Arbeitsunfähigkeit von Mitarbeitenden – was tun?

Welche Rechte hat die Arbeitgeberin, wenn sie der Krankmeldung des Arbeitnehmers oder einem ärztlichen Zeugnis nicht traut? Wann sind Zweifel an einem Arztzeugnis vor allem angebracht? Muss die Arbeitgeberin sich mit der blossen Angabe in einem Arztzeugnis, es bestehe eine „100%ige Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit“, abspeisen lassen? Welche Ansprüche auf Information bestehen? Was kann die Arbeitgeberin tun, wenn kein Arbeitszeugnis eingereicht wird, wenn der Mitarbeitende trotz ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit bei körperlichen Aktivitäten gesehen wird?

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A. Zweifel an der angegebenen Arbeitsunfähigkeit

In vielen Fällen besteht kein Anlass, Krankmeldungen von Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern in Frage zu stellen. Manchmal aber bestehen Zweifel, ob der Mitarbeiter tatsächlich nicht einsatzfähig ist.

Zweifel an einem Arztzeugnis können etwa angebracht sein:

  • wenn der Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit mehrere Tage oder noch länger und ohne nachvollziehbare Gründe vor der Erstkonsultation liegt („rückwirkendes Arztzeugnis“),
  • wenn eine verlangte vertrauensärztliche Untersuchung oder die erforderliche Entbindung vom Arztgeheimnis verweigert wird
  • wenn der Verdacht besteht, dass damit Kündigungen, Bewährungsfristen u. a. ausgewichen wird,
  • wenn der Arzt häufig gewechselt wird
  • wenn die Umstände gesamthaft Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit wecken und der das Zeugnis ausstellende Arzt mit dem Arbeitnehmer befreundet, verwandt oder gut bekannt ist.

Was kann die Arbeitgeberin in solchen Fällen tun?

B. Recht auf weitere Informationen 

1. Nachfragen beim Arzt
In erster Linie kann die Arbeitgeberin zusätzliche Informationen einholen, etwa durch Fragen an die Arztperson. Gesundheitsdaten sind besonders schützenswerte Personendaten im Sinne von Art. 4 Abs. 5 des Datenschutzgesetzes (DSG; SR 235.1). Dies bedeutet, dass ihre Bearbeitung, das heisst auch die Einholung von Auskünften, der ausdrücklichen Einwilligung des Arbeitnehmers bedarf. Für Rückfragen der Arbeitgeberin an den Arzt bedarf es somit einer Entbindung der Arztperson vom Arztgeheimnis. Zudem darf die Arbeitgeberin nur nach Daten fragen, welche die Eignung des Arbeitnehmers für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind (Art. 328b OR). Andere Fragen sind unzulässig.

Liegt die Entbindung vom Arztgeheimnis vor, so darf die Arbeitgeberin vom Arzt oder von der Ärztin Auskünfte fordern, welche die Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers betreffen. Dazu gehören Dauer und Grad der Arbeitsunfähigkeit und bei Teilarbeitsunfähigkeit die Frage nach den Arbeiten, welche die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer noch ausführen kann. Um zu aussagekräftigen Antworten betreffend die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zu gelangen, sollte der Arztperson dessen Tätigkeit möglichst genau geschildert werden. Denkbar ist, dass lediglich die ursprüngliche Tätigkeit nicht mehr möglich ist, dem Arbeitnehmer aber eine zumutbare Ersatztätigkeit angeboten werden kann. Die Arztperson kann generell danach gefragt werden, welche Arbeiten der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht ausführen sollte und welche Arbeiten noch möglich sind. Bei Angabe einer Teilarbeitsfähigkeit im Sinne eine Prozentangabe kann Aufschluss verlangt werden über die Bedeutung der Arbeitsunfähigkeit für die Arbeitszeit: Heisst z.B. eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit, dass die Arbeitszeit verkürzt werden soll oder kann die betroffene Person lediglich eine 50%ige Leistung bei voller Arbeitszeit erbringen? Es darf auch nach früheren Gesundheitsschäden gefragt werden, aus denen ein arbeitsplatzrelevanter Rückfall zu erwarten ist, im Weiteren nach ansteckenden Krankheiten oder nach Suchtkrankheiten, welche die Arbeitsfähigkeit tangieren können.

