Voraussetzungen für Anfechtung des Arbeitsvertrages bei Täuschung im Bewerbungsgespräch

black floor lamp on living room sofa
Foto von Toa Heftiba

Beantwortet ein Bewerber eine zulässige Frage im Bewerbungsgespräch falsch, kann dies den Arbeitgeber berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrages ursächlich war. Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber in der Klageerwiderung erklärt, er hätte den Arbeitnehmer unabhängig von der Antwort auf die Frage (hier: nach einer etwaigen Schwerbehinderung) eingestellt.

BAG 07.07.2011 – 2 AZR 396/10

Urlaubsabgeltungsanspruch langzeiterkrankter Arbeitnehmer kann auf 18 Monate beschränkt werden

Die mit der Rechtssache „Schulte“ befasste Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat darauf hingewiesen, dass nach der „Schultz-Hoff“-Entscheidung des EuGH Arbeitnehmer zwar auch bei jahrelanger Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung haben. Daraus folgt aber nicht, dass eine zeitlich unbegrenzte Ansammlung von Urlaubs- bzw. Vergütungsansprüchen unionsrechtlich geboten sei. Vielmehr können Arbeitgeber den Übertragungszeitraum – in Anlehnung an das Übereinkommen Nr. 132 der IAO – auf 18 Monate beschränken.

EuGH 07.07.2011 – C-214/10 „Schulte“

Arbeitnehmer können tarifliche Ansprüche auch durch Gewerkschaftsbeitritt während der Nachbindung sichern

Auch wenn ein Arbeitgeber nach seinem Austritt aus dem Arbeitgeberverband nur noch im Wege der Nachbindung an die Tarifverträge gebunden ist, kann ein Arbeitnehmer in die tarifschließende Gewerkschaft eintreten und so noch die Anwendung der tariflichen Regelungen auf sein Arbeitsverhältnis erreichen. Die Tarifgebundenheit hält solange an, bis die jeweiligen Tarifverträge enden. Nachteiligere vertragliche Regelungen, die vor dem Eintritt in die Gewerkschaft vereinbart worden sind, werden durch die normative Wirkung der Tarifverträge verdrängt.

BAG 06.07.2011 – 4 AZR 424/09

Anspruch auf Entschädigung bei geschlechtsspezifischer Benachteiligung durch Beförderungsentscheidung

Besetzt der Arbeitgeber eine Führungsposition mit einem männlichen Bewerber anstatt mit einer schwangeren Bewerberin, kann eine geschlechtsspezifische Benachteiligung vorliegen. Der Arbeitgeber hat eine Entschädigung zu zahlen, wenn er bestehende Indizien für eine Benachteiligung nicht widerlegen kann. Von einem derartigen Indiz ist etwa dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber die Absage mit der Bemerkung kommentiert, dass sich die Arbeitnehmerin auf ihr Kind freuen solle.

LAG Berlin-Brandenburg 28.06.2011 – 3 Sa 917/11

Abmahnung nach verweigertem Deutschkursbesuch verstößt nicht gegen AGG

Fordert der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer zum Besuch eines Deutschkurses auf, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse zu erlangen, stellt dies keine nach dem AGG unzulässige Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft dar. Der Arbeitgeber darf also den Arbeitnehmer im Fall der Weigerung abmahnen, Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer den Deutschkurs außerhalb seiner Arbeitszeit absolvieren und selbst bezahlen soll.

BAG 22.06.2011 – 8 AZR 48/10

Unfall bei Rufbereitschaft – Einstandspflicht des Arbeitgebers für Schaden am arbeitnehmereigenen Pkw

Verunglückt ein Arbeitnehmer innerhalb der Rufbereitschaft bei der Fahrt zur Arbeitsstätte mit seinem privaten Pkw, muss ihm der Arbeitgeber grundsätzlich den am Pkw entstandenen Schaden ersetzen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, dass der Arbeitnehmer sein eigenes Fahrzeug benutzt. Die Höhe des Ersatzanspruches bestimmt sich nach den im Arbeitsrecht geltenden Grundsätzen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich.

BAG 22.06.2011 – 8 AZR 102/10

Festlegung einer durchschnittlichen Stundenzahl pro Monat kann unwirksam sein

Sieht die Arbeitszeitregelung in einem Formulararbeitsvertrag eine durchschnittliche Stundenzahl pro Monat vor, muss der Arbeitgeber auch angeben, innerhalb welchen Zeitraums er den Arbeitnehmer in diesem Umfang beschäftigt. Andernfalls ist die Regelung wegen Intransparenz unwirksam, da der Arbeitnehmer über den Umfang seiner Beschäftigung im Unklaren bleibt.

BAG 21.06.2011 – 9 ARZ 236/10

Vor Kündigungsausspruch keine Anhörung des Entleiherbetriebsrates erforderlich

Grundsätzlich ist der Betriebsrat nach § 102 BetrVG vor jeder Kündigung anzuhören. Dies gilt auch dann, wenn die Betriebsratswahl angefochten wurde und später für ungültig – nicht aber für nichtig – erklärt wird. Bei einer Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG oder einem gleichartigen Fall der Personalgestellung muss vor einer Kündigung allerdings lediglich der Betriebsrat des Vertragsarbeitgebers (Verleihers) und nicht der des Einsatzbetriebes angehört werden.

BAG 09.06.2011 – 6 AZR 132/10

Fristlose verhaltensbedingte Kündigung auch bei Schuldunfähigkeit des Arbeitnehmers möglich

Eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung setzt zwar grundsätzlich ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers voraus. Ausnahmsweise kann aber eine fristlose Kündigung auch bei schuldunfähigen Arbeitnehmern in Betracht kommen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein manisch-depressiver Arbeitnehmer durch sexuell gefärbte grobe Beleidigungen eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens verursacht.

