three people sitting in front of table laughing together
Foto von Brooke Cagle
Keynote-Vortrag von Adjiedj Bakas
auf der Messe Zukunft Personal:
“Beyond the Crisis – The Future of Capitalism”

Donnerstag, 24. September 2009
9.30 – 10.30, Keynote-Forum

Im Anschluss: Public Interview
moderiert von
Connie Voigt, Chefredaktion HR Today
Herr Bakas, nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir schon einige Wirtschaftskrisen erlebt – aber keine so heftige. Was läuft dieses Mal anders?

In den 80er Jahren, als ich in den Arbeitmarkt einstieg, brach die Wirtschaft auch gerade ein. Damals nahm die Arbeitslosigkeit enorm zu. Das wird dieses Mal nicht so sein, denn mit dem demografischen Wandel haben es junge Menschen der Krise zum Trotz einfacher, einen Job zu finden. Ein wichtiger Unterschied ist dabei auch, dass in den 80er Jahren nur wenige Netzwerkmöglichkeiten vorhanden waren. Heute gibt es neben den persönlichen Kontakten soziale Netzwerke im Internet - wie Xing, LinkedIn oder Myspace -, die Jobsuchende beruflich nutzen können. Vor allem aber ist diese Krise in ihrer Heftigkeit ein Zeichen dafür, dass wir uns am Übergang von einer technologischen Ära in die nächste befinden.

Welche neuen Technologien meinen Sie?


Ich komme gerade erst aus China zurück. Dort können Sie die Entwicklungen sehr gut beobachten: Die Chinesen versuchen mit allen Mitteln unabhängig vom Öl zu werden. Sie investieren immense Summen in elektronische Autos und Fahrräder. Sie konzentrieren sich auf diese neuen Technologien, weil sie begriffen haben, dass nach der Krise diejenigen Länder, die immer noch auf Öl angewiesen sind, einen viel langsameren Aufstieg erleben werden. Deshalb zwingt die chinesische Regierung die Banken auch, weiterhin großzügig Kredite zu vergeben. Es lässt sich darüber streiten, ob China insgesamt etwas viel riskiert, aber der Weg ist der richtige. Das ist auch meine Botschaft an alle Unternehmen: Nutzen Sie diese zwei oder drei Jahre der Krise für neue Technologien, insbesondere solche, die ohne Öl auskommen.

Wie können Personalmanager das beeinflussen?


Sie sollten Strukturen schaffen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, extrem kreativ zu sein – und zwar allen Beschäftigten quer durch die Generationen. Die Personalentwicklung wird insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Veränderung stark an Bedeutung gewinnen, da neue Industrien wie die der Nanotechnologie, der Generika oder der neuen Energien viele Fachkräfte brauchen. Es geht dabei jedoch nicht nur um eine fachliche Qualifizierung, sondern auch um eine mentale. Die Mitarbeiter sollten lernen, immer einen Schritt voraus zu denken und zu überlegen, was der nächste Markt sein könnte. Das gilt natürlich genauso auch für die Personalmanager selbst.

Wie sollten entsprechende Strukturen aussehen?

Auf jeden Fall müssen Unternehmen noch flexibler werden, denn die Entwicklung geht hin zu einer „Arbeitswelt des Glücks“. Die raren Fachkräfte werden es sich leisten können, nicht mehr hauptsächlich des Geldes wegen zu arbeiten, sondern einfach weil es ihnen Spaß macht. Die Mitarbeiter werden wählen, ob sie 80 Stunden die Woche arbeiten möchten oder ob sie vielleicht mit 40 Stunden glücklicher sind. Auch um eine Familie zu gründen, ist es wichtig, die Arbeitszeit freier einteilen zu können. Viele Mitarbeiter werden nur noch teilweise im Büro sein und ansonsten von zu Hause arbeiten, wo sie sich gleichzeitig um die Kinder kümmern. Es sind dann auch ganz neue Arbeitsentwürfe denkbar – etwa dass ein Ingenieur drei Tage in einem Unternehmen arbeitet und zwei Tage an einer Universität unterrichtet. Und die Arbeitslosigkeit wird mit mehr Flexibilität tendenziell abnehmen, weil die Unternehmen dann nicht mehr so viel Angst haben müssen, dass sie Angestellte nur schwer entlassen können.

Welchen Einfluss wird der konjunkturbedingte Personalabbau auf die Entwicklung neuer Technologien haben?


