Der Hauptgrund für unbefriedigende Leistungen bei internationalen Teams liegt darin, dass Unternehmen den Teambildungsprozess am Anfang vernachlässigen und die Aufwände für die Erhaltung des Teams so gering wie möglich halten. Ein wichtiges Thema ist die Führung: Ohne adäquate Führungsstrukturen bleiben die Mitglieder sich selbst überlassen, was zwangsläufig zum Einzelkämpfertum führt. Bei genauerem Hinsehen kristallisiert sich heraus, dass die persönlichen Erwartungen der Einzelnen nicht mit den Projektzielen übereinstimmen und die Führungskultur keine offene Kommunikation ermöglicht. Hinterfragt wird meist erst, wenn sich die Fehlschläge mit fortschreitender Zeit häufen.

pen near black lined paper and eyeglasses
Foto von Jess Bailey

Führung, Führung, Führung!

Gerade bei international zusammenarbeitenden Teams muss am Anfang viel in die Teambildung investiert werden. Die halbe Miete ist gewonnen, wenn genug Budget dafür eingeplant wird und die Aufwände für die Erhaltung des Teams in die Planung einfließen. Der Entwicklungsprozess des Teams muss bewusst gestaltet sein. Am Anfang geht es darum, gemeinsam verbindliche Grundlagen zu schaffen, die das Team bei der Bewältigung der meist anspruchsvollen Aufgaben stärkt. Die Erwartungen des Einzelnen an das Projekt müssen zu Beginn der Zusammenarbeit transparent sein, damit die Führung darauf aufbauen kann. Beispiel: Gerade in internationalen Teams spielen persönliche Ziele der Beteiligten eine große Rolle: Schnelle Karriere oder Kompetenzerweiterung durch interkulturelle Projekterfahrung sind nur wenige Beispiele. Die Erledigung der Projektaufgaben steht meist im Hintergrund.

In Punkto Führung geht es darum, eine Führungsstruktur zu schaffen, die über die Ländergrenzen hinweg funktioniert. Mit einem Organigramm ist es dabei nicht getan. Es gilt, die Verantwortlichkeiten und Befugnisse genau abzuklären und die Führungsmannschaft zu Beginn eng zusammen zu schweißen. Weit verbreitet ist die Mär, dass die Führungskräfte sich schon melden, wenn etwas nicht in Ordnung ist. In der Praxis ist das Gegenteil der Fall: Probleme werden vertuscht, besonders wenn sie eine politische Tragweite haben. „Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Führung und Erfolg“, so der Soziologe und Organisationsentwickler Michael Holzhauser, der seit 30 Jahren die Entwicklungsprozesse internationaler Teams begleitet. „Nur wenn die Führungskultur stimmt, kann der Mitarbeitende auf die Frage seines Vorgesetzten ‘Alles im grünen Bereich?’ offen antworten mit ‘Nein! Schon seit langem Gelb, wenn nicht sogar rot.’“

Die Führungskräfte brauchen ein starkes Bewusstsein für ihre Führungsrolle. Dafür stellen erfolgreiche Unternehmen ihren High-Potentials einen Coach zur Seite, mit dessen Hilfe sie sich in kurzer Zeit zu erfahrenen Leadern entwickeln können. Es muss allen Führungskräften muss es darum gehen, ein Gefühl von Dringlichkeit für die Sache zu schaffen, eine starke Führungskoalition zu etablieren, eine klare Vision und Strategie zu entwickeln und diese kontinuierlich zu kommunizieren. Mit diesem Führungsstil führte übrigens Jürgen Klinsmann die im Niedergang begriffene Deutsche Nationalmannschaft wieder an die Spitze des internationalen Fußballs.

Momente gemeinsamen Erlebens schaffen

Virtuelle Teamarbeit sollte – und das ist nur ein scheinbarer Widerspruch – durch persönliche Beziehungen getragen werden, und zwar von Beginn an. Aus Kostengründen verzichten viele Projektleiter darauf, Mitarbeitende anreisen zu lassen, um sie in das Team zu integrieren. Hilde B. (Name von der Redaktion geändert), IT-Projektleiterin aus Stuttgart, erzählt von einem ähnlichen Fall. Sie fragte ihren Teamleiter: „Warum lässt Du die Frau M. nicht herkommen? Sie ist doch hochgradig verunsichert. Ein Besuch in Deutschland würde Abhilfe schaffen, bei dem sie dich und das Team kennen lernen kann und eine Einführung in das Projekt erhält.“ Der Teamleiter hatte dafür jedoch kein Verständnis.

