Mit dem demographischen Wandel ändert sich die Altersstruktur der Arbeitnehmer in Deutschland drastisch. Das ist schon lange bekannt, doch erst jetzt beschäftigen sich Firmen tatsächlich mit dem Thema. Warum?
Demographie ist eine Entwicklung, die sich schleichend vollzieht. Bisher konnten die Unternehmen davon ausgehen, dass ihnen genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Seit ungefähr einem Jahr beginnt sich das zu ändern: Viele Unternehmen spüren, dass der Arbeitsmarkt für höher qualifizierte Arbeitnehmer enger geworden ist. Außerdem machen viele die Erfahrung, dass sie Humankapital verlieren, weil in größerem Umfang ältere Arbeitnehmer pensioniert wurden oder ausgetreten sind. Das ist wohl der Grund, warum die Unternehmen nun Demographie als Problem für sich entdecken. Aktiv geworden sind jedoch noch die wenigsten. Manche glauben, sie könnten den demographischen Wandel aussitzen. Das ist aber ein Irrtum, denn der Zenit der Probleme ist noch nicht erreicht. Spätestens im Jahr 2015 wird der Arbeitsmarkt kippen und wer sich bis dahin nicht darauf vorbereitet hat, wird Probleme haben.

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Foto von Alesia Kazantceva

Wie groß ist denn die Gefahr für Firmen, die das Thema missachten?
Auf eine Belegschaft, die hauptsächlich aus älteren Mitarbeitern besteht, sind die meisten Unternehmen nicht eingestellt. Auch die Arbeitnehmer müssen sich erst bewusst werden, dass sie ihre Einstellung zum Altern ändern müssen, indem sie zum Beispiel mehr auf ihre Gesundheit achten. Zudem verlieren die Unternehmen an Erfahrung. Wenn sie erst einmal in einem größeren Umfang Humankapital einbüßen, werden sie nicht in der Lage sein, das Defizit mit neuen qualifizierten Fachkräften aufzufüllen. Darüber hinaus verschlafen viele Unternehmen, dass mit der Überalterung eine veränderte Weise des Zugangs auf die Kunden einhergehen muss. Nicht nur die Unternehmen selbst altern, sondern genauso auch die Kunden. Das erfordert eine ganz neue Arbeitsorganisation der Unternehmensprozesse.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Eine Kette von Handwerkermärkten in Nordamerika hat den Versuch gestartet, an Sonntagen die Märkte nur mit ehemaligem Personal zu öffnen. Die Ehemaligen hatten einen großen Spaß und waren sehr motiviert. Es stellte sich heraus, dass nun am Sonntag vor allem ältere Kunden kamen, die sich von den Ehemaligen beraten ließen. Wenn ein 50-Jähriger ein Mobiltelefon kaufen möchte, lässt er sich lieber von einem älteren Mitarbeiter beraten, da dieser eher weiß, welche Probleme er mit Technik hat. So hat das auch hier funktioniert. Die Geschäftsleitung hat sich verwundert die Augen gerieben und festgestellt, dass der Sonntag zum umsatzstärksten Tag der Woche geworden war. Das Experiment wurde fortgeführt, und heute ist es vollkommen normal, dass Ehemalige sonntags den Laden führen, damit viel Erfolg haben und gleichzeitig ein wenig Geld verdienen.

Wie gehen Unternehmen am besten vor, wenn sie sich demographiefest machen möchten?
Zunächst sollten sie analysieren, wie sich die Altersstruktur speziell in ihrem Unternehmen entwickeln wird und welche Probleme sich daraus ergeben könnten. Je nach Altersstruktur bieten sich den Unternehmen verschiedene Möglichkeiten: Eine Lösung ist die der altersgemischten Teams, in denen ältere und jüngere Kollegen zusammenarbeiten. Dabei profitieren die Jüngeren von der Erfahrung der Älteren und die Älteren von der Schnelligkeit der Jüngeren. Mentoringprogramme sind ein weiterer Ansatz. Mitarbeiter, die schon ausgestiegen waren aus dem Erwerbsleben, kommen hier für bestimmte Projekte zurück und geben ihr Wissen weiter. Da die Menschen allgemein länger arbeiten müssen, ist auch die gesundheitliche Verfassung der Mitarbeiter ein wichtiger Aspekt. Untersuchungen besagen, dass wir vor allem unter Muskelskeletterkrankungen und unter Stress leiden werden. Work-Life-Balance und Gesundheitsprogramme, die Mitarbeitern zeigen, wie sie gesund bleiben, spielen deshalb eine große Rolle.

