Auf welche Diskriminierungseinwendungen müssen sich Personalverantwortliche in der täglichen Praxis einrichten, wo gibt es Fallen für Vorgesetzte, die sich bisher bei Anweisungen gegenüber ihren Mitarbeitern auf das Direktionsrecht berufen konnten? Das Personalmagazin konfrontierte drei Arbeitsrechtsexperten mit einem Beispiel aus der Praxis und bat, zu untersuchen, inwieweit einzelne, bisher unbeanstandete Vorgehensweisen des Vorgesetzten nun unter den strengen Grundsätzen des AGG als diskrimierend ausgelegt werden könnten.

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Foto von Bram Naus

Der Fall: Neue Filialen, neue Mannschaft

Ein EDV-Unternehmen will sein Geschäftsfeld auf den Vertrieb von speziellen EDV-Einrichtungen für Gastronomiebetriebe erweitern und baut dazu regionale Stützpunkte in ganz Deutschland auf. Diese bestehen aus neuen Betriebsteilen mit Lager nebst Direktverkauf sowie einer Außendienstmannschaft. Verantwortlich für den Aufbau ist ein erfahrener Abteilungsleiter aus dem Stammwerk, für den der Aufbau von Filialbetrieben nichts Neues ist. Deshalb ließ ihm die Geschäftsführung auch bisher bei der Personalführung freie Hand. Bei Bedenken, dass einzelne Anordnungen oder Entscheidungen rechtliche Probleme mit sich bringen könnten, fragte der Filialleiter zwar bei der Rechtsabteilung seines Unternehmens Unternehmens nach, bekam aber stets die Antwort, dass alles „im grünen Bereich“ sei. Schließlich habe man flexible Verträge und keinen Betriebsrat, so dass alle seine Vorhaben „vom Direktionsrecht“ umfasst seien. Hat dieser stereotype Verweis auch noch nach dem Inkrafttreten des AGG seine Berechtigung? Inwieweit muss es sich der Arbeitgeber zurechnen lassen, wenn sich ein Mitarbeiter durch das Verhalten oder Anweisungen des Filialleiters nun diskriminiert fühlt? Mit diesen wichtigen Vorfragen konfrontierten wir den Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Peter Rambach.

Seine Antwort: Beschäftigte dürfen nicht wegen eines der durch das AGG besonders geschützten Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung oder sexuelle Identität (siehe dazu auch unsere Übersicht in Personalmagazin 9/06, Seite 82) benachteiligt werden. Das Gesetz verlangt vom Arbeitgeber, dass er die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor solchen Benachteiligungen trifft. Dies gilt im laufenden Arbeitsverhältnis insbesondere auch für die den Arbeitnehmern von Vorgesetzten in Ausübung des Direktionsrechts gegebenen Weisungen. Den Handlungen und Aktivitäten von Vorgesetzten kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil sie dem Arbeitgeber rechtlich zugerechnet werden. Die Vorgesetzten sind regelmäßig Erfüllungsgehilfen des Arbeitgebers. Weisungen von Vorgesetzten, welche einen davon betroffenen Arbeitnehmer wegen eines der acht geschützten Merkmale benachteiligen, stellen also eine Verletzung des Arbeitsvertrags dar, die sich der Arbeitgeber zurechnen lassen muss. Erfolgt die Benachteiligung schuldhaft, ist der Arbeitgeber verpflichtet, als Konsequenz den entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen. Unabhängig davon kann eine Verpflichtung zur Leistung einer „angemessenen“ Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden (eine Art „Schmerzensgeld“) entstehen. Insbesondere wegen der für Arbeitgeber sehr ungünstigen Beweislastregelung im AGG (siehe dazu Seite 90) muss deshalb jede auf das Direktionsrecht gestützte Weisung von Vorgesetzten darauf geprüft werden, ob sie eine ungerechtfertigte Benachteiligung wegen eines geschützten Merkmals darstellt.

Wenn das Outfit angeordnet wird

„Ich will keinen zusammengewürfelten Haufen haben.“ Mit diesen Worten richtet sich der Abteilungsleiter in seiner Begrüßungsansprache an seine neu eingestellte Mannschaft. Was er sich darunter vorstellt, zeigen die weiteren Details über das einzuhaltende Outfit im Betrieb: „Im Lager wird ein einheitlicher Overall getragen, im Verkauf das T-Shirt mit Firmenaufdruck und im Außendienst ist Anzug Pflicht; auch für Frauen, denn dafür gibt es ja schicke Hosenanzüge.“ Dazu Rambach: Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber von Arbeitnehmern mit Kundenkontakt erwarten, dass sie sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und dessen Kundenstamm entsprechend branchenüblich kleiden. Eine solche Pflicht kann, wenn eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag fehlt, durch eine Weisung des Arbeitgebers begründet werden oder sich aus einer vertraglichen Rücksichtnahmepflicht ergeben. Insbesondere kann der Arbeitgeber den „Stil des Hauses” vorgeben und grundsätzlich durch Einzelanweisungen die Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeiter ausgestalten um zu erreichen, dass die Kunden positive Rückschlüsse auf das Unternehmen ziehen. Der Arbeitgeber wird deshalb in diesem Fall berechtigt sein, Overall, T-Shirt und Hosenanzug vorzugeben. Das Weisungsrecht wird aber begrenzt durch die gesetzlichen Regelungen und darf nur nach dem sogenannten billigen Ermessen, das in § 315 BGB definiert ist, ausgeübt werden. Das heißt, der Arbeitgeber muss die wesentlichen Umstände abwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen. Inhaltlich wird dieses Ermessen durch die Grundrechte, hier vor allem durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, mitbestimmt. Auch unter Berücksichtigung des AGG wird zum Beispiel das Verbot einer Muslima gegenüber, ein Kopftuch zu tragen, nur möglich sein, wenn der Verzicht auf das Kopftuch eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, was nur in den seltensten Fällen so sein wird. Kundenerwartungen stellen regelmäßig jedenfalls keine berufliche Anforderung dar; sie sind umfeld-, nicht tätigkeitsbezogen.