Besonders, wenn der Arbeitsunfähigkeit Konfliktsituationen vorausgegangen sind, stellt sich die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit lediglich für eine bestimmte Stelle beziehungsweise im Hinblick auf bestimmte Personen attestiert wurde (sog. arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit). Auch danach darf gefragt werden. Im Gegensatz zu einer generell attestierten Arbeitsunfähigkeit gilt nach überwiegender Meinung die Sperrfrist bei der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit nicht und dem Mitarbeiter, der Mitarbeiterin kann bei lediglich arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit ohne Einhaltung der Sperrfrist (Art. 336c Abs. 1 lit. b OR) gekündigt werden. Zu beachten ist jedoch, dass diese besondere Form der Arbeitsunfähigkeit bewiesen sein muss. Zudem hat die Arbeitgeberin die Pflicht, für den Schutz der Persönlichkeit und der Gesundheit des Mitarbeitenden zu sorgen (Art. 328 OR). Sie muss daher vorgängig Massnahmen für die Schlichtung des Konfliktes getroffen haben (Aussprache, Mediation u.w.). Ansonsten läuft sie Gefahr, dass die Kündigung rechtsmissbräuchlich ist. Dies hätte eine Entschädigungszahlung zur Folge (Art. 336a OR).

2. Vertrauensärztliche Untersuchung
Ohne Entbindung vom Arztgeheimnis verbleibt der Arbeitgeberin lediglich die Möglichkeit, eine vertrauensärztliche Untersuchung zu verlangen. Diese kann aber auch ergänzend zu Auskünften des behandelnden Arztes angeordnet werden. Diese Informationen durch einen in der Regel von der Arbeitgeberin bestimmten Vertrauensarzt bilden das Gegengewicht zu den Aussagen des Arztes des Arbeitnehmers.

C. Was tun bei Nichteinreichen der Arztzeugnisse?

Der Arbeitnehmer ist für die Krankheit beweispflichtig, und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber nicht ausdrücklich ein Arztzeugnis verlangt hat oder wenn dies nicht ausdrücklich im Gesamtarbeits- oder Einzelvertrag festgelegt ist. Das Arztzeugnis ist aber nicht das einzige Mittel, wie die Krankheit nachgewiesen werden kann. Wenn jemand beispielsweise beim Skifahren stürzt und dies sowie die Verletzung, welche den Schluss auf die Arbeitsunfähigkeit erlaubt, dokumentiert ist, so dürfte die Arbeitsunfähigkeit damit genügend belegt sein. Es ist somit immer zu prüfen, ob der Arbeitnehmer ohne Arztzeugnis den Beweis für seine Krankheit erbringen kann.

Weigert sich der Arbeitnehmer trotz Aufforderung, ein Arbeitszeugnis einzureichen, so kann eine vertrauensärztliche Untersuchung angeordnet werden. Möglich ist auch die Einstellung der Lohnzahlung unter Aufforderung, zur Arbeit zu erscheinen. Wird nachträglich allerdings der Beweis erbracht, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig war, muss der Lohn nachbezahlt werden.

Weigert sich der Arbeitnehmer trotz Aufforderung, ein Arbeitszeugnis einzureichen und sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, so kann dies die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung begründen. Eine gerechtfertigte fristlose Kündigung darf auch innert der Sperrfrist des Art. 336c OR erfolgen.

D. Arbeitsleistung trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit

Nicht selten ist der Fall, in welchem ein Arbeitnehmer, welcher zu 100 % krankgeschrieben ist, bei Sport, Arbeit oder anderen körperlichen Aktivitäten beobachtet wird.

Das Arztzeugnis ist regelmässig das üblichste, aber nicht das einzige Beweismittel. Das Arztzeugnis ist auch nicht in allen Fällen massgebend. So kann ein Arztzeugnis durch das Verhalten des Arbeitnehmers widerlegt oder jedenfalls dessen Beweiswert entkräftet werden. Der Arbeitnehmer muss sodann den vollen Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit erbringen.