Laut Bundesarbeitsminister Franz Müntefering werden Menschen mit körperlich anstrengenden Berufen nicht unbedingt länger arbeiten können. Was halten Sie davon? Der demographische Wandel erfordert ein Umdenken bei der Karriereentwicklung. Bisher gingen wir davon aus, dass wir im Verlauf der Karriere mehr Geld verdienen und zunehmend Verantwortung tragen. Das ist bei einer älteren Belegschaft nicht bezahlbar. Deshalb müssen vielleicht ab 45 Jahren auch horizontale Karrieren möglich werden, so dass die Mitarbeiter auf der gleichen Stufe die Tätigkeit wechseln können. Der Dachdecker kann vielleicht mit 60 nicht mehr auf dem Dach herumklettern, aber möglicherweise andere Dinge: Lehrlinge ausbilden, im Büro arbeiten oder bestimmte Kundenberatungen durchführen.
V Welche Herausforderung ergeben sich daraus für die Personalentwicklung?
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Mitarbeiter ab 50 Jahren nichts mehr lernen. Die Personalentwicklung in Unternehmen sollte deshalb offensiv auch für Ältere Fortbildungsprogramme anbieten, die es ihnen ermöglichen, mit neuen Herausforderungen umzugehen. Insbesondere müssen sie den älteren Mitarbeitern beibringen, wie sie mit den technischen Neuerungen mithalten können.

Ältere Arbeitnehmer sind jedoch auf dem Arbeitsmarkt immer noch mit Vorurteilen konfrontiert. Wann werden sie tatsächlich eine Chance haben?
Altersbilder ändern sich nur sehr langsam, doch teilweise lässt sich schon eine Veränderung in den Medien entdecken. Denken Sie beispielsweise an die Rolling Stones, die jetzt mit 63 Jahren noch verhältnismäßig dynamisch und jugendlich wirken. Aber wir haben uns bisher nicht von den negativen Assoziationen zum Thema Alter verabschiedet. Unsere Altersbilder gehen noch immer auf die Erfahrungen unserer Eltern oder sogar unserer Großeltern zurück. Da solche Vorstellungen sehr langlebig sind, versuchen wir mit dem Demographie Netzwerk diesen Prozess anzuregen.

Wie tun Sie das konkret?
Wir haben zum Beispiel die DemograFit-Ausstellung entwickelt, die bei den Mitarbeitern dafür werben soll, Altersbilder zu überdenken und sich auf den demographischen Wandel einzustellen. Diese Ausstellung ist so konzipiert, dass sie mit zehn „Segeln“ an jeder Stelle im Unternehmen platzierbar ist – am besten auf dem Weg vom Arbeitsplatz in die Kantine, wo die Mitarbeiter täglich vorbeikommen. Die Ausstellung soll sie mit ihren Bildern inspirieren und das Bewusstsein für neue Ansätze wecken.

Seit wann gibt es das ddn und was hat sich seither getan?
Das Demographie Netzwerk ist aus einer Unternehmensinitiative entstanden, die wir zusammen mit INQA im Jahr 2004 angestoßen haben. Die Unternehmen konnten dabei mit Vertretern der Politik über den demographischen Wandel diskutieren. Die Firmen wollten sich aber nicht damit zufrieden geben, ihre Sorgen loszuwerden. Sie forderten Unterstützung bei der fachlichen Auseinandersetzung mit dem Problem des demographischen Wandels. INQA hat dann gemeinsam mit der Politik und den Unternehmen beschlossen, einen gemeinnützigen Verein zu gründen: das Demographie Netzwerk. Das war im März 2006, damals mit 42 Startunternehmen. Inzwischen ist die Mitgliederzahl auf knapp 100 angestiegen. Das war natürlich nur möglich, weil die Unternehmen einen Nutzen erwarten dürfen.