Wer sitzt mit wem in welchem Büro?

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gemischte Gruppen die besten Arbeitsergebnisse erzielen.“ Das ist die Begründung des Abteilungsleiters für die Verteilung aller Büroarbeitsplätze. Kann der Arbeitgeber nach wie vor bestimmen, wer mit wem im Büro sitzt? Christoph Tillmanns, Vorsitzender Richter am LAG Baden-Württemberg, antwortete: Zunächst müsste überhaupt eine Benachteiligung im Sinne des AGG vorliegen. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer weniger günstig als ein anderer Arbeitnehmer behandelt wurde. Bei der Büroverteilung ist eine Benachteiligung eher unwahrscheinlich, aber dennoch nicht ausgeschlossen. Man denke da an unterschiedlich große Büros, Lärm, Erreichbarkeit, aber auch ein ungeliebter Kollege mit Körpergeruch kann von einem anderen Mitarbeiter als Benachteiligung empfunden werden. Doch selbst wenn bei der Bürozuweisung ein Mitarbeiter benachteiligt worden ist, reicht das immer noch nicht für einen Konflikt nach dem AGG: Hinzukommen muss noch, dass diese Benachteiligung wegen eines der acht vom AGG geschützten Merkmale erfolgt ist. Das wird wohl in den seltensten Fällen der Fall sein.

Es gilt die Vermutungsregel

Gefährlich wird es aber, wenn es tatsächlich Anhaltspunkte für eine Benachteiligung gibt: nach der sogenannten Vermutungsregel genügt es, dass der Arbeitnehmer Indizien nachweist, aus denen sich nur die Vermutung ergibt, dass er wegen eines der acht Merkmale diskriminiert worden ist.

Einen solche Annahme könnte beispielsweise die Tatsache begründen, dass einem (geh-)behinderten Mitarbeiter ein Büro zugewiesen wird, das er nur schwer erreichen kann und es gleichzeitig andere gut erreichbare Räume gibt. Hier spricht dann einiges für eine Benachteiligung – das wäre aber auch ohne AGG nicht zulässig, da der Arbeitgeber hier die Regelungen des SGB IX zu beachten hat. Ebenso wäre es problematisch, eine Mitarbeiterin zu einem Kollegen zu setzen, der für seine freizügigen Sprüche bekannt ist. Das könnte zu einer Benachteiligung durch sexuelle Belästigung führen – und wenn dem Arbeitgeber das lose Mundwerk des Kollegen bekannt ist, verletzt er seine Schutzpflichten und ist schnell in der Haftung für die sexuellen Belästigungen (dazu zählen auch anzügliche Bemerkungen), die sich der Kollege „leistet“.

Der optimale Mitarbeitereinsatz

„Ich weiß, wen unsere Kunden als Verkäufer akzeptieren.“ Mit dieser Feststellung im Rücken nimmt der Abteilungsleiter die Außendienstcrew in Augenschein und entscheidet spontan, wer welchem Kunden zuzuordnen ist. Ist diese Ansicht mit dem AGG weiterhin vereinbar? LAG-Richter Christoph Tillmanns antwortete auf diese Frage: Der Mitarbeitereinsatz ist im Regelfall vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt und stellt nur dann einen Verstoß gegen das AGG dar, wenn erstens der Mitarbeiter überhaupt weniger günstig als andere behandelt wird, also benachteiligt wird, und diese Benachteiligung wegen eines der Merkmale des AGG erfolgt. Verstöße gegen das AGG dürften also eine Ausnahmeerscheinung sein, sind aber nicht auszuschließen.