Für einzelne Unternehmen, die neue Technologien entwickeln wollen, ist es immer ein Fehler, qualifiziertes Personal zu entlassen. Insgesamt mache ich mir aber keine Sorgen, dass das die Entwicklungen bremsen könnte. Das hatten wir ja auch in den 80er Jahren. Die kreativen Köpfe, die nach der Uni nicht direkt eine Beschäftigung in einer Firma hatten, gründeten damals ihre eigenen Unternehmen – wie Google und Apple zum Beispiel. So gleichen einzelne Entrepreneure den Mangel der großen Unternehmen aus.

Viele Experten fordern in der Krise mehr Werte in Management und Leadership. Was denken Sie darüber?

Für mein Buch “Beyond the Crisis” habe ich mit vielen Bankern gesprochen. Ewald Kist, der früher CEO der ING Bank war, sagte mir: „Ich habe viele Produkte abgesegnet und dafür unterschrieben, obwohl ich sie nicht verstand.“ Das ist natürlich etwas, das sich ändern muss. Der ganze Sektor war einfach auf riesige Profite ausgerichtet und ging dafür ein immer größeres Risiko ein. Für ihre Wagnisse wollten die Banker dann auch höhere Boni. Hinzu kam, dass viele Bankmitarbeiter regelmäßig Kokain und Speed konsumierten. Diese Drogen bewirken ein gesteigertes Selbstbewusstsein, das zu noch höherem Risiko verleitet. Alle, die an diesem Spiel beteiligt waren, wussten: Das kann nicht gut gehen.

Wäre es nicht eine Führungsaufgabe gewesen, die Banker zu stoppen?


Der Fehler lag ja schon darin, immer kompliziertere Produkte zu entwickeln, die keiner mehr verstand. Das machte sie eigentlich auch unkontrollierbar. Aber im Grunde hatte halt auch keiner ein Interesse daran, diesen Wahnsinn zu stoppen – weder die Banken selbst noch die Anleger. Uns allen ging es ja gut dabei, da wir phantastische Renditen bekamen. Aber deshalb tragen wir auch alle die Verantwortung. Viele Experten haben die Krise vorhergesehen – der Schweizer Marc Faber zum Beispiel oder Professor Nouriel Roubini. Auch ich habe die Finanzkrise vor zwei Jahren im Fernsehen vorhergesagt. Aber niemand wollte zuhören.

Können Personaler irgendwie dazu beitragen, solche Risiken zu minimieren?

Hierbei könnten Frauen eine interessante Rolle spielen. Gerade in der Finanzindustrie wird deutlich, dass Frauen weniger risikobereit sind. Als Investoren sind sie deshalb auf lange Sicht erfolgreicher. Hätten wir überhaupt eine Krise, wenn wir mehr Frauen in Managementpositionen gehabt hätten? Wahrscheinlich wäre sie zumindest langsamer oder schwächer aufgetreten. In neuen Industrien wie etwa der Biotechnologie brauchen sie auch Männer, die sehr risikobereit sind. Aber vielen Branchen würden mehr Frauen in Führungspositionen gut tun.

Beobachten Sie im Banksektor überhaupt ein Umdenken in punkto Risikobereitschaft?

Banken werden zukünftig noch sehr nervös werden, weil schon bald einige Billigbanken den Ton angeben. Das ist wie in den 80er Jahren mit den Fluglinien. Billige Airlines wie Easy Jet oder Ryan Air haben traditionelle Fluggesellschaften wie die Lufthansa oder Air France mit ihrer Preispolitik und mit einem größeren Online-Angebot dazu gezwungen, sich zu modernisieren. Das erleben wir jetzt im Bankgewerbe: Google, Microsoft, Yahoo, Apple oder Volkswagen – alle haben schon eine Banklizenz erworben. Und sie werden mit Sicherheit neue Online-Produkte auf den Markt bringen. Ich vermute, dass Bonussysteme da nur in Beraterkreisen für diese neuen Banken weiterleben werden, aber in einem sehr geringen Umfang.

Sie glauben also, dass wir immer erst umdenken, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht?

So sind wir Menschen nun mal. Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit? Da haben Sie doch immer erst ein paar Tage vor der Prüfung wirklich gelernt und nicht schon zwei Wochen vorher. Wir brauchen ein Gefühl der Dringlichkeit. Nur dann bringen wir wirklich gute Leistungen. Deshalb stimmt mich die Krise auch sehr optimistisch.

Interview: Stefanie Hornung