LAG Schleswig-Holstein 09.06.2011 – 5 Sa 509/10

Kündigungsübergabe an Ehepartner außerhalb der Wohnung möglich

Eine Kündigung geht dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch dann zu, wenn der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben dessen Ehepartner übergibt, da dieser Empfangsbote des Arbeitnehmers sein kann. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber das Schreiben außerhalb der Wohnung übergibt. Maßgebend für den Zugang ist lediglich, ob und wann unter normalen Umständen mit der Weitergabe des Schreibens an den Arbeitnehmer zu rechnen ist.

BAG 09.06.2011 – 6 AZR 687/09

Empfänger einer Erwerbsminderungsrente dürfen von Sozialplanabfindung ausgeschlossen werden

Arbeitgeber und Betriebsrat können in einem Sozialplan wirksam vereinbaren, dass Arbeitnehmer, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen und auf absehbare Zeit ihre Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangen werden, keine Sozialplanabfindung erhalten. Hierin liegt keine unzulässige Benachteiligung der erwerbsgeminderten Arbeitnehmer wegen ihrer Behinderung, da sie sich nicht in einer mit den vom Sozialplan begünstigten Arbeitnehmern vergleichbaren Lage befinden.

BAG 07.06.2011 – 1 AZR 34/10

Arbeitgeber darf bei Anhörung zur Verdachtskündigung entlastende Umstände nicht verschweigen

Arbeitgeber dürfen der Mitarbeitervertretung bei der Anhörung zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung mildernde und damit den Arbeitnehmer entlastende Umstände nicht verschweigen. Hierzu gehört auch der Umstand, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach Kenntnis eines Teils der zur Kündigung führenden Umstände zunächst fortgesetzt hat. Dies ist bei einer späteren Kündigung zumindest bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

ArbG Düsseldorf 11.05.2011 – 14 Ca 8029/10

Kündigung aufgrund rücksichtsloser Durchsetzung der eigenen Interessen bei Kollegen-Streit möglich

Wer bei einem Streit mit einem Kollegen vor Kunden ohne hinreichenden Anlass die Polizei ruft und zugleich seinen Arbeitgeber beschimpft, muss auch bei langer Beschäftigungsdauer mit einer außerordentlichen Kündigung rechnen. Ein derartiges Verhalten birgt die Gefahr, dass der Arbeitnehmer bei nächster Gelegenheit erneut rücksichtslos seine vermeintlich berechtigten Interessen öffentlich verfolgt.

LAG Berlin-Brandenburg 06.05.2011 – 6 Sa 2558/10

Anforderungen an Betriebsratsanhörung bei Probezeitkündigung

Die bloße Mitteilung des Arbeitgebers an den Betriebsrat, dass er das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit beenden möchte, stellt keine ordnungsgemäße Anhörung im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG dar. Dem Betriebsrat ist mitzuteilen, was zum Kündigungsentschluss geführt hat.

LAG Hessen 14.03.2011 – 16 Sa 1477/11

Kündigung wegen qualitativer Minderleistung setzt aussagekräftigen Vergleichszeitraum voraus

Eine ordentliche Kündigung wegen qualitativer Minderleistung setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber die „Durchschnittsleistung“ vergleichbarer Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum dargestellt, um festzustellen, ob die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit beim gekündigten Arbeitnehmer über längere Zeit hinweg erheblich überschritten wird. Liegt eine solche Überschreitung vor, kann dies je nach Fehlerzahl, Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht vorwerfbar verletzt.

LAG München 03.03.2011 – 3 Sa 764/10

Innerbetriebliche Ausschreibung bei Einsatz von Leiharbeitnehmern

Der Betriebsrat kann die Ausschreibung von Arbeitsplätzen verlangen, die vom Arbeitgeber dauerhaft für die Besetzung mit Leiharbeitnehmern vorgesehen sind. § 93 BetrVG soll es dem Betriebsrat im Interesse der von ihm vertretenen Belegschaft ermöglichen, durch die Bekanntmachung der freien Beschäftigungsmöglichkeiten den innerbetrieblichen Arbeitsmarkt zu aktivieren und die Besetzung von im Betrieb vorhandenen Arbeitsplätzen transparent auszugestalten. Für diesen Regelungszweck ist es ohne Bedeutung, ob der Arbeitgeber mit dem einzustellenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag verbunden ist oder die Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer erfolgt. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung einer innerbetrieblichen Stellenausschreibung ist allein von der Äußerung eines entsprechenden Verlangens durch den Betriebsrat abhängig.

BAG 01.02.2011 – 1 ABR 79/09

Keine Verrechnung von Minusstunden mit restlicher Vergütung

Ruft der Arbeitgeber aufgrund eines geltenden Tarifvertrages die Arbeitszeit flexibel ab, ohne zuvor die Verteilung der Jahresarbeitszeit wirksam bekannt gegeben zu haben, kann er die geleistete Vergütung nicht als Vorschuss mit späteren Minusstunden verrechnen.

BAG 26.01.2011 – 5 AZR 819/09

Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers bei Überstunden

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch auf Auskunft über den Inhalt der beim Arbeitgeber geführten Stundenlisten, um eine Zahlungsklage beziffern zu können. Er kann die Auskunft und den daraus resultierenden Zahlungsanspruch mithilfe einer Stufenklage verfolgen.

LAG Schleswig-Holstein 20.01.2011 – 4 Sa 494/10