Wirtschaftseldorado Russland

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Foto von Austin Distel

Der Umgang mit russischen Kollegen oder Geschäftspartnern gehört in vielen österreichischen Unternehmen bereits zum Alltag. Schon jetzt sind nach Schätzungen der Wirtschaftskammer Österreich und 400 heimische Firmen in Russland vertreten – mit einer Repräsentanz oder einer eigenen Tochtergesellschaft. Viele Unternehmen unterhalten rege Geschäfte mit Partnern in Moskau oder Sankt Petersburg. Allein in den vergangenen drei Jahren haben sich die österreichischen Exporte in Richtung Russland verdoppelt. Kein Wunder: Nach der Finanzkrise des Jahres 1998 erlebte die Russische Förderation einen wirtschaftlichen Aufschwung – und entwickelte sich zu einem verlässlichen und attraktiven Handelspartner für ausländische Firmen. Weitere Exportsteigerungen sind also nicht nur denkbar, sondern auch kalkulierbar.

Kulturelle Unterschiede

Diese positive Entwicklung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele westliche Unternehmen nach wie vor in Russland scheitern. Fehlende Marktkenntnisse und ein mangelndes Verständnis der russischen Kultur sind die Hauptgründe dafür, dass sich Firmen nach einem vergeblichen Expansionsversuch aus dem Land zurückziehen.

Kulturelle Missverständnisse führen schnell zu Konflikten – und können im schlimmsten Fall ganze Geschäftsprojekte ins Aus manövrieren. Ein Beispiel für solche kulturellen Eigenarten gibt Richard D. Lewis in seinem Buch „When Cultures Collide“. Darin kategorisiert der Autor Österreich im Verbund mit Deutschland, Schweiz, Skandinavien und den USA an oberster Stelle als linearaktive Kultur. Menschen, die in einer linearaktiven Kultur sozialisiert wurden, neigen dazu, jeden einzelnen Schritt methodisch zu planen und eine Aufgabe nach der nächsten zu erledigen. Im Gegensatz dazu arbeiten Russen eher multiaktiv. Das heißt, sie erledigen verschiedene Aufgaben gleichzeitig und planen selten Details im Voraus. Russische Geschäftspartner konzentrieren sich eher auf das „große Ganze“, das gemeinsame Interesse und den eigentlichen Kern des Geschäfts. Die konkrete Abfolge der Schritte zum Ziel interessiert sie dagegen weniger. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen russischer und österreichischer Geschäftspartner kollidieren häufig in der konkreten Projektarbeit, zum Beispiel dann, wenn es um Terminplanungen geht. Ein Fehler wäre es jedoch, auf das multiaktive Denken russischer Prägung herabzusehen. Denn wer sagt, welcher Weg der richtige ist? Im internationalen Vergleich sind die multiaktiven Kulturen deutlich in der Mehrheit. Bildlich gesprochen treibt eine kleine linearaktive Insel auf dem überwiegend multiaktiven globalen Kulturozean. Daher ist es ratsam, die eigene kulturelle Prägung nicht zu verallgemeinern.

Der menschliche Manager zählt

Gleiches gilt für die überwiegend kulturell geprägte Einstellung zur Beziehungs- und Sachebene. Viele westlich geprägte Manager machen in Russland die Erfahrung, dass sie trotz ihrer guten Vorbereitung, der klaren Strategie und der überzeugenden Argumente nicht weiterkommen. Der Grund: Sie unterschätzen die emotionale Ebene der geschäftlichen Beziehungen. Wer in Russland eine persönliche Beziehung zu Kollegen, Mitarbeitern und Geschäftspartnern aufbaut, kommt weiter – und kann viele potenzielle Konflikte schon im Vorfeld vermeiden. Ganz praktisch heißt das: Zeigen Sie sich von Ihrer menschlichen Seite, feiern Sie die Feste mit, wie sie fallen, und eignen Sie sich ein paar russische Sprachkenntnisse an. Die Sprache öffnet und ebnet den Weg zu den russischen Kollegen und Partnern. Gerade die symbolische Geste des – wenn auch Russisch radebrechenden – westlichen Managers macht ihn sympathisch für seine Gesprächspartner.

Mitarbeiter führen

Russland hat starke patriarchalische Wurzeln. Daher ist das Hierarchiedenken fester Bestandteil der Kultur. Führungskräfte, die in Russland arbeiten, sollten daher die lokalen Hierarchien einhalten und ihre Position klar herausstellen, damit die russischen Mitarbeiter wissen, woran sie sind. Wer führen will, ohne den passenden formalen Status zu besitzen, verliert bei russischen Mitarbeitern schnell an Glaubwürdigkeit. Lernen Sie aus den Fehlern vieler Vorgänger und lassen Sie sich im Zweifelsfall vom österreichischen Mutterhaus einen größeren und fl exibleren Handlungsspielraum genehmigen.