Eine erfolgreiche Infragestellung des Arztzeugnisses setzt voraus, dass die vom Arbeitnehmer trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit ausgeübten Tätigkeiten tatsächlich denjenigen entsprechen, für welche der Arbeitnehmer krankgeschrieben wurde. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Chauffeur wegen Rückenschmerzen arbeitsunfähig erachtet wurde, effektiv jedoch lange Lastwagenfahrten unternimmt, oder wenn ein Patient wegen eines Knieleidens arbeitsunfähig geschrieben ist, in der Krankheitszeit aber das Dach seines Hauses ausgebessert hat. Wird der Arbeitnehmer indes bloss etwa auf einem Spaziergang angetroffen, so muss dies nicht unbedingt bedeuten, dass er nicht krank ist, vor allem nicht bei einer psychischen Krankheit. Das gegenteilige Verhalten des Arbeitnehmers muss die Arbeitgeberin beweisen können.

Eine fristlose Kündigung infolge solcher Umstände ist nur in bestimmten, eindeutigen Fällen angebracht, wenn infolge der Verfehlung nach den gesamten Umständen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar erscheint. Bei weniger schweren Pflichtverletzungen muss der Arbeitnehmer vorher verwarnt werden. Um das Risiko einer ungerechtfertigten Kündigung zu vermeiden, sollte die Sachlage mit Vorteil genügend abgeklärt und der Arbeitnehmer zur Stellungnahme oder zur Arbeitsaufnahme aufgefordert werden.

E. Zusammenfassend stehen der Arbeitgeberin bei Arbeitsunfähigkeit von Mitarbeitenden namentlich folgende Vorgehensmöglichkeiten offen:

1) Sie kann Nachfragen beim Arzt tätigen. Dafür muss der Arbeitnehmer die Arztperson vom Arztgeheimnis entbinden.

2) Die Arbeitgeberin kann weiter eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen. Diese darf dem Arbeitnehmer in der Regel zugemutet werden. Die Wahl des Vertrauensarztes steht regelmässig der Arbeitgeberin zu. Auch hier gilt die Schranke von Art. 328b OR. Der Arbeitgeberin dürfen somit nur Informationen preisgegeben werden, welche für die Durchführung des Arbeitsvertrages notwendig sind.

3) Steht nicht die Krankheit an sich, sondern die Frage im Vordergrund, ob der Arbeitnehmer alle Möglichkeiten zur Genesung oder Arbeitsfähigkeit ausschöpft, kann möglicherweise eine Fallbegleitung (case management) von Nutzen sein, wie sie etwa im Rahmen der Versicherungsbestimmungen durchgeführt werden. Die Arbeitgeberin kann sich erkundigen, ob diese durchgeführt wird. Bei gegebenen Voraussetzungen kann die Arbeitgeberin den Mitarbeitenden der IV melden (Früherfassung, frühestens nach 30 Tagen ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit oder wiederholten Kurzabsenzen).

4) Kommt die Arbeitgeberin zum Schluss, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, kann sie die Einstellung der Lohnfortzahlung ankündigen, verbunden mit der Aufforderung, die Arbeit aufzunehmen.

5) In gewissen Fällen ist letztlich die Kündigung zulässig: Kann der Arbeitnehmer den Beweis für die geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit nicht erbringen, sei es, dass er kein Arbeitszeugnis einreicht, sei es, dass dieses entkräftet wurde, kann dem Mitarbeiter gekündigt werden. Weil der nicht erbrachte Beweis zur Folge hat, dass vom Nichtbestehen einer Krankheit ausgegangen wird, kann die Kündigung während der Sperrfrist erfolgen. Die Arbeitgeberin trägt aber das Risiko, dass die Kündigung nichtig ist, wenn das Gericht zum Schluss kommt, der Arbeitnehmer sei doch arbeitsunfähig gewesen. Die Kündigung sollte daher vorsorglich nach Ablauf der Frist wiederholt werden. Bei beharrlicher Weigerung des Arbeitnehmers, seinen Pflichten bei Erkrankung nachzukommen, insbesondere ein Arztzeugnis einzureichen oder sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, kann dem Arbeitnehmer ungeachtet einer möglicherweise laufenden Sperrfrist fristlos gekündigt werden, wenn in Anbetracht sämtlicher Umstände die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.