Eine Benachteiligung erfolgt aber nicht bereits dadurch, dass der Arbeitgeber dem Mitarbeiter einen bestimmten Kunden zuweist. Die Begleitumstände können aber zu einer Benachteiligung führen: Der Kunde ist umsatzschwach, sodass nur geringe Provisionen zu verdienen sind, der Kunde ist weit entfernt und erfordert viel Fahrzeit, oder der Kunde ist als schwierig bekannt. Auch hier ist aber zunächst vom Arbeitgeber nur das billige Ermessen zu wahren. Erst dann, wenn er die Zuweisung eines „schlechten“ Kunden wegen eines der acht Merkmale vornimmt, liegt eine Benachteiligung vor. Die kann aber immer noch im Einzelfall zulässig sein, wenn er dafür anerkennenswerte Gründe hat. Zum Beispiel: Die Zuweisung eines weit entfernten Kunden an einen älteren Mitarbeiter erfolgt deswegen, weil dieser Kunde selbst schon älter ist und deshalb ein besseres Verkaufsklima entsteht. Die Zuweisung eines „schwierigen“ Kunden an einen islamischen Mitarbeiter kann zulässig sein, wenn dieser Mitarbeiter den Kunden besser einschätzen kann, weil der auch islamischen Glaubens ist.

Erfolgt die Zuweisung eines Kunden zwar wegen des Geschlechts oder des Alters des Mitarbeiters, entsteht dadurch aber kein Nachteil, ist das wiederum kein Verstoß gegen das AGG. Es ist deshalb zulässig, einen weiblichen Kunden einer weiblichen Mitarbeiterin zuzuweisen. Das ist keine Benachteiligung wegen des Geschlechts. Die Grenze des Zulässigen ist aber da überschritten, wenn dem Arbeitgeber die Vorlieben seines Kunden für junge Außendienstmitarbeiterinnen bekannt sind und er dies auch den Mitarbeiterinnen gegenüber zum Ausdruck bringt. Die Anforderungen an den Tatbestand der sexuellen Belästigung sind nicht hoch, sodass hier bereits die Zuweisung eines solchen Kunden eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ist und in jedem Fall der Arbeitgeber bei einem Vorfall für die Belästigung durch den Kunden an seine Mitarbeiterin Schadensersatz oder Entschädigung zu zahlen hat.

Die Sonderwünsche beim Dienstplan

Als der Abteilungsleiter den Plan für den Servicebereich austeilt, meldet sich aufgeregt eine Mitarbeiterin und weist darauf hin, dass es ihr möglich sein müsse, noch vor Einbruch der Dunkelheit die heimische Wohnung zu erreichen. Muss der Vorgesetzte diesem Wunsch nachkommen?

Bernhard Steuerer, Richter am Arbeitsgericht Freiburg, antwortete auf diese Frage: Auch das Recht des Arbeitgebers, die Zeit der Arbeitsleistung zu bestimmen, findet seine Grenzen im billigen Ermessen des Arbeitgebers. In diesem Fall wird der der Arbeitgeber zunächst die zeitliche Lage der Schichten nach den betrieblichen Erfordernissen bestimmen. Bei der Zuweisung der einzelnen Arbeitnehmer zu den jeweiligen Schichten muss er aber die Wertordnung der Grundrechte beachten und darf selbstverständlich auch nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen. Das bedeutet, dass er zum Beispiel auf schutzwürdige familiäre Belange der Arbeitnehmerin Rücksicht zu nehmen hat, soweit nicht betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen.

Um jedoch zu klären, welche schutzwürdigen Belange zu berücksichtigen sind, muss sich im vorliegenden Fall der Abteilungsleiter bei der Arbeitnehmerin zunächst einmal erkundigen, aus welchem Grund sie ihre Wohnung vor Einbruch der Dunkelheit erreichen muss. Begründet die Arbeitnehmerin ihr Anliegen nicht näher, muss der Abteilungsleiter diesem Sonderwunsch nicht entsprechen. Begründet die Arbeitnehmerin ihre Anliegen damit, dass sie als Frau auf dem Heimweg in der Dunkelheit erheblich gefährdeter sei als ein männlicher Kollege, kann eine Nichtberücksichtigung dieses Arguments ebenfalls eine unerlaubte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts darstellen. Allerdings könnte der Vorgesetzte hier zunächst andere Lösungen, wie die Bildung von Fahrgemeinschaft entgegenhalten. Problematisch wird es, wenn die Arbeitnehmerin ihren Wunsch zum Arbeitsweg im Tageslicht mit einer religiösen Verpflichtung begründet. Hier kann das nach dem AGG geschützte Merkmal der Religionsausübung zum Zuge kommen und eine entgegenstehende Weisung eine unerlaubte, unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion darstellen, die zu Schadensersatz und Entschädigungsansprüchen führen kann.

Vorsicht mittelbare Benachteiligung

Erklärt die Arbeitnehmerin ihren Dienstplanwunsch damit, dass sie ihr Kind versorgen müsse, muss der Arbeitgeber darauf Rücksicht nehmen. Geschieht dies nicht, obwohl eine andere Einteilung ohne Beeinträchtigung ebenso schutzwürdiger Interessen anderer Arbeitnehmer möglich wäre, ist die Weisung, an der Spätschicht teilzunehmen, unwirksam. Im Übrigen kann hierin aber auch eine unerlaubte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes liegen, weil die Nichtberücksichtigung von Betreuungsverpflichtungen gegenüber Kindern erheblich mehr Frauen trifft als Männer. Damit könnten durchaus Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche nach dem AGG ausgelöst werden.