Problempunkt

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Foto von Luis Villasmil

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Kläger ist seit 1998 bei der Beklagten beschäftigt und gehört dem Betriebsrat an. Im Oktober 2010 veröffentlichte er unter seinem Namen einen Roman mit dem Titel „Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht!“. Diesen bot er im Unternehmen zum Verkauf an.

Die Beklagte wandte sich daraufhin an den Betriebsrat und beantragte, einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zuzustimmen. Das Buch beinhalte grobe Beleidigungen der Geschäftsführer sowie ausländerfeindliche und sexistische Äußerungen über diverse Beschäftigte. Entgegen den Behauptungen des Klägers seien die beschriebenen Personen nicht frei erfunden, sondern unschwer als real existierende Mitarbeiter der Beklagten zu identifizieren. Damit habe er das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verletzt sowie den Betriebsfrieden und den Arbeitsablauf gestört. Nachdem der Betriebsrat seine Zustimmung erteilt hatte, kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt.

Entscheidung

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB lässt sich das Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds nur aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beenden. Es müssen also Tatsachen vorliegen, wonach es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der – bei einem Betriebsratsmitglied fiktiven – Kündigungsfrist fortzusetzen. Ein solcher wichtiger Kündigungsgrund lag hier nicht vor. Die Beklagte warf dem Kläger vor, bestimmte Beschäftigte nicht – wie im „Normalfall“ – direkt, sondern durch Ausführungen in seinem Roman beleidigt zu haben.

Ein Roman unterliegt als Schriftwerk jedoch der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Trivialliteratur handelt. Die Kunstfreiheit findet ihre Grenze nur in anderen Grundrechten, z. B. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Danach ist jede Person vor rufschädigenden Äußerungen zu schützen.

Verletzungen von Persönlichkeitsrechten in Form von Beleidigungen konnte das LAG in dem Roman des Klägers allerdings nicht feststellen. Die Behauptung der Beklagten, die Romanfiguren seien unschwer als Geschäftsführer bzw. Mitarbeiter zu identifizieren, hat sie an keiner Stelle durch konkrete Tatsachen belegt. Aufgrund dessen ließ das LAG offen, ob die außerordentliche Kündigung des über zwölf Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses tatsächlich gerechtfertigt gewesen wäre, wenn der Kläger durch seinen Roman die Grenzen der Kunstfreiheit überschritten hätte.

Konsequenzen

Grobe Beleidigungen von Mitarbeitern oder des Arbeitgebers verstoßen gegen die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB. Sie sind wegen der damit verbundenen Störung des Betriebsfriedens grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Der Arbeitgeber hat jedoch eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Grundrechte des Arbeitnehmers, z. B. dessen Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 GG), vorzunehmen. Ein Roman fällt nach Rechtsprechung des BVerfG unter die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. In ihm veranschaulicht der Autor durch freie schöpferische Gestaltung Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse durch das Medium einer bestimmten Formensprache. Das gilt unabhängig von seinem Niveau. Dabei ist unerheblich, wenn der Roman häufig an die Wirklichkeit anknüpft.

Zur garantierten Kunstfreiheit zählt sowohl die eigentliche künstlerische Betätigung als auch die Möglichkeit, diese ungehindert zu präsentieren und zu verbreiten, z. B. in Form eines Buches. Die Kunstfreiheit findet ihre Grenzen in anderen Grundrechten, etwa im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Eine Persönlichkeitsverletzung durch Ausführungen in einem Roman kommt allerdings nur in Betracht, wenn die Person als Vorbild für eine Romanfigur für einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis identifizierbar ist. Da aber der Autor seine Ideen regelmäßig in realen Geschehensabläufen findet, muss sich für die mit den Umständen vertrauten Leser die Identifizierung geradezu aufdrängen. Voraussetzung ist daher eine große Dichte von Erkennungsmerkmalen.

Praxistipp

Ein Roman ist – anders als z. B. eine Reportage – zunächst einmal als Fiktion anzusehen. Diese Vermutung gilt selbst dann, wenn in den Romanfiguren reale Personen als Urbild zu erkennen sind. Je mehr sich der Autor in der Beschreibung seiner Romanfiguren vom Original löst, desto mehr unterliegt sein Werk der garantierten Kunstfreiheit. Will sich der Arbeitgeber von einem unliebsamen Mitarbeiter trennen, der Unternehmensanekdoten – als Roman getarnt – verbreitet, sollte er sehr detailliert schriftlich niederlegen, wieso die jeweilige „fiktive“ Romanfigur nur „die eine“ real existierende Person sein kann und keine andere. Dabei sind so viele (persönliche) Merkmale wie möglich miteinzubeziehen, z. B. Geschlecht, Alter, Nationalität, Frisur, Haarfarbe, Kleidung, Arbeitsplatz und individuelle Gewohnheiten. Bzgl. des Unternehmens können relevant sein dessen Sitz, die Größe und Struktur des Betriebs sowie die Unternehmenssituation.

Autorin: Kerstin Weingarten, Human-Resource-Managerin, Fachautorin, Kamen

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 5/12