Erschwert wird diese Aufgabe dadurch, dass, wie Adrian Ritz und Peter Sinelli in ihrem einführenden Kapitel bemerken, für den Begriff des Talent Management keine einheitliche Definition existiert (S. 7). Entsprechend unpräzise und ohne Duktus fällt dann auch der erste Teil des Buches, die wissenschaftliche Betrachtung, aus. Es handelt sich um die ausgemärte beliebige Aneinanderreihung altbekannter Ansichten und Einsichten zur Identifizierung und Entwicklung von Führungskräften. Eine Fleissarbeit ohne Erkenntnisgewinn. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Einfluss einer veränderten Demographie auf das Talent Management. Auch dies ist allerdings bereits spätestens seit Ende der 90er Jahre regelmässiger Bestandteil der Diskussion um Führung in Unternehmen, Universitäten oder Verwaltungen.

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Etwa nach dem ersten Achtel des Buches scheint den Herausgebern klar geworden zu sein, dass in der derzeitigen wissenschaftlichen Diskussion nicht genügend Substanz für Neues steckt. Um dem Mangel an interessantem Stoff zu begegnen, lassen sie sich zu wenig aussagekräftigen Diskursen verleiten wie dem Kapitel „Optimistisch altern“ von Manfred Becker, in dem er „personalwirtschaftliche Handlungsempfehlungen für ein demografiefestes Talent Management“ (S. 39ff) gibt. Leseprobe: „Mit den empirischen Forschungsergebnissen zur Problemlösefähigkeit bestätigen sich die altersstereotypen Annahmen über die Veränderung kognitiver Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Lebensalter.“ (S. 47) Ob diese Einsicht geeignet ist, einen Personalleiter dabei zu unterstützen, die Karrieren älterer Führungskräfte zu planen, sei dahingestellt.

Gänzlich ins wissenschaftliche Abseits begeben sich die Herausgeber, wenn sie im dritten Teil „Talent Management in der Praxis“ den Vertretern namhafter Unternehmen und Organisationen ausführlich und unkritisch Raum für Werbung einräumen. Ehrfürchtig reibt sich da der Leser die Augen in Anbetracht der Talent Management Grosstaten von Unternehmen wie der SBB, ABB oder Novartis, die doch in der öffentlichen und der Wahrnehmung ihrer Mitarbeiter in der jüngeren Vergangenheit eher durch katastrophale Führungsleistungen und sorglosen Umgang mit ihren Führungskräften aufgefallen sind, denn mit systematischer und wegweisender Personalpolitik. Hier vergeben die Autoren die Chance, der Frage nachzugehen, inwieweit Konzernleitungsvorsitzende, die sich wie absolutistische Potentaten aufführen – und auch so bezahlen lassen – das Entstehen einer nachhaltig positiven Unternehmenskultur als eigentliche Basis der Personalentwicklung verhindern, statt sie zu fördern – mit einschneidenden negativen  Konsequenzen für den unternehmerischen Erfolg.

Am lesenswertesten ist noch die kurze Abhandlung von Reinhard Sprenger, „Was man festhält, flieht“ (S 227ff), der sich kritisch und scharfsinnig mit der Frage befasst, welche Mitarbeiter man im Unternehmen halten und welche man ziehen lassen sollte. Durchaus verkürzt, aber treffsicher geht er der Rolle von Faktoren wie Employer Branding, Neugier, Freundschaft und der Fähigkeit, Feste zu feiern im Talent Management nach. Und er verabsäumt es auch nicht, die Rolle des Geldes zu würdigen, wenn es darum geht, die Besten zu halten.

Quälend und bemühend wie der überwiegende Teil des Buches ist auch seine Sprache. Die Autoren scheinen zu glauben, dass etwas umso gescheiter ist, je komplizierter verpackt es daherkommt. Das wird vor allem dann peinlich, wenn die künstliche Geschraubtheit wirrer Satzkonstruktionen in grammatischen und semantischen Unsinn mündet wie etwa auf Seite X des Vorworts: „Adrian Ritz und Norbert Thom schliessen  mit einer Konklusion ab.“ Ja womit denn sonst?

Praktischer Nutzwert * ****
Lesbarkeit/Schreibstil * ****
Verständlichkeit * * ***
Gliederung/Übersichtlichkeit * * ***
Meine persönliche Empfehlung für Personalverantwortliche * ****