Deutsche Unternehmen haben die demographische Entwicklung, nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Berichterstattung, als Herausforderung erkannt – doch sind die betrieblichen Maßnahmen bislang unzureichend. Viele Unternehmen sehen anscheinend keine direkte Verbindung des Alterungsprozesses mit ihrem „Business“, so ein Ergebnis der Diversity-Praxis-Studie (DPS) von „Ungleich Besser Consulting“ und dem PERSONALmagazin. Dabei ist der Prozess der Alterung der erwerbstätigen Bevölkerung in vollem Gange: Im Jahr 2020 werden fast 40 Prozent der Beschäftigten zwischen 50 und 65 Jahre alt sein. Bereits heute müssen Unternehmen die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die eigene Organisation bedenken und die Beschäftigungsfähigkeit der MitarbeiterInnen mittleren und höheren Alters sichern, um dem künftigen Fachkräftemangel rechtzeitig zu begegnen. Die Frühverrentungspraxis wird schon bald der Vergangenheit angehören – es gilt, dies auch den Beschäftigten rechtzeitig zu vermitteln.

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Foto von Alesia Kazantceva

Wesentlich für die Vorbereitung auf den demographischen Wandel ist es, ältere MitarbeiterInnen stärker als bislang an Weiterbildungen zu beteiligen. Die Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter zu erhalten, heißt, auch im Alter die Kompetenzen der Belegschaft zu fördern und sie auf dem neuesten fachlichen Stand zu halten. Daraus ergibt sich die Empfehlung, den Weiterbildungsbedarf aller MitarbeiterInnen festzustellen und sicherzustellen, dass alle Altersgruppen die gleichen Chancen haben, an Trainings teilzunehmen. Lassen sich altersspezifische Unterschiede bei der Nachfrage oder Nutzung von Qualifizierungsangeboten feststellen, sollten die jeweiligen Gruppen ermutigt werden, an entsprechenden Maßnahmen teilzunehmen. Dies kann durch gezielte Ansprache und durch unterschiedliche Lehr- und Lernmethoden erreicht werden. Die Sick AG bietet beispielsweise Seminare für den dritten Lebensabschnitt an – für das Gesamtkonzept erhielt der Sensorenhersteller 2005 einen Sonderpreis im Wettbewerb „Deutschlands Beste Arbeitgeber“ für „Lebenslanges Lernen“.