Ein weiterer Tipp: Vergessen Sie – zumindest für den Anfang – Begriffe wie Delegationsprinzip, eigenverantwortliches Arbeiten, Selbstevaluation oder Feedbackrunden – und setzen Sie stattdessen auf Anweisungen und Kontrollen. Geben Sie Verantwortung nur schrittweise an vertrauenswürdige und zuverlässige russische Mitarbeiter ab. Selbstverständlich können Sie westliche Management- Instrumente auch in Russland einführen, aber das erfordert einen langen Atem. Außerdem stellt sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Projekts. Statt von Anfang an viel Zeit und Energie auf den (nur aus westlicher Sicht erforderlichen) Umdenkprozess zu verschwenden, sind Führungskräfte in Russland erfolgreicher, wenn sie die vorhandenen Netzwerke und Beziehungsgeflechte nutzen und das Geschäft auf russische Manier aufbauen. Das ist sinnvolles Zeitmanagement im russischen Sinne.

Wie offen russische Mitarbeiter und Kollegen für westliche Ideen sind, hängt auch von der geographischen Lage der Wirkungsstätte ab. Während die Zentren um Moskau und Petersburg schon mit vielen internationalen Firmen in langjährigem Kontakt stehen und den westlichen Geschäftshabitus kennen, können Führungskräfte im weiten Hinterland nicht damit rechnen, dass ihre Mitarbeiter ähnliche Erfahrungen mitbringen. Dafür ist das Lohngefälle außerhalb der russischen Metropolen für Unternehmen lukrativer – und die Fluktuation der Mitarbeiter vergleichsweise gering.

Russische Mitarbeiter finden und binden

Qualifizierte und gute Mitarbeiter finden Unternehmen am besten über Personalagenturen, persönliche Kontakte, Headhunter und Auslandsvertretungen der Wirtschaft. Personalagenturen können, müssen aber nicht immer, einen guten Job machen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, die Agenturen sorgfältig und vor allem regelmäßig zu kontrollieren. Bleiben die Ergebnisse aus, sollten sie den Anbieter wechseln. Während es in den Großstädten zum Teil ein erhebliches Arbeitskräftedefi zit gibt, stehen die Chancen qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu finden, fernab der Metropolen wesentlich günstiger. Bisher setzten große Unternehmen in Sachen Mitarbeiterbindung vor allem auf westlich geprägte Bonussysteme, Aufstiegs- und Fortbildungsmöglichkeiten sowie auf Statussymbole, um die Motivation hoch zu halten. Viele Erfahrungsberichte ausländischer Firmen belegen allerdings, dass die Mitarbeiterfluktuation trotz dieser Instrumentarien in Russland sehr hoch ist. Die Bereitschaft der Mitarbeiter, für ein höheres Gehalt den Job zu wechseln, ist vor allem in den städtischen Zentren enorm hoch. Der Wettbewerb um die Fachkräfte lässt die Löhne und Gehälter für bestimmte Positionen geradezu in die Höhe schnellen. Nach einer aktuellen Kienbaum-Studie stiegen die Bezüge der russischen Arbeitnehmer zwischen 2006 und 2007 um durchschnittlich 11,6 Prozent. Der Schwerpunkt der Kienbaum- Erhebung lag auf dem Großraum Moskau, in dem ein Großteil der 68 befragten Unternehmen ansässig ist. Weiter draußen, fernab der großen Städte können die Mitarbeiter derartige Gehaltssprünge nicht erzielen. Doch in den Metropolen zählt das schnelle Geld, der rasche Aufstieg, der durch Statussymbole klar erkennbare Erfolg. Dies sollten Firmen ohne Scheuklappen berücksichtigen, wenn sie die entsprechenden Spielräume haben.

Fluktuation

Jeder Mitarbeiterwechsel verursacht Kosten. Diese Ausgaben können Unternehmen reduzieren – zum Beispiel, indem sie die Beschäftigten vertraglich verpflichten, Ausbildungskosten zurückzuzahlen, wenn sie das Unternehmen verlassen. Solche Klauseln sind jedoch meist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Viel wichtiger ist es, den Wissensverlust einzudämmen, den eine hohe Fluktuation mit sich bringt und die Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass Mitarbeiter relativ kurzfristig ersetzt werden können.

Langfristig binden lassen sich russische Mitarbeiter am ehesten über patriarchalische Strukturen, gegen die sich viele westeuropäische Firmen wehren. In diesen Strukturen sorgt der Chef wie ein guter und strenger Vater für seine Untergebenen. Er ist der Patriarch, der schaltet und waltet, wie es ihm gefällt, aber auch soziale Verantwortung übernimmt. Er greift zum Beispiel einem Mitarbeiter unter die Arme, wenn dessen Kind krank wird und einen guten Arzt braucht, der viel Geld kostet. Natürlich kollidiert ein solches Verhalten zwangsläufig mit westlichen Strukturen.