Worin liegt der?
Im Wissenstransfer. Unternehmen lernen im ddn von anderen Unternehmen. Wir beginnen mit den Firmen einen Benchmarking- und Lernprozess: Zweimal im Jahr erfahren die Mitglieder im Wege einer Panelbefragung, wo sie selbst stehen. In den Panelmeetings geben sich die Unternehmen gegenseitig Anregungen, was sie anders machen könnten und wie sie am besten auf problematische Altersstrukturen reagieren. Das geht bis hin zu kleinen betreuten Projekten. Ein Vorteil des ddn liegt darin, dass wir durch die Beteiligung der INQA eine Plattform haben, die Einfluss auf die Politik hat.

Was ist daran neu?
Im ddn organisieren sich die Betroffenen, um das enorme Problem der demographischen Herausforderung anzugehen. Die Unternehmen sagen dem Staat, was sie bereits herausgefunden haben und wohin sie möchten, damit sie weiterhin wettbewerbsfähig bleiben können. Das ist wirklich neu, denn wir drehen den gesamten politischen Prozess um. Die Unternehmen transportieren die erarbeiteten Vorstellungen in die Politik, beispielsweise auf dem 2. Know-how-Kongress, der im März auf höchster Ebene stattfand. Die Botschaft an die Politik ist, dass sie optimale Lösungen für den Übergang zwischen Arbeit und Ruhestand anbieten soll, die sowohl den einzelnen Mitarbeitern entgegenkommen als auch mit der Unternehmenspolitik vereinbar sind. Diese Idee ist so dynamisch, dass die Unternehmen bereit sind, in diesen gegenseitigen Lernprozess einzutreten. Es ist nicht selbstverständlich, dass Unternehmen, die sonst eher im Wettbewerb stehen, sich zusammentun und gemeinsam voneinander lernen wollen und dabei auch noch einen großen Spaß haben.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem ddn in Zukunft?
ddn hat gerade erst angefangen, als Unternehmensnetzwerk zu fungieren und findet dafür schon ein beachtliches Echo in der Politik. Bis wir aber einmal so einflussreich sind, wie man es unserem englischen Pendant nachsagt, werden wir auch so viele Mitglieder haben müssen. Im Netzwerk auf der Insel sind 260 Unternehmen zusammen geschlossen, allerdings agiert es auch schon seit rund 15 Jahren. Wir wollen diese Mitgliederzahl sehr schnell erreichen und müssen das auch. Inhaltlich verfolgen wir das Ziel, den demographischen Wandel zu einer Angelegenheit für die gesamte Gesellschaft zu machen. Das beginnt schon bei der Erziehung im Kindergarten, denn bereits dort werden Altersbilder vermittelt. Bisher gibt es keinen gemeinsamen Nenner von Erziehung, Wirtschaft und der Gesellschaft ganz allgemein. Das Bundeskabinett hat vor wenigen Tagen in Meseberg auch über den demographischen Wandel gesprochen. Wir dürfen hoffen, dass das den verschiedenen Ressorts hilft, ihre Aktivitäten und Projekte im Rahmen einer einheitlichen Strategie zu koordinieren. Ganz gewiss würde das auch die Wirtschaft beflügeln. Denn noch beteiligen sich viele Unternehmen zu wenig, weil sie nicht begriffen haben, dass Demographie ein Businesscase ist. Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft zahlt es sich aus, wenn die Mitarbeiter motiviert und gesund bleiben.

Interview: Stefanie Hornung

Die Ausstellung DemograFit ist am 11. und 12. September auf der Fachmesse Zukunft Personal zu sehen. Im Rahmenprogramm diskutieren zahlreiche Demographie-Experten über die anstehenden Herausforderungen. Weitere Informationen sind unter www.zukunft-personal.de oder www.demographie-netzwerk.de erhältlich.