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Problempunkt

Die Parteien stritten über einen Entschädigungsanspruch nach AGG. Der Arbeitnehmer istals Kommissionierer bei der beklagten Firma beschäftigt und verdient 2.500 Euro im Monat. In den letzten sieben Jahren war er zwischen 20 und 56 Tagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber sprach deshalb 2007 eine krankheitsbedingte Kündigung aus, die das Arbeitsgericht jedoch rechtskräftig für unwirksam erklärte. Daraufhin begehrte der Mitarbeiter wegen Diskriminierung eine angemessene Entschädigung von mindestens 30.000 Euro. Als Begründung führte er an, der Arbeitgeber habe ihn wegen seiner Behinderung benachteiligt. Nach einer ärztlichen Stellungnahme sind die Krankheiten auf eine chronisch degenerative Erkrankung seines Bewegungsapparats zurückzuführen. Die Klage war in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidung

Das BAG verneinte den Anspruch auf Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG. Die Rechtsprechung hat mittlerweile klargestellt, dass entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG das Diskriminierungsrecht auch auf Kündigungen anwendbar ist und zu deren Unwirksamkeitführen kann (BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR523/07, NZA 2009, S. 361). Ob der Betreffende allerdings Schadensersatz und Entschädigung verlangen kann, ist bislang nicht klar entschieden. Das BAG konnte dies hier jedoch offenlassen. Es verneinte den Anspruch bereits, weil dieTatbestandsmerkmale nicht vorliegen:

Im Anschluss an den EuGH (Urt. v. 11.7.2006 –C-13/05 Navas, NZA 2006, S. 839) stellte es klar, dass für die Frage, ob eine Behinderung i. S. d. §§ 7 Abs. 1, 1 AGG vorliegt, Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht zwingend von Bedeutung sind. Behinderung ist ein Krankheitszustand, der zu erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen und längeren Teilhabedefiziten am Gesellschafts- bzw. Berufsleben führt. Der Kläger hatte jedoch nur die Arbeitsunfähigkeitszeiten als Maßstab seiner Behinderung angeführt. Ein konkreter Sachvortrag, wieso er Schwierigkeiten habe, am gesellschaftlichen Leben bzw. Arbeitsleben teilzunehmen, erfolgte nicht. Die pauschale Behauptung, in seiner Wettbewerbsfähigkeit und den Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt zu sein, genügt nicht.

Weiter fehlte es auch an einer Benachteiligungi. S. v. § 3 Abs. 1 AGG. Der Arbeitgeber bediente sich mit der Kündigung eines zulässigen Gestaltungsmittels, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Zwar ist jede Kündigung für den Erklärungsempfänger ungünstig und nachteilig. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Unternehmen dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Behinderung gekündigt hatte.

Das BAG unterstellte, dass es auch nicht behinderten Mitarbeitern mit identischer Arbeitsunfähigkeitsquote gekündigt hätte.

Schließlich verneinte das BAG eine Kausalität zwischen Behinderung und Benachteiligung. Dabei unterstellte es – hypothetisch –  zugunsten des Klägers sowohl die Behinderung als auch die Benachteiligung durch die Kündigung. Was fehlte, war jedoch eine innere Verbindung beider Merkmale. Hierzu hatte der Kläger nichts vorgetragen. Zwar bedarf es keiner subjektiven Komponente, wie einer Benachteiligungsabsicht des Arbeitgebers. Dennoch müssen Benachteiligung und Behinderung in einem inneren Kausalzusammenhang stehen. Den Vortrag des Klägers unterstellt, würde jedoch jede krankheitsbedingte Kündigung, die sich im Nachhinein als unwirksam herausstellt, den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung i. S. d. § 15 Abs. 4 AGG verpflichten. Ein Diskriminierungsmerkmal in der Person des Benachteiligten reicht daher nicht aus, um prinzipiell einen Kausalzusammenhang anzunehmen.

Konsequenzen

Das BAG hat klargestellt, dass der Ausspruch einer unwirksamen Kündigung kein Anlass für eine Entschädigung sein kann. Zu Recht fordert das BAG, dass alle Tatbestandsmerkmale vorliegen, nämlich

– das Diskriminierungsmerkmal,

– die Benachteiligung,

– und die kausale Verknüpfung dazwischen.

Behinderung als Diskriminierungsmerkmal ist dabei nicht die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage, sondern die fehlende Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Offen bleibt weiter die abstrakte und umstrittene Rechtsfrage, ob nicht § 2 Abs. 4 AGG eine absolute Sperre gegenüber jeder Forderung auf Entschädigung nach dem AGG darstellt.

Praxistipp

Arbeitgeber sollten darauf achten, dass sie krankheitsbedingte Kündigungen allein mit Arbeitsunfähigkeitszeiten begründen, die unabhängig von einer Behinderung sind. Liegen die Voraussetzungen vor, sind der Kündigung die Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1, 2 SGB IX vorzuschalten.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht - 01/11