Die Matrixfalle

Patriarchalisches und hierarchisches Denken ist in russischen Unternehmen stark verankert. Überspringt das österreichische Unternehmen – geleitet von seiner über Jahre oder gar Jahrzehnte entstandenen Matrix-Organisation – entsprechende Hierarchien in Russland, ist den einzelnen Akteuren oft nicht klar, welchen Fauxpas sie begehen. Doch meist gibt es eine Reihe von stillen Signalen: Die österreichischen Manager hören nichts mehr aus Russland, die Beteiligten dort scheinen auf Tauchstation gegangen zu sein. Oder: Sie machen zwar den Eindruck, aufmerksam zuzuhören, wenn die österreichischen Kollegen vor Ort sind, doch kaum verlassen diese das Land, scheinen die Russen kein Wort von dem verstanden zu haben, was ihnen tagelang erläutert wurde. Sie halten Vorgaben nicht ein, bringen das Projekt nicht voran und Vieles bleibt auf der Strecke.

Häufig kommt das westliche Management- Team viel zu spät auf die Idee, das Problem könnte unter Umständen hausgemacht sein. Dabei hätte meistens viel früher klar werden können, dass hier eins zu eins versucht wurde, österreichische Geschäftsvorstellungen schablonengleich auf den russischen Markt zu übertragen. Doch anstatt über die Schablone nachzudenken und ihren Wert für den russischen Markt zu hinterfragen, kommen viele Unternehmen nur zu dem Schluss, dass die Russen einfach nicht in diese Schablone hineinpassen wollen.

Zielführender ist es, sich den Geschäftspartnern anzunähern – zum Beispiel mithilfe der folgenden Fragen: Welche Erfahrungen haben andere Firmen vor Ort gemacht? Welche Instrumente, die in Österreich funktionieren, stoßen in Russland auf taube Ohren? Warum funktionieren diese Instrumente dort nicht? Und: Welche Strukturen und Prozesse müssen wir in Russland akzeptieren oder einführen, um die Matrixfalle zu vermeiden? Mit anderen Worten: Welche Rahmenbedingungen muss die oberste Führungsebene schaffen und mittragen, damit ein fruchtbares Arbeitsklima zwischen Österreichern und Russen entsteht? Wenn ein Unternehmen sich diesen grundlegenden Managementfragen nicht stellen will, bevor es nach Russland expandiert, sollte es die Hände von diesem Geschäft lassen. Argumente wie „In Ungarn und Polen funktioniert unsere Matrix doch auch, warum also nicht in Russland?“ sind gelinde gesagt naiv. Wer argumentiert, dass er seit zwanzig Jahren und mehr mit seiner Matrix erfolgreich ist, der sollte bitte nicht nach Russland gehen.

Drei Fragen zum Projektmanagement in Russland

Wer genau leitet das Team?

Transparenz bei der Zuständigkeit ist das A und O für jeden Projektmitarbeiter. Es wirkt verunsichernd auf russische Mitarbeiter,

a) wenn sie unterschiedliche Ansprechpartner im österreichischen Mutterhaus haben

b) wenn unterschiedliche Mitarbeiter persönlich in Russland erscheinen oder telefonisch beziehungsweise per Mail Fragen zum Projekt stellen

c) wenn die Projektverantwortlichen sich kaum persönlich zeigen

d) wenn ständige Feedbackrunden das Procedere prägen und keine klare Ansage von oben kommt.

Wer genau arbeitet im Projekt mit?

Wenn Sie binationale oder multinationale Projekte führen, sollten Sie sich Ihre Formulierungen in E-Mails sehr genau überlegen: Was heißt beispielsweise, „Wir erwarten umgehend eine Reaktion“? „Umgehend“ heißt für die österreichischen Teammitglieder womöglich „in den nächsten Stunden“ oder „noch heute“. Für die Russen, Inder oder Chinesen kann umgehend heißen, „sobald mein Vorgesetzter meine Ergebnisse abgesegnet hat“ oder „sobald ich wieder im Büro sitze und Zeit dafür habe“. Die Interpretationsspanne ist sehr weit. Nennen Sie daher lieber konkrete Termine und sorgen Sie dafür, dass Ihre Wunsch-Termine weit hinter den eigentlichen Fertigungsterminen liegen, damit Sie genug Zeit haben, Engpässe aufzufangen.

Was ist der zeitliche Rahmen?

Für den zeitlichen Ablauf des Projekts sollten Sie unbedingt neben einem Plan A auch B- und C-Pläne haben – idealerweise sogar D- und E-Lösungen. Das mag umständlich klingen, sorgt aber, wie die Erfahrung aus der Praxis zeigt, vor allem auf österreichischer (linearaktiver) Seite für Entspannung im Umgang mit Termindruck, Projektauflagen und ergebnisorientiertem Management.

Literaturtipp

Kulturschock Russland.

Von Barbara Löwe. 5. Auflage, Reise Know-how Verlag 2007.

Beruflich in Russland.

Von Tatjana Yoosefi und Alexander Thomas, Vandenhoeck & Ruprecht 2003.

Einfluss von Expatriates auf die Organisationsstrukturen deutscher Tochterunternehmen in Russland.

Von Friederike Groeger. Rainer Hampp Verlag 2006.

So kommen Sie nach Russland.

Von Gabriele Lüke und Gustav Weber. Primeverlag 2003.

When Cultures Collide: Leading, Teamworking and Managing Across the Globe.

Von Richard D. Lewis, 3. Aufl , Nicholas Brealey Publishing 2005.

Quelle: personal manager 2/2008