Wie kommt es dazu? Das technische Zeitalter scheint in vielen von uns ein Menschenbild erzeugt zu haben, das der Natur des Menschen nicht mehr gerecht wird. „Wir werden permanent aufgefordert, eine kritische Distanz aufzubauen. Diese Prozesse sind ja automatisiert. Das ist ja nichts, was von unserem denkenden Ich ständig ausgeht. Und die Menschen sind nicht glücklich damit. Viele Menschen leiden an ihrer starken Individualisierung“, konstatiert Hendrik Jungaberle vom Forschungsverbund Ritualdynamik der Uni Heidelberg in der SWR2 Wissen-Sendung „Die Kraft der Rituale“. Es wäre an der Zeit, dass auch Unternehmen sich auf die Bedeutung von Ritualen zurück besinnen, statt auf immer ausgefeiltere Kommunikationstechnologien zu setzen. Damit kann auf der Beziehungsebene Gemeinschaftsgeist erlebbar gemacht und gefestigt werden.

Oft äußern Teams von selbst den Wunsch nach Ritualen: Sei es, jeden Freitag gemeinsam zu frühstücken oder dass jeder eine Postkarte von einer Auslandsreise mitbringt. Diese Initiative eines Teams in einem weltweiten Beschaffungsprojekt trägt eine zusätzliche Symbolik: Alle Postkarten werden an einer zwei Meter großen Weltkarte an der Wand gesammelt. Je voller die Weltkarte wird, desto mehr erfreuen sich die Mitglieder an der Gesamtheit ihrer Projektfortschritte. Obwohl die strukturell bedingte Fluktuation im Team hoch war, hat es sich bis heute seine Stärke durch ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl bewahrt.

Es ist jedoch eine echte Herausforderung, einen solchen Effekt in großen virtuellen Teams zu erreichen. Schlüssel zum Erfolg sind beispielsweise jährliche Großgruppenveranstaltungen. Ganz wichtig dabei: das Top Management muss diesem wichtigen Anlass durch seine Anwesenheit die notwendige Gewichtung verleihen. Ziel der Veranstaltung sollte es sein, der weltweit verteilten Mannschaft Orientierung zu geben, damit der Einzelne sein tägliches Handeln im Sinne der Gesamtstrategie gestalten kann. Dazu gehört auch, im Sinne der Mitarbeitermotivation Erfolge zu honorieren und den persönliche Erfahrungs- und Wissensaustausch durch geschickte Settings anzuregen. Alexandra Abatzis, Leiterin von HR-Projekten bei Georg Fischer in Schaffhausen, setzt bei Großveranstaltungen auf Designs nach dem Muster eines World Cafés. Damit erreicht sie, dass trotz großer Teilnehmerzahl die Einzelnen untereinander neue Beziehungen aufbauen und in kurzer Zeit einen intensiven Erfahrungsaustausch machen können.

Neben diesen Großgruppenveranstaltungen sollte es weitere Gelegenheiten für Socializing geben, also beispielsweise Veranstaltungen wie Grillfeste oder Happy Hours, bei denen die Teammitglieder ungezwungen miteinander umgehen können und Zeit für den Austausch auf privater Ebene haben. Das Ergebnis ist ein nachhaltig intensivierter Informationsfluss im international verteilten Team.

Fazit

Die Erfahrung belegt, dass bei virtuellen Teams die Aufwände für Teamentwicklung, Zusammenarbeit und Kommunikation um einiges höher sind als bei klassischen. Die räumliche Trennung erzeugt neue Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Nur wer sich von Anfang an darüber bewusst ist, kann die nötigen Weichen stellen und unnötige Kosten durch schlechte Projektergebnisse vermeiden. Das bedeutet, eine starke Führungskoalition und gute persönliche Beziehungen zu etablieren, Rollen und Erwartungen zu klären und die Kommunikation als wesentliches Element der Projektplanung zu berücksichtigen. Erst an zweiter Stelle bringen moderne Kommunikationstechnologien den erhofften Nutzen: Via Chat, Video, Foren oder Online-Communities setzen die Teammitglieder in aller Welt ihre Kommunikation fort und tragen durch einen intensiven Wissensaustausch wesentlich zum Projekterfolg bei.