was nicht für jeden bestimmt ist, sondern Vertrauen, Bereitschaft sich zu offenbaren voraussetzt. Das kann im erotischen Bereich sehr lustvoll sein. Doch wird auch Sterben als intimes und berührendes Geschehen beschrieben.

So übersetzt werden aus befremdlich erscheinenden Neigungen wertvolle Dimensionen von Begegnung, an denen wir verständlicherweise Interesse haben. Es handelt sich um Bedürfnisse, nach deren Befriedigung wir hoffentlich erfolgreich Ausschau halten. Begegnungen, in denen hier viel möglich ist, erregen uns, sind uns besonders wertvoll, nähren unsere Seele.
Und was hat das jetzt mit Intuition zu tun? Über Intuition orientieren wir uns blitzschnell und Handlungsentscheidend in der Welt. Damit wir frei sind, unsere Intuition in den Dienst anderer zu stellen, sagt Eric Berne, sollten wir unsere Bedürfnisse er- und anerkennen. Wir sollten offen damit umgehen und soweit möglich, ohne zu großen Mangel in die professionelle Begegnung gehen. Also Aufrichtigkeit und ein reiches Leben sind die beste Vorbeugung gegen Verirrungen.

Sicher ist damit nicht alles über Professionalität und Intuition gesagt . Doch kann man soweit nicht eigentlich zustimmen und jedem kultivierten Kannibalismus wünschen? Ich für meinen Teil gerne.

Ihr Bernd Schmid

[1] Als Audio oder DVD: http://www.auditorium-netzwerk.de/print_product_info.php?products_id=3147

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