Altersausgrenzungen vermeiden

Initiativen zur Förderung einer offenen Kultur, in der Erfahrung und Wissen ausgetauscht werden, sind ein weiterer Bestandteil zur Erlangung demographischer Kompetenz. 43 Prozent der im Rahmen der DPS befragten 46 Unternehmen fördern ein solches betriebliches Umfeld bereits. So auch der Automobilhersteller Ford mit seiner Task Force „Generations“. Die Initiatoren zielen auf eine aufgeschlossene Arbeitsatmosphäre, in der vielfältige Individuen aller Altersgruppen wertgeschätzt und Ausgrenzung aufgrund des Alters vermieden wird. Erhalten Ältere im Unternehmen das Gefühl, weniger geachtet zu werden oder gar überflüssig zu sein, drohen Motivationsverlust und Leistungsverweigerung. Dies ist vor allem angesichts längerer Lebensarbeitszeiten nicht vertretbar. Für Unternehmen ergibt sich daher eine wesentliche Herausforderung darin, die Sensibilisierung für den demographischen Wandel und dessen Auswirkungen bei Führungskräften und Beschäftigten voranzutreiben. Schon die Präsentation von Altersstatistiken innerhalb oder außerhalb des Unternehmens versetzt viele ins Staunen: Bei einer einfachen Fortschreibung der gegenwärtigen Altersstruktur für zehn Jahre zeigt sich drastischer Handlungsbedarf. Die Reduzierung von Routine durch abwechslungsreiche Tätigkeiten, neue Aufgabenfelder und neue Herausforderungen leistet einen weiteren Beitrag, um die Beschäftigungsfähigkeit der Belegschaft zu erhalten. Dies kann in Form von Programmen der Jobrotation oder der Aufgabenbereicherung (Job-Enrichment) geschehen. Tatsächlich verpuffen neue Qualifikationen und Kompetenzen, wenn sie nicht in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden. Einseitige körperliche und geistige Belastungen können zudem zu vorzeitigem Verschleiß, Demotivation und sinkender Leistungsbereitschaft führen. Regelmäßige Personalentwicklungsgespräche, natürlich auch für ältere MitarbeiterInnen, zeigen persönliche Entwicklungsmöglichkeiten auf und stimulieren Leistung und Innovation. Um monotone Anstrengungen in der Produktion zu vermeiden, ermittelte beispielsweise der Handyhersteller Motorola in seinem Werk in Flensburg mithilfe von Videoaufnahmen ergonomisch nachteilige Arbeitsabläufe und führte daraufhin ein Arbeitsplatzrotationsverfahren (Arbeitsplatzwechsel nach 1,5 Stunden) ein.Ein weiterer Baustein eines Diversity-orientierten Altersmanagements besteht in der Förderung der intergenerationalen Zusammenarbeit. Hierbei können Potenziale freigesetzt werden, denn die Arbeit in gemischten Teams gewährleistet, dass Stärken und Fähigkeiten verschiedener Generationen genutzt werden und Ältere und Jüngere voneinander lernen. Gleichzeitig ermöglicht eine altersübergreifende Zusammenarbeit eine verbesserte Kundenansprache – wie das Beispiel der Deutschen Bank zeigt: Das Finanzinstitut setzt Tandems von BerufsanfängerInnen und erfahrenen Kräften zur Beratung wohlhabender Privatkunden und im Bereich Firmenkunden ein. Die Idee dahinter: Die Vermögensverwaltung oder Großkundenbetreuung einem Berater alleine zu überlassen, könnte die Kundschaft verunsichern. In altersheterogenen Tandems hingegen vermitteln Ältere durch ihre berufliche Erfahrung Vertrauen – Junge bringen eventuell ungewöhnliche Ideen oder Ansätze in die Beratung ein.Wenig Beachtung schenken deutsche Unternehmen bislang der Anerkennung der Leistung älterer Mitarbeiter: Laut DPS setzen gerade einmal 22 Prozent von ihnen Aktivitäten in diesem Bereich um. Mehr Engagement als bislang erscheint erforderlich, um Vorurteile über eine angeblich geringere Leistungsfähigkeit Älterer abzubauen und ältere Beschäftigte in den Arbeitsprozess einzubeziehen („Inclusion“). Hierbei bietet es sich an, bei der Bild- und Sprachwahl von Veröffentlichungen in Mitarbeiterzeitschriften, auf Postern oder im Intranet auf ein aktives und leistungsorientiertes Bild Älterer hinzuwirken. So verwendet Lufthansa den Begriff „Senior Professionals“ anstelle „Älterer“ und unterstreicht damit die Erfahrung der Beschäftigten. Nicht zuletzt bei der Rekrutierung werden Firmen ihre bisherige Praxis überdenken müssen. In einer häufig jugendzentrierten Unternehmenskultur werden fast ausschließlich jüngere Beschäftigte eingestellt, obwohl viele Aufgaben ebenso gut oder besser von älteren übernommen werden könnten. Ein Beispiel: In Deutschland gibt es mehr als 25.000 arbeitslose Ingenieure, die älter als 50 Jahre sind. 91 Prozent der in einer VDI-Studie befragten Personalentscheider haben 2004 keinen Ingenieur über 50 eingestellt – gleichzeitig werden Ingenieure dringend auf dem Arbeitsmarkt gesucht. Ein möglicher Grund hierfür mag das defizitorientierte Bild älterer MitarbeiterInnen sein: Ihnen wird eine einge-71www.personalmagazin.de 3|2006schränkte Belastbarkeit und Lernfähigkeit unterstellt. Tatsächlich entwickeln sich aber manche Stärken erst im Alter – Stärken die Unternehmen nutzen könnten. Als Vorreiter beim bewussten Einsatz älterer MitarbeiterInnen gilt das mittelständische Technologieunternehmen Microtec, das gezielt ältere BewerberInnen einstellt. Sie zeichnen sich im Vergleich zu jüngeren durch hohes Fachwissen und die Fähigkeit aus, Probleme im Projekt frühzeitig zu erkennen, so die Geschäftsführerin Andrea Reinhardt. Durch die demographische Entwicklung wird nicht nur das Angebot jüngerer KandidatInnen eingeschränkt, die Einstellung Älterer kann auch zu verringerten Einarbeitungskosten führen, da ältere MitarbeiterInnen seltener den Arbeitgeber wechseln als jüngere: Nachwuchskräfte verlassen den Betrieb im Durchschnitt bereits nach etwa drei Jahren.

Den Status quo hinter fragen

 

Deutsche Unternehmen haben den demographischen Wandel als einen wichtigen Faktor für die zukünftige Unternehmensentwicklung und ihre Arbeit identifiziert. Der Wandel hin zu einer Unternehmenskultur, die MitarbeiterInnen aller Altersgruppen einbezieht, bildet ein zentrales Ziel zur Begegnung des Fachkräftemangels und der Vermeidung von Kosten, beispielsweise verursacht durch eine mangelnde Kooperation zwischen verschiedenen Altersgruppen. Um auf die demographischen Herausforderungen vorbereitet zu sein, müssen bisherige Personalinstrumente kritisch auf ihre Wirkung auf verschiedene Altersgruppen überprüft und erweitert werden. So beinhalten manche Rekrutierungs-, Beförderungs- und Fortbildungsprozesse sowie Aspekte der Arbeitsorganisation Mechanismen, die zu einer Benachteiligung Älterer oder Jüngerer führen. Bei der Arbeit an heterogenen Altersstrukturen sollte die Zielgruppe „ältere Mitarbeiter“ jedoch keinen Sonderstatus einnehmen, da hierdurch leicht die latente Stereotypisierung dieser Gruppe verstärkt werden kann. Diversity umfasst alle Altersgruppen und weitere Vielfaltsfaktoren, die in den kommenden Folgen dieser Serie behandelt werden.